Bahnstrecke Hamburg – Hannover: Deutschland gerät aus dem Takt
Zwischen Hamburg und Hannover soll erstmal keine neue Bahnstrecke gebaut werden. Kritiker sehen die Verkehrswende und den Klimaschutz in Gefahr.
Die umstrittene Neubaustrecke für den Bahnverkehr zwischen Hamburg und Hannover ist vorerst vom Tisch. Das Bundesverkehrsministerium hat dem Land Niedersachsen vorgeschlagen, stattdessen zunächst die bestehende Strecke über Lüneburg und Uelzen grundlegend zu sanieren und auszubauen. Dafür soll der Start der Streckensanierung von 2026 auf 2029 verschoben werden. Parallel dazu könne dann, so das Ministerium, erneut über einen Neubau verhandelt werden.
Der Streit über den Bahnausbau schwelt unter dem Stichwort „Y-Trasse“ bereits seit Anfang der 1990er-Jahre. Laut dem Bundesverkehrswegeplan sollte Hannover durch Neubaustrecken deutlich besser mit Hamburg und Bremen verbunden werden, um dem wachsenden Eisenbahnverkehr gerecht zu werden.
Der Plan rief bei den potenziellen Anliegern und Umweltschützern so viel Widerstand hervor, dass das niedersächsische Verkehrsministerium das Dialogforum Schiene Nord ins Leben rief. Die Beteiligten einigten sich mehrheitlich auf die Variante Alpha E, das heißt die Ertüchtigung der Bestandsstrecke über Uelzen und Lüneburg.
Umso überraschter waren viele, als die Bahn vor einem Jahr wieder mit Neubauplänen um die Ecke kam. „Die gemeinsam 2015 im Dialogforum erarbeitete Lösung hat sich in der planerischen Betrachtung als nicht möglich erwiesen“, erklärte der Vertreter der Bahn, Frank Arne Limprecht damals in Celle. Die daraus entwickelten Planungsvarianten hätten ein zu schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis, weshalb die Bahn eine „bestandsferne Variante“ ins Spiel brachte.
Nabu kritisiert das Aus
Diese sah zuletzt vor, einen Neubau über weite Strecken mit der Autobahn A7 zu bündeln, um die ökologischen Folgen zu begrenzen. Den Naturschutzbund (Nabu) besänftigte das nicht. Er hält einen Neubau für unnötig und ökologisch schädlich, weil damit ein weiteres Mal der Lebensraum für Pflanzen und Tiere durchschnitten würde. „Es braucht keine Naturzerstörung, nur um ein paar Minuten mehr Zeitgewinn zu realisieren“, sagt Holger Buschmann, Landesvorsitzender des Nabu Niedersachsen.
Auch die rot-grüne Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag 2022 auf die Variante „Optimiertes Alpha E plus Bremen“ festgelegt. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil musste sich von Fridays for Future schimpfen lassen, weil er sich gegen eine Neubaustrecke aussprach, die durch seinen Wahlkreis führen würde.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) warnte zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung davor, die niedersächsischen Interessen zu übergehen. „Für die Raumordnung ist am Ende das Land zuständig – und wir haben die Neubaustrecke Hannover–Hamburg aus der Landesraumordnung rausgenommen.“ Zugleich erklärte sich Lies bereit, in einem „breiten Dialog noch einmal den tatsächlichen Bedarf zu prüfen“.
Dieser ist aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums unstrittig. „Bereits heute kommt es im Raum zwischen Hamburg/Bremen und Hannover zu Überlastungen der Schiene – Tendenz weiter steigend“, teilte das Ministerium mit. Die erweiterte Generalsanierung der Strecke über Lüneburg mildere zwar die Überlastung und verbessere die Betriebsqualität. Mit Blick auf die Zukunft reiche sie aber nicht aus. Schließlich sei es „das Ziel, die Leistung im Personenverkehr zu verdoppeln und den Anteil des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent zu steigern“. Dafür müssten dringend zusätzliche Kapazitäten auf diesem Korridor geschaffen werden.
Hintergrund sind die Pläne des Bundesverkehrsministeriums und der Deutschen Bahn, einen Deutschland-Takt einzuführen, bei dem landesweit verlässlich im Halbstundentakt Züge fahren würden, nach dem Vorbild der Schweiz. Das soll den Bahnverkehr so attraktiv machen, dass Menschen vom Auto umsteigen und das Klimaziel im Verkehrssektor erreicht werden kann.
Der Nabu verweist darauf, „dass auch mit einem anderen Rhythmus und leicht differenzierten Knotenpunkten der Deutschlandtakt im Bahnverkehr als zum innerdeutschen Flugverkehr konkurrierendes Verkehrsmittel trassennah realisiert werden kann“. Der Deutschlandtakt sei auch mit längeren Fahrzeiten von 40 Minuten erreichbar, Energie verschlingende Zuggeschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern unnötig und im Übrigen konträr zu den Klimazielen.
Fahrgastverband spricht von „schwarzem Tag“
Der Fahrgastverband Pro Bahn spricht dagegen von einem schwarzen Tag. Er befürchtet, „dass eine Umsetzung des Deutschlandtaktes in Norddeutschland auf absehbare Zeit nicht möglich ist“. Für Reisende aus Schleswig-Holstein blieben die Reisezeiten damit in vielen Fällen 30 oder 60 Minuten länger als mit dem Takt.
Die leichte Kapazitätsausweitung durch das optimierte „Alpha E plus“ werde Verbesserungen weder im Regional- noch im Fernverkehr zulassen, denn die Kapazität sei „jetzt schon mehr als aufgebraucht“.
Vertreter von CDU und FDP aus Hamburg erinnern daran, wie wichtig eine bessere Schienenanbindung für den Hamburger Hafen wäre. Wenn die Neubaustrecke nicht komme, wäre das ein „Genickschlag“, sagt die FDP-Landesvorsitzende Sonja Jacobsen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß wirft SPD-Chef Klingbleil vor, ihm seien Partikularinteressen wichtiger als Klimaschutz und leistungsfähige Bahnstrecken.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies weist darauf hin, dass die Bahn-Infrastruktur in vielen Bereichen nicht den aktuellen Deutschlandtaktplanungen genüge. Das gelte insbesondere für Hamburg. Ihm sei daher an einer realistisch umsetzbaren Lösung gelegen. „Die Debatte um neue Trassen in diesem Dreieck ist Jahrzehnte alt“, sagt er. „Gebaut wurde dennoch so gut wie nichts.“ Deshalb sei zu fragen, wie möglichst schnell Kapazitäten für eine umgehende Verlagerung auf der Schiene geschaffen werden könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen