piwik no script img

BND sammelte DDR-WitzeWas ist besser, Sozialismus oder Sex?

Kein Witz: Westdeutsche Geheimdienstler spähten aus, wie DDR-Bürger über ihre Regierung lästern. Das Buch „Ausgelacht“ erklärt, warum.

Sozialismus à la DDR, da kann man länger stöhnen. Foto: dpa

BERLIN dpa | Warum haben Volkspolizisten stets einen Hund dabei? Damit wenigstens einer eine Ausbildung hat. Was ist besser, Sozialismus oder Sex? Sozialismus, da kann man länger stöhnen. Das sind zwei der Witze aus der DDR, die der Bundesnachrichtendienst (BND) in streng geheimer Mission über Jahre zusammentrug. Politische Witze seien als Stimmungsbarometer für die Lage im Arbeiter-und- Bauern-Staat angesehen worden, schreiben die Herausgeber Hans-Hermann Hertle und Hans-Wilhelm Saure im jetzt erschienenen Büchlein „Ausgelacht“.

Regelmäßig verfassten westdeutsche Geheimdienstler demnach Sammlungen von Scherzen über DDR-Funktionäre, die SED-Spitze, die Zustände in Politik und Wirtschaft. Das „Konvolut der geballten Häme“ sei in den 80er Jahren direkt auf dem Schreibtisch des damaligen BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck gelandet. Und der habe es ans Bonner Kanzleramt weitergereicht.

1986 habe Wieck Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in einem Anschreiben erklärt: Zwar entspreche das Material nicht dem klassischen nachrichtendienstlichen Aufkommen. „Gleichwohl offenbart der politische Witz in totalitären Systemen mitunter Missstände und Gegenströmungen zur gelenkten öffentlichen Meinung drastischer und unmittelbarer, als ausgefeilte Analysen dies vermögen“, zitiert Historiker Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam aus dem Brief an den „sehr geehrten Herrn Bundeskanzler“.

„Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen“, schloss der BND-Chef seinen Brief. Doch Kohl soll nicht amüsiert gewesen sein. Erst 25 Jahre nach der Einheit sei für diese Akten aus dem Archiv des Bundeskanzleramtes im März dieses Jahres die Geheimhaltungsstufe aufgehoben worden, ist zu erfahren.

Witz-Spione bleiben anonym

Den Autoren zufolge waren es vor allem BND-Agenten, die sich in der DDR nach neuesten politischen Witzen umhörten. Wer die Witz-Spione waren, dazu gebe der BND bis heute keine Auskunft und auch keine Akten heraus. Es sei noch immer streng geheim, heißt es im Essay von Hertle und Bild-Chefreporter Saure zu „Ausgelacht“. Auch in Notaufnahmelagern seien DDR-Flüchtlinge zum neuesten DDR-Ulk befragt worden.

Nach Angaben des Ch. Links Verlages, in dem das Buch erschien, trug der BND allein zwischen 1986 und 1990 mehr als 400 politische Witze zusammen. 1989 habe sich der Spott verdichtet und sei schärfer geworden. Der Sozialismus siecht, hieß es etwa. Oder: Was ist der Unterschied zwischen der DDR und einem Betrieb? Im Betrieb sind die Fluchtwege gekennzeichnet.

Hertle und Saure gehen auch auf Spekulationen ein, dass sich der BND selbst Witze ausgedacht haben könnte – zur Destabilisierung der DDR. Auf ihre entsprechende Frage sei aus der BND-Zentrale in Pullach nur eine sehr kurze Antwort gekommen – „Nein!“. Die Autoren plädieren dafür, politische Witze als zeitgeschichtliche Quelle ernst zu nehmen und als Teil der DDR-Alltagskultur zu betrachten.

Die DDR-Staatsmacht habe gerade in den 50-er und 60-er Jahren nicht konforme Witze außerordentlich ernst genommen und deren Erzähler verfolgt, schreiben Hertle und Saure. Doch das sei nicht aufrechtzuerhalten gewesen. Denn zunehmend hätten selbst SED-Genossen über ihre Führungsspitze gelästert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "Die Firma" war ja der geläufige Ausdruck für "die Stasi" - eine Kritik. denn die Firmen waren ja VEBs.

    Eine Firma war was westlich dekadentes, was kapitalistisches.

    Volkseigen? Nee, die Stasi war ein Fremdkörper.

  • Wie witzig es ist in einem totalitären Regime systemkritische Witze zu erzählen und wie lustig die Genossen diese fanden, zeigt wohl der folgende Witz:

    "Politische Witze in der DDR sind alle nach dem 08/15. Null Jahre Gefängnis bekommt der, der Stasi verrät das es diesen Witz gibt.

    Acht Jahre der der lacht. Und fünfzehn für den der ihn erzählt hat."

  • Witze sind sehr gefährlich und wurden sogar im zweiten Weltkrieg als Waffe eingesetzt, muss man wissen:

    https://www.youtube.com/watch?v=LBWwezCcvMc

  • Ich wünschte wirklich, es gäbe heute noch politische Witze. Dann hätte ich doch wenigstens das gute Gefühl, eine nennenswerte Anzahl von Leuten (so viele halt, wie man zum Witzemachen braucht) wäre noch nicht komplett gehirngewaschen! Leider hat es sich im goldenen Westen inzwischen offenbar auch "ausgelacht". Und dagegen hilft, wie's aussieht, auch die angeblich alles regelnde Marktwirtschaft nicht mehr. Selbst solche Leute, die die Zustände wortlos karikieren, gehen inzwischen pleite - sofern ihre Kollegen nicht von Fanatikern erschossen werden. Nicht lustig, das.

    • @mowgli:

      politische Witze kann es doch nur da geben wo auch politik gemacht wird. und nicht Konzerninteressen einfach umgesetzt werden.

  • Mir wurde schon in den 1980er Jahren von zuverlässigen DKP-nahen Quellen berichtet, dass auch der ostdeutsche Geheimdienst diese Witze gesammelt hat. Gemeinsam mit deren Erzählern...

  • Als ehemaliger DDR-Bürger hätte ich mir einen Hinweis gewünscht, dass man damals kaum eine andere Möglichkeit hatte, seine Unzufriedenheit mit Mangelwirtschaft und Unterdrückung Andersdenkender zu äußern. Selbst damit durfte man es nicht übertreiben. Aber Leserbrief schreiben oder Demo veranstalten – undenkbar, sofern man nicht den Auftrag von der zuständigen SED-Parteileitung hatte und den Staat gebührend lobte und den „Westen“ samt BRD und USA entschieden kritisierte.

     

    Leider verstehen inzwischen immer weniger Leute diese Witze: Wie können Bananen, Auto-Anmeldungsfristen, Baumaterial jeglicher Art, … überhaupt Gegenstand von Witzen sein?

    Hier noch 2 Kostproben, die (hoffentlich) nicht mehr streng geheim sind:

     

    „Worin unterscheiden sich Kohl und Honecker?“ – „Kohl sammelt Kohl-Witze, Honecker sammelt die Leute ein, die Honecker-Witze machen!“

    „Was passiert, wenn man einen (DDR-) Ökonomen in die Wüste schickt?“ – „Drei Jahre lang gar nichts, dann wird allmählich der Sand knapp!“

    • @Pfanni:

      " … Demo veranstalten – undenkbar, sofern man nicht den Auftrag von der zuständigen SED-Parteileitung hatte und den Staat gebührend lobte und den „Westen“ samt BRD und USA entschieden kritisierte. … "

       

      Ach nee, sind etwa die Montagsdemos in Leipzig und die Kirchenkreise, mit denen der Anfang vom Ende anfing, alles nur Auftragsdemos der SED-Parteileitung gewesen, also quasi ein Gegenstück zu OTPOR/CANVAS?

       

      Ich habe das aber ein wenig anders mitbekommen, aber ich bin ja auch kein Typ, der immer nur herumjammert und immer nur die Schuld bei anderen sucht. Zum Glück haben auch in der DDR Menschen Mittel und Wege gefunden, ohne sich zu verbiegen oder einseitig dem Westen anzudienen.

      • @Khaled Chaabouté:

        Sorry, ich vergaß zu erwähnen, dass meine Feststellung die „bleierne Zeit“ betraf, die nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand 1953 begann, sich mit dem Mauerbau 1961 verschärfte und bis Mitte der 1980er Jahre reichte.

         

        Als dann das Volk allmählich die Angst vor der bröckelnden Allmacht der SED verlor, war das der von Ihnen erwähnte „Anfang vom Ende“ der DDR. Die Kirchenkreise agierten dann zunehmend öffentlich und die Montagsdemos in Leipzig, Ost-Berlin, Plauen, … mit hunderttausenden Teilnehmern begannen.

         

        Diese waren dann wirklich nicht von oben organisiert!

      • @Khaled Chaabouté:

        Die DDR bestand nicht nur aus friedlicher Revolution und Mauerfall.