BND mit eigener Selektorenliste: Freunde abhören geht doch
Offenbar hatte auch der BND befreundete Staaten im Visier. Abgeordnete sind empört, der Justizminister fordert „strengere Regeln“.
Ströbele erinnert an einen Merkel-Satz vom Herbst 2013, nach den Snowden-Enthüllungen: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“ Geht offenbar doch. Denn wie das Kanzleramt dem Bundestagskontrollgremium der Geheimdienste, in dem auch Ströbele sitzt, gestand, stellte auch der BND selbst Selektoren, also Suchbegriffe wie E-Mail-Adressen oder Telefonnummern, in seine Überwachungsprogramme ein, die auf europäische Botschaften, EU-Institutionen oder US-Behörden zielten. Von einer vierstelligen Zahl ist die Rede. Erst im Herbst 2013, nach Snowden, seien diese beim BND geprüft und aussortiert worden.
Warum aber wurde das Parlament erst jetzt darüber informiert, obwohl seit 2014 ein NSA-Untersuchungsausschuss tagt, obwohl dort BND-Chef Gerhard Schindler und Kanzleramts-Vertreter aussagten?
Ströbele spricht von einem „unglaublichen Vorgang“. Auch der SPD-Innenexperte Christian Flisek nennt dies „ein Stück aus dem Tollhaus“. Die Vorwürfe seien „extrem besorgniserregend“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte strengere Regeln für den BND. „Rechtsstaat und Grundrechte enden nicht an Deutschlands Grenzen.“
Schon bei NSA-Selektoren schwieg das Kanzleramt
Wie ernst die Vorwürfe sind, beweist, dass das Bundestagskontrollgremium umgehend beschloss, eine Taskforce kommende Woche in die BND-Zentrale in Pullach zu schicken und die Vorwürfe dort zu prüfen. Noch am Donnerstagabend sollte das Gremium in einer Sondersitzung erneut von der Regierung informiert werden.
SPD-Innenexperte Christian Flisek
Erst im Frühjahr wurde bekannt, dass die NSA mit BND-Hilfe Tausende europäische Ziele ausspähte. Die Empörung war groß. Der Bundestag setzte den Ex-Richter Kurt Graulich als Sonderermittler ein, um die Spähliste auszuwerten. Der will im November Bericht erstatten.
BND-Chef Schindler hatte behauptet, erst im Frühjahr von den problematischen NSA-Selektoren erfahren zu haben. Über die eigene Spionage bei Freunden informierte er das Kanzleramt angeblich bereits im Herbst 2013. Dort behielt man die Info für sich. Die Verteidigungslinie: Es ging nur darum, mit den Selektoren Informationen über Krisenländer wie Afghanistan oder Mali zu sammeln – nicht über die Verbündeten. Christian Ströbele zweifelt: „Das muss über befreundete Institutionen gehen?“ Wenn die Taskforce nach Pullach aufbricht, wird einer dabei sein: Ströbele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl