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BND mit Fehlanalyse zu AfghanistanVoll daneben

Nach der Fehleinschätzung in Afghanistan richten sich nun viele Blicke auf den Bundesnachrichtendienst. Die Union verzögert eine schnelle Aufklärung.

Sein Dienst steht nach der Afghanistan-Fehleinschätzung in der Kritik: BND-Chef Bruno Kahl Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Es war Selbstkritik – wenn auch eine, die das Versagen sogleich relativierte. „Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt“, gestand Kanzlerin Angela Merkel nach der Blitzmachtübernahme der Taliban in Afghanistan. Diese Sicht sei aber „weit verbreitet“ gewesen. Und auch Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte: „Es gibt nichts zu beschönigen: Wir alle, die Bundesregierung, die Nachrichtendienste und die internationale Gemeinschaft, haben die Lage falsch eingeschätzt.“

Es lagen also alle falsch. Tatsächlich rechnete in der Regierung niemand mit einem derart schnellen Eroberungszug der Taliban in Afghanistan. Und nun wird gestritten, wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte.

Viele Blicke richten sich jetzt auf eine Behörde: den Bundesnachrichtendienst (BND). Denn es wäre dessen originäre Aufgabe gewesen, die Lage in Afghanistan für das Kanzleramt präzise zu beurteilen. Aber auch er lag falsch. Und dürfte damit mitverantwortlich sein für die verzögerte Evakuierung von Botschaftsangehörigen und die verspätete Rettung von Ortskräften.

Tatsächlich soll der BND eine Machtübernahme der Taliban erst in mehreren Monaten erwartet haben. Noch am Freitag sollen Vertreter laut Bild auf einer Sitzung des Krisenstabs der Bundesregierung einen Fall Kabuls vor dem 11. September als „eher unwahrscheinlich“ bezeichnet haben. Die Gruppierung habe an einer militärischen Übernahme der Stadt „derzeit kein Interesse“. Zwei Tage später übernahmen die Taliban Kabul.

Der BND schweigt zur Causa Afghanistan

Der BND selbst schweigt dazu. Man äußere sich grundsätzlich nicht öffentlich zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, heißt es. Intern aber soll es zerknirscht zugehen, eine Aufarbeitung soll laufen. Offenbar hing der Dienst zu sehr an Zahlen von Streitkräften – ohne die geringe Kampfmoral der afghanischen Armee ausreichend einzubeziehen.

Und er folgte auch den Einschätzungen anderer Geheimdienste. So hatten US-Dienste noch im Juni einen Fall Kabuls innerhalb von sechs bis zwölf Monaten prognostiziert, vor einer Woche hieß es dann 30 bis 90 Tage. Gleichzeitig hätten die Dienste aber seit Juli gewarnt, wie unvorbereitet die afghanische Regierung auf Angriffe der Taliban sei, berichtet die New York Times. Je mehr Städte die Islamisten einnehmen würden, desto weniger Widerstand werde es geben.

Sondersitzung abgesagt

SPD, Grüne und FDP drängen nun auf eine schnelle Aufarbeitung der BND-Fehleinschätzung. Noch am Mittwoch wollten sie nach taz-Informationen eine Sondersitzung des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag einberufen. Die Union, AfD und Linke stimmten aber dagegen.

SPD-Geschäftsführer Carsten Schneider sagte, die Entscheidung mache ihn „sprachlos“. „Die Erkenntnislage der Dienste und insbesondere des BND, die vor Ort seit vielen Jahren präsent sind, gehört für eine umfassende politische Bewertung jetzt auf den Tisch.“ Auch Grünen-Obmann Konstantin von Notz kritisierte die abgelehnte Sitzung als „völlig unverständlich“. Die Erkenntnislage der Regierung und Dienste müsse „schnellstmöglich und umfassend aufgearbeitet werden“.

Sein Parteikollege Omid Nouripour nimmt den BND indes etwas in Schutz. Ja, dieser habe danebengelegen. Seit dem Abzug der Bundeswehr habe aber auch der BND kaum noch Leute in Afghanistan gehabt, so Nouripour zur taz. „Die Informationsgewinnung bleibt so natürlich überschaubar.“ Und man könne die politische Verantwortung nicht auf den Dienst verlagern. „Das ist eine Nebelkerze. Es haben alle in der Bundesregierung versagt.“

Auch die Ministerien lagen daneben

Tatsächlich forderte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) noch vor knapp zwei Wochen in einem Schreiben an die EU-Kommission das Aufrechterhalten von Abschiebungen nach Afghanistan. Alles andere wäre ein „falsches Signal“. Und das Auswärtige Amt erklärte noch Mitte Juli in einem vertraulichen Lagebericht zu Afghanistan, die dortige Sicherheitslage sei lediglich „volatil“. Es sei „möglich, dass sich der Trend der Ausweitung des Einflussgebiets der Taliban in den nächsten Monaten beschleunigen wird“. Aus den Monaten wurden letztlich Tage – und eine komplette Machtübernahme. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) steht deshalb nun breit in der Kritik.

Beim BND kommt diese inzwischen indirekt aber selbst aus der Union. „Wir brauchen ein besseres Lagebild“, erklärte Kanzlerkandidat Armin Laschet. Er plädiert für einen „Nationalen Sicherheitsrat“, der Informationen aller Nachrichtendienste, Ministerien und Botschaften zusammenträgt und für eine „Außen- und Sicherheitspolitik aus einem Guss“ sorge. „Ein Nationaler Sicherheitsrat war schon vor dem Fall von Kabul notwendig, jetzt erst recht.“

Auch sein Parteikollege Roderich Kiesewetter, Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, unterstützt die Forderung. Er plädiert ebenfalls für eine „Überprüfung unserer nachrichtendienstlichen Organisation“ nach der Afghanistan-Fehleinschätzung und brachte eine Zusammenlegung von BND und Verfassungsschutz ins Spiel.

SPD stellt sich gegen die Union

Beides aber lehnt die SPD bisher ab. Es sei nicht nachvollziehbar, wie eine Fusion der Dienste die Analysefähigkeit stärke, erklärte SPD-Sicherheitspolitiker Fritz Felgentreu. „Hier werden alte Lieblingsforderungen rausgeholt.“ Nötig seien dagegen mehr Ressourcen für die Bundeswehr, den Diplomatischen Dienst oder die Geheimdienste.

Auch FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae nannte die Forderungen ein „durchsichtiges Ablenkungsmanöver“. Eine Zusammenlegung der Geheimdienste hätte im Fall Afghanistans auch nichts gebracht. Statt voreiliger Schlüsse müsse zuerst aufgearbeitet werden, wo die Probleme bei der Lageeinschätzung lagen.

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14 Kommentare

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  • Ja, alle waren überrascht. Komisch dass es nur ein Journalist/Wissenschaftler namens Hanif Sufizada braucht, der ermitteln konnte, dass die Taliban 1,6 Mrd. $ eingenommen haben während der afghanische Staat im selben Zeitraum 5,5 Mrd $ eingenommen haben. Siehe krautreporter.de/4...so-viel-geld-haben. Was machen die Geheimdienste? Was würden die Regierungen machen, wenn sie das gewusst hätten? Aber wer sieht, wie überrascht die Union und auch die SPD in Bezug auf dem 'plötzlichen' Erscheinen des Klimawandels ist, den wundert nichts mehr. Wir haben nur noch Schläfer in Regierung und Ministerien. Hauptsache die Wirtschaft brummt.

  • Verstehe das Ganze immer noch nicht: Da weiß man, dass die Taliban demnächst (also in 3 Monaten oder auch in 9 Monaten erst) Kabul einnehmen werden. Womit das Land und seine Ressourcen für den Westen verloren - und für China und Russland zur Ausbeutung freigegeben sind. UND MAN LÄSST DAS EINFACH SO GESCHEHEN?

    • @oldgeorgy:

      Man hat doch mit Afghanistan in 20 Jahren nichts gemacht. Es wurden weder Bodenschätze noch Investitionen in nennenswertem Umfang gefördert. Man hat einfach nur 20 Jahre Leute geschmiert und ein wenig Wertefolklore betrieben.

  • Am Ende ist es nur eine grosse Presseschau? Eigentlich ist Afghanistan weit weg oder? Hungertote? Auch weit weg etc etc

  • Alle wundern sich, dass die Taliban so ohne Gegenwehr der regulären Armee Afghanistans in die Hauptstadt einziehen konnten.



    Niemand redet mehr über das feige Verhalten der regulären afghanischen Regierung, die sich einfach aus dem Staub gemacht hat.



    Versetzen wir uns einfach mal in die Situation eines Soldaten der regulären afghanischen Armee: dieser kämpft für sein Land und muss sehen, dass sein oberster Befehlsgeber einfach ins Ausland, in Sicherheit verschwindet. Ins Ausland, in der der Soldat der regulären afghanischen Armee nicht flüchten darf. Um sein Leben zu retten, was soll er machen? Weiter kämpfen, ohne dass der Kampf von irgend einen Verantwortlichen koordiniert wird? Er hat das getan, was jeder von uns auch getan hätte: er geht nach hause und kümmert sich um seine Familie.



    Glauben denn die, die jetzt alles besser wissen, dass sich die afghanische Regierung bei der amerikanischen offiziell abgemeldet haben? Dass sie ihre Flucht vor der Verantwortung mit der deutschen Regierung abgesprochen hat? Dass sie sich beim französischen Präsidenten persönlich verabschiedet haben?



    Wieso entlassen nun alle, die jetzt schon immer alles besser gewusst haben, diese feige Regierung aus der Verantwortung? Über das Verhalten dieser ex-Regierung redet niemand mehr

  • Typisch! Nach jedem Desaster wird ein Sündenbock gesucht. Keiner will Schuld (gewesen) sein, schon gar nicht allein. Denn Schuld (gewesen) zu sein, kann die Karriere ruinieren, an der Jahrzehntelang verbissen gehäkelt wurde. Nichts dazu gelernt zu haben, hat leider kaum jemals ähnliche Folgen (gehabt).

    Sollten morgen die Sauerstoffversorgung der Planeten und der weltweite Arten-Genpool kollabieren und sollte aus der Erderhitzung dank Golfstrom-Kollaps eine neue Eiszeit werden in Europa, wird ganz bestimmt oben an der Spitze der westlichen Welt eine (m/w/d) Person stehen, der/die/das ausrichten lässt: „Dass es so schnell gehen würde, hätten wir nicht gedacht. Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt. Aber die Einschätzung ist immerhin sehr weit verbreitet gewesen“. Das wird dann vielleicht sogar eine Art Wahrheit sein. Eine, die zumindest für die „oberen Etagen“ des „Hauses Europa“ gilt. Helfen wird sie allerdings niemandem, diese „Wahrheit“. Nicht einmal denen, die im obersten Stockwerk residieren. Die werden bloß wieder ein klein wenig länger ein klein wenig besser wegkommen als alle anderen.

    • @mowgli:

      Lieber Mowgli,

      danke, dass Sie die Parallele "unseres" Verhaltens zwischen Afghanistan und dem Weltklima hergestellt haben.

      In beiden Fällen kam bzw. kommt es durch Ignoranz und Selbstzentrierung zu eklatanten Fehleinschätzungen.

      Im ersten Fall trifft es "nur" ein Volk am fernen Hindukusch von ca. 40 Mio.

      Im zweiten Fall betrifft es "uns" alle - 8 Mrd. Menschen.

  • Verlogen,

    seit Jahren wurde in einschlägigen, echten journalistischen Medien jenseits des "Mainstreams" - etwa in LmD, FREITAG und Fachblättern - davor gewarnt, dass das sog. "state building" in Afghanisten gescheitert ist - weil es a) kaum versucht wurde, b) finanziell zu wenig unterlegt war und c) nicht aus Sichtweise der Afghanen erfolgte... "Frauenrechte und Modernisierung" brachte schon die "sowjetische Marionettenregierung" den Afghanen Ende der 1970er, gegen die dann CIA & Co die heutigen "Islamisten" in Stellung brachten. Seit 40 Jahren nichts als Heuchelei und westliches Totalversagen... Es wurde an die 2 Billionen US-Steuergelder an private US-Firmen und angeschlossene afghanische Korruption umverteilt. DAS war und ist der Hauptgrund für "unklare militärische Zielsetzungen" sog. westlicher "humanitärer Missionen". Die Taliban werden das Land auf ihre Weise und im Rahmen afghanischer Traditionen befrieden - und der Rest sollte sich raushalten.

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @Holger Knaak:

      Afghanische Tradition ist eher dass für Dekaden sich eine Großmacht in den Staat setzt und versucht die Bevölkerung grundlegend zu verändern. Zuerst die Sowjets und dann nach ein paar Jahren die USA die die ganze Nato nachholen ….. und immer wieder werden die ‚konservativsten‘ Kräfte des Landes bei diesen Aktionen nicht nur aktiver sondern auch ablehnender den Fremden gegenüber und radikaler in der Durchsetzung

      • @92293 (Profil gelöscht):

        was sind denn afghanische Traditionen? Die Taliban haben maximal ihre Sicht von Traditionen, vor denen 80% der Afghanen Angst haben. Verbrecher mit Maschinengewehren ... kannst sie auch Faschisten nennen

        und die Frauenrechte haben nicht die Sowjets gebracht. Das Land war in den 60ern relativ freizügig. Du solltest deinen Blick auf die Leute dort hinterfragen.



        bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Afghanen sich den Verbleib der Besetzer gewünscht hatten

        • 9G
          92293 (Profil gelöscht)
          @JolandA:

          Siehe die Publikation der Franz. Wissenschaftlerin die an der university Columbia lehrt …. Peacebuilding hauptsächlich von oben und von ausländischen Mächten kann nicht zu einem schnellen Erfolg führen

  • so richtig glauben an die Besorgnis der Politiker kann ich nicht. Sarkastisch ausgedrückt: In Wahrheit ist denen das scheiss egal, Hauptsache es springen eigene Vorteile dabei heraus!

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Tja Leute achtet darauf wen ihr wählt, wenn die cdu im Kanzleramt sitzt gibt es massive Aufstockung für bnd und Verfassungsschutz, bei der spd wäre es etwas moderater …… Unzulänglichkeit barbieren und im nachgang mehr Materialien bekommen das ist typisch Behörde

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @92293 (Profil gelöscht):

      Barbieren sollte wohl praktizieren heißen