BGH entscheidet über Schleuser-Beihilfe: Ist Koffertragen strafbar?
Der Bundesgerichtshof muss festlegen, wann sich ein Flüchtling selbst als Schleuser strafbar macht. Reicht es dafür schon, „Ansprechpartner“ zu sein?
2018 verurteilte das Landgericht Osnabrück einen überlebenden 28-jährigen Afghanen wegen „Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern mit Todesfolge“ zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren. Vor dem Prozess saß der Mann sieben Monate in U-Haft. Ihm wurde vorgeworfen, er habe sich gegenüber den Schleppern bereit erklärt, als „Ansprechpartner“ und „Kontaktperson“ für zwei allein reisende afghanische Frauen und ihre vier Kinder zu fungieren. Alle sechs waren dann bei dem Unglück gestorben.
In der Revision beim BGH beantragte der Anwalt des Afghanen, Till Günther, einen Freispruch. Dass der Afghane den Frauen beim Koffertragen und beim Einkaufen half, könne nicht strafbar sein. „Der Mann hat gemacht, was jeder anständige Mensch auch gemacht hätte“, sagte Anwalt Günther. Im Übrigen sei völlig unklar, was es heiße, „Ansprechpartner“ zu sein, das Landgericht habe dazu nichts Konkretes festgestellt. „Der Angeklagte gehörte zur Gruppe der Geschleusten, nicht zur Gruppe der Schleuser“, so der Verteidiger.
Jochen Weingarten, der Vertreter der Bundesanwaltschaft, ließ offen, ob das Koffertragen nur eine sozialübliche und damit straflose Gefälligkeit war. Allerdings sei die Zusage, sich um die Frauen zu kümmern, eine strafbare Beihilfe gewesen, denn dadurch habe er die Schleuser von der Betreuungsaufgabe entlastet. Eine Reise ohne männlichen Begleiter wäre nicht in Betracht gekommen. „Dadurch hat sich der Mann auf die Seite der Schleuser gestellt.“
Der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer sagte, der Fall liege „im Grenzbereich“, es werde eine „knappe Entscheidung“ geben. Das Urteil soll am 14. November verkündet werden.
Der angeklagte Afghane lebt inzwischen in Norddeutschland und hat Arbeit als Lagerist gefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?