Autorin über Rassismus bei der Polizei: „Eine diskrete Art der Tötung“
Wenn sie einen Schwarzen Menschen sehen, greifen Polizist*innen schnell zur Waffe, sagt Georgiana Banita.
taz: Frau Banita, warum lösen tödliche Fälle rassistischer Polizeigewalt in Deutschland – anders als in den USA – kaum Diskussionen aus?
Georgiana Banita: In den USA sind die Opfer rassistischer Polizeigewalt oft Latinos oder Afroamerikaner, die die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen. Also Bürger mit verbrieften Rechten. Das trifft auf die Opfer in Deutschland nicht zu. Es sind oft Geflüchtete, abgelehnte Asylbewerber, Geduldete. Das zeigt, dass die Polizei nach wie vor eine Grenze bewacht: Hier die Staatsbürger, dort die Fremden.
In einem Kapitel Ihres Buches geht es um tödliche Polizeigewalt bei Abschiebungen. Inwiefern ist das ein Thema?
Im Laufe der Zeit hat sich das Vorgehen bei Abschiebungen verändert. In den 90ern schob man Menschen per Passagierflugzeug ab. Inzwischen ist die enthumanisierende Behandlung politisch zu unbequem geworden, sodass sie nur noch per Charterflug durchgeführt wird. Aber am Regelwerk hat sich nichts geändert. Man wird aus dem Alltag gerissen, mit einem Abschiebekommando zum Flughafen gezwungen, fixiert. Dass dabei Menschen sterben, wird als Risiko akzeptiert.
1980 geboren, promovierte Amerikanistin und Kulturwissenschaftlerin.
So passiert es dem Sudanesen Amir Ageeb, laut Ihnen dem deutschen Pendant zu George Floyd.
Er wehrte sich bei seiner Abschiebung im Flugzeug. Die Polizist*innen drückten ihm einen Motorradhelm auf, bis er nicht mehr atmen konnte. Das Ersticken als Tötungsmethode ist bei der Polizei weit verbreitet. Es ist eine diskrete Art der Tötung. Es nimmt mehrere Minuten in Anspruch und wird zum Teil beobachtet oder gefilmt, wie bei George Floyd. Bei Amir Ageeb schauten Passagiere zu, bis er reglos auf den Sitzen lag. Niemand hat reagiert. Polizeitötungen werden einfach so hingenommen, weil die Betroffenen als sehr gefährliche Menschen inszeniert werden.
Dazu tragen unter anderem die Phantombilder bei, die Sie sogar im Titel des Buchs erwähnen. Was ist das Problem an ihnen?
Sie basieren auf den subjektiven Wahrnehmungen und den Vorurteilen von Zeug*innen und polizeilichen Softwaretechniker*innen. Sie sind so wenig belastbar, dass man sie als Kulturbilder analysieren muss, denn sie sind Ergebnisse der Erwartungen der Gesellschaft, die gewissen Phänotypen Gefährlichkeit zuschreibt.
Also neigen Zeug*innen dazu, Gesichter von Kriminellen als „südländisch“ oder „afrikanisch“ zu beschreiben?
Es ist wissenschaftlich belegt, dass afrikanisch geprägte Gesichter in Europa und den USA verstärkt als gefährlich wahrgenommen werden. Wenn solche Bilder von Kriminellen verbreitet werden, verfestigt sich die Vorstellung, es gäbe eine Veranlagung von Kriminalität bei als fremd gelesenen Menschen.
Warum werden Phantombilder noch benutzt, wenn sie kaum belastbar sind?
Für die Ergreifung von Straftätern sind sie nutzlos. Sie dienen eher der Verbreitung der Korrelation zwischen demografischen Gruppen und krimineller Gefahr. Sie sind ein politisches Machtinstrument, um eine gewisse gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
Sie sprechen in Ihrem Buch von „ballistischem Rassismus“. Was meinen Sie damit?
Die Tendenz, die Schusswaffe als favorisierte Methode im Umgang der Polizei mit schwarzen Menschen zu benutzen. Also der polizeiliche Instinkt, zur Schusswaffe zu greifen, wenn man mit einem Schwarzem Menschen konfrontiert wird. In den USA geht das auf die Angst vor der Rache Schwarzer Menschen zurück, die von der Sklaverei traumatisiert sind. Man sieht einen Schwarzen und geht davon aus: Er ist bewaffnet – nicht nur mit Munition, auch mit Wut.
Phantombilder – eine kulturhistorische Analyse von Polizeigewalt. Erschienen in Hamburg, Edition Nautilus, 480 S., 24 Euro
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