Prozess gegen Journalistin in Berlin: Wie eine Vergeltungsmaßnahme
Prozess gegen Journalistin wird eingestellt. Sie wurde beschuldigt Polizist*innen „Nazi-Cops“ genannt zu haben. "Nicht mein Wortschatz", so die Angeklagte.
Die Polizistin und zwei weitere Personen hatten die Journalistin beschuldigt, sie bei einem Einsatz am 19. Januar 2020 mit den Worten „Nazideutschland, Scheiß-Deutschland, Nazi-Cops“ beleidigt zu haben. Die Journalistin erzählt am Freitag im Gerichtssaal, dass sie die beiden Beamt*innen an jenem Tag selbst zu Hilfe gerufen habe, da sie nach einem Einkauf am Ostbahnhof von einem Supermarktangestellten mehrfach mit den Worten „Geh raus aus Deutschland“ beleidigt worden sei.
Von den diensthabenden Polizist*innen habe sie sich vor Ort und später auf der Wache allerdings nicht unterstützt gefühlt, ein Beamter sei ihr gegenüber aggressiv aufgetreten. Diese Aussage bestätigt auch die Polizistin im Gerichtsaal.
Die Journalistin hatte Anzeige gegen den Supermarktmitarbeiter erstattet, der Fall wurde nach der Verhandlung am 2. August 2021 fallen gelassen. Über die Frage des für den seinerzeitigen Prozess zuständigen Richters, ob sie die Beamt*innen bei dem Vorfall als „Nazi-Cops“ beschimpft habe, sei sie sehr überrascht gewesen, sagt die Journalistin am Freitag vor dem Amtsgericht. „Das sind Worte die ich nicht nur an diesem Tag nicht benutzt habe, sondern generell nicht benutze.“ Da der Supermarktmitarbeiter, der wegen Beleidigung angeklagt war, das aber behauptete und die Polizistin dies vage bestätigte, hatte der zuständige Richter Strafanzeige wegen Falschaussage gegen die Journalistin erstattet.
Polizistin kann sich nicht mehr erinnern
Beim Prozess am Freitag kann sich die Polizistin allerdings nicht mehr erinnern, ob Wafaa Albadry sie und ihren Kollegen in der aufgeheizten Situation wirklich mit diesen Worten beleidigt habe. Auf wiederholte Nachfrage der Anwältin Ilil Friedman, ob sie sich an genau diese Worte ihrer Mandantin erinnern könne, antwortet die Beamtin schließlich mit „Nein.“ Der Prozeß wird daraufhin ohne Auflagen eingestellt, die Anwaltskosten muss Wafaa Albadry allerdings selbst tragen.
Für ihre Anwältin ist dieser Ausgang eine pragmatische wenn auch unbefriedigende Lösung. Sie sieht ihre Mandantin durch die Strafanzeige vorverurteilt. „Für mich als Journalistin wiegt dieser Vorwurf schwer,“ bestätigt auch Wafaa Albadry nach der Verhandlung. „Auch als alleinerziehende, schwarze Frau trifft mich das hart. Es fühlt sich an wie eine Vergeltungsmaßnahme, weil ich mich getraut habe Diskriminierung in Deutschland anzuzeigen.“
Ihre Anwältin vermutet gegenüber der taz, dass es zur Strafanzeige kam, weil der Richter ein Zeichen setzen wollte. Die Staatsanwaltschaft habe den Fall ohne kritische Prüfung verfolgt. Die Polizistin hingegen müsse keine Konsequenzen wegen ihrer nicht haltbaren Beschuldigung befürchten, vermutet die Anwältin. „Wir haben auch darüber nachgedacht, dass sie konsequenterweise belangt werden müsste. Aber Polizisten erhalten in so einem Fall schlimmstenfalls eine Belehrung.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung