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Au­to­r*in über Mutter-Kind-Roman„Ein Spannungszustand“

Luca Mael Milsch erzählt in „Sieben Sekunden Luft“ von einer engen Mutter-Kind-Beziehung und den Konsequenzen für den Lebensweg des queeren Kindes.

Dabei bis zum Lebensende: Hauptfigur Selah arbeitet trotz künstlerischer Begabung in der Pflege Foto: dpa | Jens Wolf
Interview von Lilli Uhrmacher

taz: Luca Mael Milsch, wir begegnen der Hauptfigur Selah am Anfang Ihres Romans als sie am Ende ihrer Auszeit von der Arbeit ist …

Luca Mael Milsch: Die einzelnen Kapitel und deren Zeitstränge sind immer zu Kipppunkten im Leben der Figur geschrieben. Der Roman beginnt nicht dort, wo noch alles offen ist, zu Beginn von Selahs Auszeit von der Arbeit bei einem ambulanten Palliativdienst, sondern am Ende. Der Figur ist da eigentlich schon klar, dass sich, zumindest in dieser Lebensphase, nicht mehr so viel verändern wird.

Ist die Palliativstation auch symbolisch?

Ja, das Pflegen ebenfalls. Die Figur wächst mit einer alleinerziehenden Mutter auf. Selah lernt früh, sich um die Belange der Mutter zu kümmern. Im Erwachsenenalter spiegelt sich das in der Jobwahl wider. Später liegt die Mutter im Sterben – und Selah findet sich auf andere Art in der Palliativpflege wieder, nämlich im Hospiz.

Wieso haben Sie für den Roman unterschiedliche Erzählperspektiven gewählt?

Ana Maria S Prado
Im Interview: Luca Mael Milsch

schreibt und übersetzt Lyrik und Prosa, war nach dem Literaturstudium bis 2020 sechs Jahre Mitglied des Literarischen Salons Hannover.

Ich erzähle die Geschichte einer queeren Figur. Deren Lebenslauf entspricht nicht den klassischen gesellschaftlichen Erwartungen. Das sollte sich auch in der Erzählweise wiederfinden. In den Stimmen wollte ich die Komplexität der Figur spiegeln. Die Ich-Figur als Kind ist sehr nah an sich dran. Wir können die Glaubenssätze der Mutter, die auch den Glaubenssätzen der Gesellschaft entsprechen, noch sehr klar hören. Je älter sie wird, desto weiter entfernt sich die Erzählperspektive vom innersten Kern der Figur, bis zu einer sehr großen Distanz, die in der Geschichte im Jahr 2017 erreicht ist. Es gibt ein großes Spannungsverhältnis zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Diese einzelnen, ambivalenten Stimmen trägt die Figur ein Leben lang in sich. Sie werden in der zeitlich letzten Erzählinstanz im Jahr 2023 wie bei einer Art Versöhnung zusammengeführt.

Wie haben Sie die Hauptfigur gefunden?

Das Buch und die Lesung

Roman „Sieben Sekunden Luft“, Innsbruck, Haymon Verlag, 264 S., 22,90 Euro

Lesung Conti-Foyer, Königsworther Platz 1, Hannover, 20 Uhr

In der Geschichte geht es um den Wunsch nach einem Milieuwechsel innerhalb der Familie. Dabei porträtiere ich auch die Kleinstfamilie; die sehr enge Mutter-Kind-Beziehung, der fehlende Vater, die Verantwortung, die dadurch auf der Mutter lastet. Als Kinder sind wir immer auch Verlängerung der Leben der eigenen Eltern. Ich wollte gerne eine künstlerisch-begabte Figur angucken der, auch deshalb, ihr Lebensweg verunmöglicht wird.

Was hat sie inspiriert?

Beobachtungen und Gespräche mit Menschen; das Erkennen, dass sie stark von Projektionen, Hoffnungen der Elternteile und Gesellschaft beeinflusst aufwachsen. In vielen, vor allem queeren Menschen kann dadurch ein Spannungszustand entstehen. Der Frage, inwieweit es möglich ist, sich aus diesem zu lösen, auch abseits von Schmerzen durch gesellschaftliche Zuschreibungen, gehe ich schreibend nach.

Und die Politik?

Die Art und Weise, wie politisiert das Elternhaus ist, prägt auch die Kindergeneration. Die Mutter in dem Roman versteht sich eher als unpolitisch. Sie ist eine Figur, der das Leben so ein bisschen passiert ist. Mich hat interessiert, wie stark kapitalistische, aber auch patriarchale Strukturen in diesen kleinen Raum hineinwirken, der von sich selbst behaupten würde, dass er unpolitisch ist. Selah macht einen politischen Bewusstwerdungsprozess durch. Die Figur erkennt sich selbst und auch die Mutter als Körper in einem System, das beide zugerichtet hat.

Wie verlief der Schreibprozess?

Die Brüche im Leben von Selah finden sich auch in der Erzählweise. Der Roman ist wortwörtlich eine Collage: Zuerst habe ich sehr lange an den einzelnen Erzählungen, Zeitsträngen und deren Perspektiven gearbeitet, weil sie das Wesen der Figur zu dieser Zeit stark spiegeln. Dann habe ich ihn ausgedruckt, auseinandergeschnitten und arrangiert.

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