Autorin Eva Reisinger über Österreich: „Da sind wir beim Führerkult“
Ein modernes Land sollte sich nicht durch Ausgrenzung definieren. Journalistin Eva Reisinger spricht über ihr Buch „Was geht, Österreich?“
taz am wochenende: Frau Reisinger, in Ihrem Debüt als Autorin schreiben Sie über Ihre Heimat Österreich, dessen Politik und das Aufwachsen mit „Wodkabull und dem Herrgott“. Wie war es denn, im „oberösterreichischen Nichts“ – dem Hausruckviertel – aufzuwachsen?
Eva Reisinger: Da, wo ich herkomme, ist es recht flach, es gibt nicht mal wirklich Berge – also nicht gerade die Kulisse einer Österreichwerbung. Das Dorf, in dem ich aufwuchs, liegt zwischen dem Geburtsort Hitlers und einer Stahlproduktionsfirma. Es gibt viele Bundesstraßen und Bauernhöfe und sonst sehr wenig. Das Leben dort ist etwas zwischen sehr entschleunigt und fad. Als Kind war es sehr schön, weil wir, egal bei welchem Wetter, immer draußen spielten, bis es dunkel wurde. Schwierig wurde es erst als junge Erwachsene, wenn man doch etwas mehr will und sich eine bessere Infrastruktur wünscht – die ist sehr begrenzt dort am Land.
Ihre jugendliche Freizeit, beschreiben Sie, bestand aus Abhängen am Supermarktparkplatz, Frühschoppen, Vorglühen und Schaumpartys. Eine wichtige Rolle spielte dabei die JVP – die Jugendorganisation der ÖVP, der Österreichischen Volkspartei.
Ja, Partys, Bälle, Zeltfeste, Punschstände, so gut wie alles, was es bei uns so an Freizeitbeschäftigungen gab, hat die JVP organisiert. Man kann sich das wie einen Verein vorstellen, wo alle Mitglied wurden, weil man das halt immer schon so gemacht hat.
Das heißt, Sie waren auch Mitglied der JVP?
Nein, ich selbst nicht, aber die meisten meiner Freund*innen. Für uns war das so unpolitisch wie die freiwillige Feuerwehr. Dort ging es vorrangig gar nicht um politische Themen, sondern eher um den Zusammenhalt und die Gemeinschaft. Aber im Endeffekt ist das Ganze natürlich sehr politisch, weil es schließlich die Jugendorganisation einer Partei ist. Die ÖVP sucht so ganz gezielt nach jungen Gesichtern, wie Sebastian Kurz, der ebenfalls die JVP leitete. Mittlerweile ist nicht nur Kurz österreichischer Bundeskanzler, auch viele seiner Spezis von damals haben wichtige Positionen in der Regierung. Viele, die damals eher unbedacht Mitglied wurden, stehen heute zu hundert Prozent hinter Kurz – weil der ja immer so sympathisch war und ihrer Meinung nach viel für die jungen Leute getan hat.
Mit Sympathie gewinnt man also in Österreich Wahlen?
geboren 1992, verließ die österreichische Provinz nach der Matura so schnell wie möglich, um in Wien Journalismus zu studieren. Anschließend arbeitete sie für Medienhäuser in Hamburg, Berlin und Istanbul. Mittlerweile lebt sie wieder in Wien und arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, 288 Seiten, 12 Euro.
Ich glaube, es ist grundsätzlich immer so in der Politik, dass all die unpolitischen Dinge einen sehr hohen Stellenwert haben – eben auch, wie sympathisch jemand rüberkommt. In Österreich ist das noch mal wichtiger als vielleicht in Deutschland. In meiner Tätigkeit als Journalistin führe ich auch Interviews und da kommt es oft vor, dass Menschen sagen, der Sebastian sei ja so sympathisch, erstens weil er jung ist und zweitens ist er ja auch fesch. Viele haben automatisch das Gefühl, dass er durch sein Alter für etwas Neues steht und das bisher Dagewesene aufbricht.
Und das stimmt nicht?
Nein, die Dinge, die er sagt, unterscheiden sich oft gar nicht so sehr von denen des ehemaligen Koalitionspartners FPÖ. Deren vorheriger Vorsitzender Heinz-Christian Strache und Kurz haben sich beide dafür ausgesprochen, die Balkanroute zu schließen. Während Strache bei den Diskussionen gern herumgebrüllt hat, hat Kurz das halt nur netter verpackt. Das ist dieses Schwiegersohnphänomen, von dem Kurz profitiert, weil viele denken, wer so nett ist, der kann gar kein Rechtspopulist sein. Dabei beschwert sich sogar die FPÖ, dass ihnen die ÖVP immer wieder die Themen „klaue“, darunter einen Slogan für den Wahlkampf 2019, den schon Jörg Haider in den Neunzigern nutzte.
Sie erwähnen, dass ein wichtiger Teil der österreichischen Mentalität die Obrigkeitshörigkeit ist. Sehnen sich die Österreicher*innen nach einem politischen Führer?
Es gibt Studien, nach denen sich jeder Vierte in Österreich unter gewissen Umständen eine starke Führungspersönlichkeit an der Spitze wünscht, jemanden, der*die sich auch mal über die Demokratie hinwegsetzt. Da sind wir dann bei einem Führerkult, würde ich behaupten. Darüber müssen wir schon ernsthaft sprechen, weil ich darin eine Gefahr für unsere Demokratie sehe. Wir sollten uns also fragen, wo das herkommt. Diese Menschen denken ja, wenn es so eine Person gäbe, würde die in ihrem Interesse handeln. Das ist meiner Meinung nach Blödsinn. Wann gab es denn hier in der Vergangenheit jemanden, der Macht hatte und sich wirklich für die Interessen aller eingesetzt hat?
Die Obrigkeitshörigkeit lässt sich auch in Bezug auf Corona sehen, Stichwort Skifahren.
Man gibt die Verantwortung hier gerne ab. Wenn es von oben heißt, zu Weihnachten dürfe man zehn Personen sehen, dann werden diese zehn Personen auch gesehen. Mit dem Skifahren verhält es sich ähnlich – man soll nur aus triftigen Gründen das Haus verlassen, auf die Piste gehen ist aber in Ordnung.
Und das, obwohl Skigebiete wie Ischgl die Verbreitung von Corona vorangetrieben haben.
Ischgl ist eh ein super Beispiel für die österreichische Mentalität. Der ORF hat dort kürzlich den zweiten Teil einer Dokumentation zu Ischgl und Corona gedreht. Da hieß es von Interviewten, dass man dort ja nichts für die Ausbreitung des Virus könne, das sei die Schuld der Deutschen gewesen, die Corona vom Karneval mitgebracht hätten. Das ist echt typisch Österreich; alle anderen sind schuld, bloß wir nicht.
Sie nennen das „Opfermythos“.
Ja, das steckt ganz tief in der österreichischen Seele: Wir können nichts dafür, egal um was es geht. Früher war das Land Hitlers erstes Opfer, heute das der EU. Da muss sich Österreich zu Recht viel Kritik von außen anhören. Ich wage zu behaupten, dass vieles in Österreich heute anders wäre, wenn wir uns verantwortungsvoller mit unserer Vergangenheit und unserer Verantwortung im Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt hätten. Dann hätte sich nicht – nur zehn Jahre nach Kriegsende – eine FPÖ aus Altnazis gründen können, die seitdem immerhin viermal Teil der Regierung war.
Sie beschreiben Österreich als ein Land mit zwei Gesichtern. Wie meinen Sie das?
Einerseits gibt es eine gelassene Wurschtigkeit, durch die sich die Österreicher*innen auszeichnen. Die geht auch mit Aussagen wie „passt scho“ einher und hat etwas durchaus Sympathisches. Auf der anderen Seite kann diese Wurschtigkeit aber auch problematisch sein, besonders wenn es um politische und gesellschaftliche Themen geht.
Haben Sie dafür Beispiele?
Ich glaube, es gibt bei uns eine starke Zivilgesellschaft, die auch ziemlich linksorientiert ist. Da wurde schon in den Neunzigern gegen Jörg Haider und seine rechte Politik demonstriert. Auch die Donnerstagsdemonstrationen ab 2000 oder Initiativen wie die „Omas gegen Rechts“ heute zeigen, dass es Widerstand gegen rechtskonservative Ansichten gab und gibt. Nur finden diese Leute hier irgendwie keine politische Heimat.
Am Ende Ihres Buches zitieren Sie Thomas Bernhard: „Wir Österreicher haben nichts zu berichten, außer, dass wir erbärmlich sind.“
Ein Thomas Bernhard darf in einem Buch über Österreich natürlich nicht fehlen. Aber ich sehe das nicht so düster wie er. Deswegen habe ich auch das Buch geschrieben. Ich denke, wir müssen anfangen, uns kritisch mit unserem Land auseinanderzusetzen. Dort, wo keine Schuld existiert, kann auch keine Kritik geübt werden. Die braunen Flecken, der ständige Rassismus und Rechtsruck sind aber real. Da müssen wir drüber sprechen. Ich frage mich, warum wir uns nicht darauf konzentrieren, was wir gut können, und anfangen, das mit anderen zu teilen. Sich durch Ausgrenzung zu identifizieren, das haben wir jetzt lang genug gemacht.
Was kann Österreich denn gut?
Mehlspeisen, zum Beispiel.
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