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Trotz Corona-AusbruchIschgl bleibt authentisch

Andreas Rüttenauer
Kommentar von Andreas Rüttenauer

Vom Tiroler Skiparadies aus eroberte Corona halb Europa. Vor Ort hielt man dicht – auf dass die Party niemals ende.

In Ischgl ging es die vergangenen Wochen nur um eines: Saufen Foto: picture alliance

W ährend des Winters ist die Gaudi in Ischgl zu Hause. Im Norden Tirols ist man lustig und fidel. Oder man wird es schnell, denn weit muss man nicht fahren im riesigen Skigebiet der Silvretta Arena, will man der Laune mit Alkohol auf die Sprünge helfen. Die hohen Gipfel grüßen aus dem Engadin und machen sich gut als Hintergrund auf Instagram. Es muss ja keiner wissen, dass man seinen Skipass nicht so richtig ausfährt. Mit dem Jagatee in der Hand kann man von der Terrasse der Bergraststätte Höllboden aus die Könner sehen, die sich die schwarze Piste von der Greitspitze in das Höllkar hinunterstürzen, als gäbe es kein Morgen.

Allein ist man nie in Ischgl. Mehr als 10.000 Übernachtungsbetten hat der Ort – mit Lounge, Bar, Spa und allem Drum und Dran. Einen sozialeren Ort wird man sich kaum denken können. Ganz nah kann man sich kommen in den großen Lokalen, wo abends nach dem Skifahren das Stehvermögen ein weiteres Mal auf die Probe gestellt wird. Am Ballermann der Alpen bekommt Respekt, wer nicht mehr grade gehen kann, weil er zu viel gesoffen hat. Hier ist noch Held, wer viel verträgt. Und der Mann, der zur Partymusik irgendeiner Frau so nahe kommt, dass man es anderswo, und das zu Recht, wohl als Verbrechen bezeichnen würde, muss keine Angst haben, belangt zu werden in dieser Perle der Alpen.

Und wer jetzt sagt, das sei doch alles nicht mehr schön, das seien nicht die echten Aplen und Ischgl sei alles andere als original tirolerisch, der wird gerade eines Besseren belehrt. Von Ischgl aus erobert dieses Virus halb Europa. Ischgl wird zum Hotspot von Corona. Und eine Woche lang passiert rein gar nichts in dem Ort. Die Lifte laufen und die Partys sowieso. Keiner meldet oder tut gar was. Alle halten dicht im Ort, auf dass die Feier niemals ende.

Ischgl ist geblieben, was es immer war – ein aplenländisches Bergbauernkaff. Dort halten die Menschen noch zusammen gegen den Rest der Welt. Und wenn die Welt verreckt, Ischgl ist authentisch.

Und jetzt, nachdem der Ort geschlossen hat, sagt der Bürgermeister, er glaube nicht, dass Corona dem Image von Ischgl geschadet hat. Recht hat er. Diesem Image konnte schon lange nichts mehr schaden. Darauf einen Jagatee!

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11 Kommentare

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  • @ FREIBADBEA







    Mal ein paar Anekdoten aus eigener Erfahrung in Ischgl:



    1) Vor ca. 10 Jahren saß ich mit einer großen Runde im Kitzloch in Ischgl. Leider saßen am Nachbartisch offensichtlich etwas zu reiche Russen und haben eine Flasche teuersten Champagner nach dem anderen getrunken. Stilecht wurden die Flaschen mit dem großen Küchenmesser geköpft (Säbel war nicht organisierbar). Großzügig wurden die Glassplitter im ganzen lokal verteilt, auch über uns, auch über das Salatbuffet. Hat die Bedienungen und den Betreiber NULL interessiert. Die waren so geldgeil und konnten doch so viel an den Russen verdienen. Nochmal: Glasscherben im Salatbuffet!



    2. Im Jahr 2015. Nach zwei Tagen hatte der ganze Trupp Magen-Darm und los ging`s oben auf der Piste. Der Arzt an der Silvrettabahn verkündete völlig emotionslos, dass seit Wochen Magen-Darm grassiert - wer abreist gibt den Virus an die neuen weiter. Es gab keine Hinweise oder Warnungen der Gastgeber, der Wirte oder irgendwo im Dorf.



    Ischgl hat ein tolles Skigebiet, aber zu viele Leute dort interessieren sich nur für`s Geldraffen. Die Gesundheit und das Wohlsein der Gäste spielen ganz offensichtlich zu oft überhaupt keine Rolle, interessieren nicht, solange der Rubel rollt. Das ist m.E. die bittere Wahrheit.

  • Kein Wintersportort in den Alpen hat so viele Neider und Gegner wie Ischgl, was sich mal wieder an dem Artikel hier zeigt. Was alle Artikel, die Ischgl immer wieder durch den Kakao ziehen, gemeinsam haben, ist die Offensichtlichkeit, dass deren Verfasser noch nie einen Winterurlaub in Ischgl verbracht haben.



    Man muss den Ort nicht mögen, aber Fakt ist:



    - Ischgl hat eines der besten und größten Skigebiete im ganzen Alpenraum



    - Ischgl hat den modernsten Standard bei Liftanlagen und Bergbahnen



    - Ischgl hat die höchste Dichte an 4-Sterne-Hotels in Österreich



    - Der Ort selber ist kompakt gebaut, alles ist zu Fuß erreichbar



    - Das Skigebiet ist von Anfang Dezember bis Ende April schneesicher

    Bekanntermaßen hat Ischgl auch einen ziemlich dicken Aprés-Ski, aber vom Ort als Ballermann der Alpen sprechen nur diejenigen, die noch nie dort waren und sich von den Klischees anderer ihre eigene Meinung bilden. Auch ich gehe gerne nach dem Skifahren noch auf ein Bier in die Trofana-Alm oder die Schatzi-Bar, aber vor allem fahre ich nach Ischgl wegen dem grandiosen Skigebiet. Aber auch aus einem weiteren Grund (und deshalb hat Ischgl ja auch diesen Ruf als Party-Ort): Weil er die gute Laune, die beim Skifahren zwangsläufig entsteht (sofern man verletzungsfrei wieder runter kommt), auf den Punkt bringt!

    • @freibadbea:

      Klar ist Ischgl ein großartiges Skigebiet - wenn man alleine die die Bedürfnisse als Skifahrer im Auge hat. Es ist auch klar, dass man einfache Bedürfnisse als Partygänger (mit entsprechender finanzieller Ausstattung) dort leicht ausleben kann. Und mit 'einfacheren Bedürfnissen' meine ich Saufen, sinnlose Unterhaltungen usw. Wir Menschen haben soziale Bedürfnisse, aber auch einen Verstand, um sinnloses von sinnlosem zu unterscheiden.

      Wer die Zerstörung der alpinen Umwelt in der Region verstehen will, soll einfach dort kurze Sommerferien machen. Und wie nachhaltig und langfristig solche Eingriffe im alpinen und hochalpinen Raum sind, wissen wir von kompetenten Leuten. Ein paar Grassamen kaschieren das Problem nur.

      • @fvaderno:

        Gesoffen wird auch im Berghain oder im Club der Visionäre. Die Schlagermukke ist in der Tat im Flachland sinnlos, gehört aber zum Aprés-Ski in Österreich einfach dazu. Das ist in vielen anderen Skigebieten dort auch nicht großartig anders, nur Ischgl hat sich halt zum Sinnbild dieser Kultur entwickelt.



        Trotzdem ist es einfach so (und das wird auch jeder so bestätigen, der schon ein paar Jahre nach Ischgl fährt), dass der Ort (vor allem bei erwähnter finanzieller Ausstattung) als Urlaubsdestination zum Skifahren einfach Spaß macht. Und dazu muss man es mit der Party gar nicht mal so arg übertreiben, der Mix aus ein etwas Party, dem super Skigebiet, den vielen hochwertigen Unterkünften und dem kompakten Ort macht es einfach aus.

  • Als ob Berlin einen Deut besser wäre.

    • @Anne klein:

      Obwohl ich Berlin und seine Szene nicht wirklich kenne, glaube ich, dass die Stadt um einige 'Deuts' besser ist. Fast alle, die ihre Freizeit dort verbringen, reisen nicht über hunderte oder gar tausende Kilometer auf der Straße oder im Flugzeug an. Sie übernachten nicht in luxuriösen und im Effekt die Umwelt zerstörenden Superhotels, denn Berlin liegt bekanntlich nicht im sensiblen alpinen Raum. Und schließlich braucht Berlin keine derart zerstörerische Struktur wie die Lift-, Pisten- und Beschneiungsanlagen wie Ischgl. Und wenn Leute am Partyleben Freude haben, so darf es nicht meine Aufgabe sein, dies moralisch zu bewerten!

  • Da bleibt zu hoffen, dass in Zukunft etwas davon hängen geblieben sein wird. Vielleicht überlegen sich manche Partysüchtigen, ob man den Urlaub unbedingt in einem Hotspot verbringen muss - Hotspot der Umweltzerstörung und der gnadenlosen Geldgier.

    Jeder ist doch über die Gefahren und Risiken von Corona informiert. Wer dann noch seine eigene Geldgier über das Leben seiner Mitmenschen stellt, ist schlicht asozial. Oder er ist er ist dumm. Aber so dumm ist unwahrscheinlich, denn sonst hätte er nicht solchen wirtschaftlichen Erfolg haben können.

  • Das deutsche Ischgl heißz Webasto.



    Zum einen wurde der Besuch einer Mitarbeiterin aus Wuhan nicht verlegt.



    Zum anderen wurde es verschlafen, die Kontaktketten der Mitarbeiter strikt zu verfolgen und die betroffenen Mitarbeiter zu isolieren.



    So lange wie möglich Business as usual.



    Die Frage ist, wo die Mitarbeiter alles waren? Ischgl? Italien? Beides für München keine unüblichen Gebiete.

    Achja, Bayern handelt ja ach so vorbildlich...

  • Fragt sich, ob dort überhaupt jemand die Zeit gefunden hatte, in der Saison einen Corona-Test zu machen, oder ob solche von den ortsansässigen Ärzten verweigert wurden.



    Die Mehrzahl der Beschäftigten in den Tourismusbetrieben sind zudem Auswärtige oder Zugezogene, so dass die These von Zusammenhalt der Bergbauern nicht passt.

    • @meerwind7:

      Es gab einen positiven Test bei einem Mitarbeiter der Apres-Ski-Bar, aus der die meisten Infektionen hervorgingen.

  • RS
    Ria Sauter

    Die Unmenschlichkeit, Dummheit, Doofheit tritt nun offen zutage.



    Sie ist immer mitten unter uns.



    Da wird sich nie was ändern.