Autor über Wissenschaftsskepsis: „Da geht es um Systemisches“
Autor Philipp Kohlhöfer hat ein Buch über Viren und Wissenschaft generell geschrieben. Ein Gespräch über Fortschritt, Verschwörung und Heulsusigkeit.
Philipp Kohlhöfer, Sie sind Wissenschaftsjournalist – lag es da nicht recht nah, dass Sie ein dickes Buch über Corona schreiben?
Philipp Kohlhöfer: Ja und nein. Das Thema ist einerseits nicht fern meiner Wahrnehmung. Ich hatte mich mit Zoonosen …
… dem Überspringen der Viren von Tieren auf Menschen und umgekehrt …
… schon öfter als Autor beschäftigt. Andererseits war es vor knapp zwei Jahren, als das Leben in den Lockdown ging, so, dass ich mit meiner Tochter zufällig im Hessischen bei meinen Eltern war. Und, ehrlich gesagt: Ich hatte nichts zu tun und viel Zeit zum Recherchieren. Anfangs wollte ich einfach nur mitreden können.
Sie kamen gerade von einer Reise zurück.
Wir waren in Paris, wollten auf dem Rückweg nach Hamburg noch mal Oma und Opa Hallo sagen. Ob es überhaupt noch angeraten war, Anfang 2020 nach Paris zu reisen, war vorher überhaupt nicht klar. Ich musste mir Expertenrat holen.
Von Ihrem früheren Kiezfreund Christian Drosten.
Wir waren mal Nachbarn, keine große Geschichte. Daher kennen wir uns schon seit zwanzig Jahren. Der Kontakt ist nie abgerissen.
Und den haben Sie angerufen?
Ich wollte einfach jemanden fragen, der sich auskennt. Und das war eben zufällig derjenige, den später das ganze Land gefragt hat. Er sagte: Wenn, dann fahrt jetzt, weniger wird es in Zukunft erst mal nicht. Es gab schon erste Fälle in Italien, aber das war, bevor die italienische Armee Särge aus Bergamo abfuhr, als man sich noch einreden konnte, dass das Virus in Italien bleiben würde. Und Christian war halt ein Virologe, den ich kannte. Ein guter Typ, sehr nett und klug. Coronaviren sind sein Fachgebiet. Es war zumindest nicht ganz abwegig, ihn anzurufen.
lebt in Hamburg und schreibt unter anderem für Geo und den Stern sowie als Kolumnist des Magazins Guido. Darüber hinaus arbeitet er für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, das an der Berliner Charité koordiniert wird. Als Wissenschaftsautor ist es sein Anliegen, Wissenschaft erlebbar zu machen.
Und als Sie nach der Reise faktisch festsaßen – da begannen Sie das Buch zu schreiben?
Nein, nicht gleich, aber mit der Zeit wuchs mein Material immer mehr an. Während ich recherchierte, wurde mir klar, dass mein Thema die Wissenschaft schlechthin ist – wie sie funktioniert, was sie für die Forschenden und die Gesellschaft bedeutet. Ich wollte keine Coronageschichte nacherzählen. Die aktuelle Pandemie kommt schon auch vor, das geht ja gar nicht anders, aber der Fokus ist größer: eine Geschichte über Viren, ihre Ökologie und ihre Evolution. Ein Sachbuch, das aber dramaturgisch wie ein Roman angelegt ist. Und weil ich mich selbst gut unterhalten wollte, ist das alles popkulturell aufgeladen: Darth Vader, die Avengers und die Smashing Pumpkins kommen auch vor.
In Deutschland gibt es viel Renitenz gegen Dinge, die uns vor Corona schützen. Spaziergänge ohne Masken, Proteste gegen das Maskentragen überhaupt – bis hin zum Mord an einem Tankstellenangestellten, weil der einen zum Tragen einer Maske aufgefordert hatte.
Das ist alles nicht neu. Auch Verschwörungsideen gab es immer. Gegen die Pockenimpfung regte sich heftiger Widerstand, weil die Leute glaubten, sie verwandelten sich mit der Impfung in eine Kuh. Reiche glaubten, Infektionskrankheiten seien über Arme aus deren schmutzigen Wohnverhältnissen übertragen worden. Arme glaubten, Pest, Cholera, Ebola oder sonst etwas sei ihnen von den Reichen geschickt worden, um sie zu quälen und töten.
Man misstraut auch der Wissenschaft schlechthin.
Das ist leider ebenfalls nichts Neues und trat zu jeder Zeit in jedem Kulturkreis auf. Das Erstaunliche ist aber doch, dass wir zum allerersten Mal in der Geschichte all das haben, was wir benötigen, um die Pandemie zu beenden: Wir haben das Wissen, wir haben einen Impfstoff, wir wissen aus der Geschichte, welche Maßnahmen funktionieren, es gibt historische Vorbilder für den Umgang mit Coronaviren – und dennoch schaffen wir es in Deutschland nicht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es wird aber auch überall Misstrauen geschürt. Meinungsverschiedenheiten im wissenschaftlichen Diskurs sollen dazu herhalten, der Wissenschaft generell nicht zu vertrauen.
Verschiedene Perspektiven sind ja erst mal nicht ungewöhnlich. Wissenschaft ist aber keine Meinung, sondern ein evidenzbasiertes Vorgehen – zumindest bei den Naturwissenschaften. Dass das zum Beispiel in der Philosophie anders sein kann, bekommen wir ja mittlerweile auch ständig aufs Brot geschmiert. Aber eigentlich ist es ein methodischer Diskurs. Natürlich kann ich immer irgendetwas behaupten, aber das muss ich dann auch schon belegen. Wenn ich das nicht tue, dann bin ich kein Wissenschaftler, sondern ein Schwätzer und habe nichts zum Erkenntnisgewinn beigetragen. Zwar endet Erkenntnisgewinn niemals, aber trotzdem ist eben nicht alles, was rausgetrötet wird, gleich viel wert. Wenn ich 100 Leute habe und 97 kommen durch Studien und Verifizierbarkeit zum selben Ergebnis, dann sind die drei älteren Herren mit ihren Yotube-Kanälen, die zu anderen Ergebnissen kommen, eben nicht gleichwertig. Genau dieses Verständnis geht großen Teilen der Gesellschaft gerade ab.
Aber weshalb glauben dann Leute unterschiedlicher politischer Prägung an Verschwörungsideologisches – mit Stichworten wie Homöopathie, Soros, Rothschild oder sonst was?
Im Fall von Corona geht es schon lange nicht mehr um gesundheitspolitische Fragen. Da geht es um eine generelle Unzufriedenheit mit dem Staat. Das ist bereits vor Jahren losgegangen. Unsere Gesellschaft entwickelt sich wahnsinnig schnell, alles verändert sich, nichts scheint mehr zu bleiben, wie es war oder wie man glaubt, dass es war. Und wenn alles unsicher wird, suchen manche Menschen eben nach einfachen Wahrheiten, selbst wenn die noch so blöd sind. Da geht es um Systemisches, um Fragen, die mit der Pandemie nur vordergründig zu tun haben. Aber Menschen sind frei zu glauben, was sie wollen. Das müssen wir aushalten.
Macht Sie das nicht wütend?
Nicht wütend. Traurig.
Verachten Sie Verschwörungsideologen?
Nein. Warum soll ich denn jemanden verachten? Ich war mal auf einer Tagung der Anhänger der Flacherde-Bewegung in Colorado. Dort wurde tagelang darüber geredet, dass es völlig logisch sei, dass die Erde eine Scheibe ist. Und da wird einem dann schon klar, dass manchmal auch die beste Aufklärung und die tollste Information gar nichts nutzt.
Kein Witz? Wir wissen doch, dass es Brot in Scheiben gibt – aber die Erde …?
Das war im Grunde wie jetzt auch: Da wird mit Gefühlen argumentiert und mit unmittelbaren Erfahrungen. Eines der Argumente bei der Versammlung war: Erdkrümmung kann man nicht sehen. Also kann es sie nicht geben. Auch da war im Übrigen Bill Gates schuld an der Verschleierung der Wahrheit. Wenn man sich auf solch einer Tagung aufhält, wird man von der alternativen Wahrheit verschlungen; alles, was an wissenschaftlicher Evidenz entgegengehalten würde, fiele unter Feindverdacht. Ein Moment des Zweifels – zack, der ist wohl von Bill Gates bezahlt oder, besser noch: gesteuert.
Sind diese Phänomene in das Schema „Links/rechts“ einzusortieren?
Nein, das muss die taz doch am besten wissen! Ende der achtziger Jahre war es doch Ihre Zeitung, die zu Aids eine Verschwörungsidee ziemlich popularisiert hat – ein in Ostberlin lebender Biologe namens Jakob Segal lancierte in der taz einen Aufsatz, demzufolge das HI-Virus aus einem US-Labor stammt. Das hat den Kampf gegen das Immunschwächevirus erheblich erschwert. Dieser Unsinn sattelte auf eine Kalte-Kriegs-Kampagne des sowjetischen KGB auf – und ist seither nicht mehr totzukriegen. Der spätere südafrikanische Präsident Thabo Mbeki hat damit sogar Politik gemacht …
… weil er kluge Aids-Aufklärung in seinem Land nicht für nötig hielt, da ein afrikanischer Mann sich nicht infizieren könne.
Der aktuelle Verschwörungsunsinn baut auf diese Tradition auf, speist sich im Wesentlichen aber aus zwei Quellen. Einmal kommt er aus der anthroposophischen Ecke, die eine evidenzbasierte Medizin schon von jeher ablehnt, und zum anderen von ganz weit rechts. Dem Nationalsozialismus war Impfen immer verdächtig – es wurde als jüdisch abgelehnt, als Vergiftung des Volkskörpers. Die erste Förderung der Homöopathie überhaupt fand im Dritten Reich statt, weil man eine deutsche Medizin suchte. Anthroposophen und Nazis haben mehr gemeinsam, als sie glauben: beide sind tendenziell fortschrittsfeindlich und heben ein Naturideal auf das Schild, das es so natürlich nie gab. Vielleicht verstehen sie sich deswegen auf den aktuellen Demonstrationen auch so gut.
Sind Sie ein Pessimist?
Generell: nein, auf keinen Fall. Dass wir uns hier in Hamburg, wo knapp zwei Millionen Leute leben, nicht von morgens bis abends die Köpfe einschlagen, ist doch ein großer kultureller Fortschritt. Und Demokratie führt ja auch dazu, dass die Gegner der Regierung demonstrieren dürfen und ihre Argumente vorbringen können, ohne dass sie Gefahr laufen, gleich geköpft zu werden. Das hat sich also zweifellos verbessert. Was Corona angeht: Die nächste Seuche wird kommen. Wir werden immer mobiler. Wir zerstören die letzten natürlichen Lebensräume. Wir betreiben Massentierhaltung. Insgesamt schaffen wir damit neue Möglichkeiten für den Übersprung von Viren, die besser nicht überspringen sollten.
Sind Sie ein Aufklärer?
Weiß ich nicht. Es gibt natürlich einen Haufen Idioten. Aber die gab es halt schon immer. Aber wer bin ich zu sagen: Wir sind die Schlauen? Als Gesellschaft, glaube ich, fehlt uns im Moment etwas.
Und was ist das?
Fortschrittsoptimismus. Mir wird generell zu viel gejammert. Wir müssen die Gesellschaft nun mal transformieren, ob uns das gefällt oder nicht. Das ist wie mit Sars-CoV-2 – das Virus gibt es nun mal, egal, ob wir das mögen. Und damit muss man umgehen. Dazu gibt es keine andere Option, denn selbst, wenn wir uns dazu entscheiden, gar nichts zu tun, ist das ja auch eine Art des Umgangs damit. Aber jede Aktion ist mühselig, mit niedrigem Genialitätsanteil. Fortschritt wird in der Regel nicht mit großer Geste ins Werk gesetzt. Mir würde gut gefallen, wenn wir Herausforderungen annehmen und uns nicht heulsusig vor Dingen wegducken, die ohnehin garantiert kommen.
Was folgt daraus?
Die Angriffe auf Wissenschaft zeigen ja nur, wie ernst man Wissenschaft nimmt – sonst müsste man sie ja nicht angreifen. Und das ist ja schon mal nicht schlecht. Wir müssen mehr Vertrauen in uns haben: Es wird schon gut werden. Menschen können großartige Dinge leisten. Wenn ich nur verzweifle, kann ich ja auch jetzt sofort aus meinem Büro im fünften Stock springen. Und das ist keine Option.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin