Autobahnbau in Berlin: FDP mit fiebrigen Retroträumen

Verkehrsminister Wissing will die umstrittene A100 in Berlin weiterbauen. Selbst Berlins Regierende Bürgermeisterin Giffey reagiert irritiert.

Radfahrer mit einem Schild mit der Aufschrift „„Fahrradfahr’n“ statt Autobahn“

Bei einer Fahrraddemo gegen den Weiterbau der A100 Foto: Christophe Gateau/picture alliance/dpa

BERLIN taz | Nicht wenige Menschen wähnen sich nach zwei Jahren Pandemie und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine in einer Zeitenwende: Jahrzehntealte Gewissheiten stehen zur Disposition, von der Frage des Friedens in Mitteleuropa bis hin zur Versorgungssicherheit mit Brot, Sonnenblumen- und Erdöl. Dies könnte der Beginn eines nachhaltigeren Verhaltens sein von Politik und Bevölkerung bis hin zu einem Tempolimit auf Autobahnen. Wäre da nicht die FDP: Sie ist gefangen in einem Flashback in die 1970er.

Mitten in die Kriegsberichterstattung platzte am Dienstag eine Ankündigung von Daniela Kluckert, FDP-Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, die fast so fossil wirkt wie ein Angriffskrieg in Europa: Man werde in Berlin auch das letzte Teilstück der Verlängerung der Stadtautobahn 100 bauen – bis tief in den dicht besiedelten Innenstadtteil Friedrichshain. Die Ausschreibung der Planung dafür sei jetzt erfolgt, so Kluckert in einem Interview mit der Berliner Morgenpost.

Dabei war die letzte vor Jahrzehnten angedachte Verlängerung der A 100 politisch längst als überholt abgehakt. Derzeit wird am 16. Abschnitt der Stadtautobahn gebaut, von Neukölln bis nach Treptow: Die gut drei Kilometer, die 2024 fertig sein sollen, kosten mindestens 700 Millionen Euro – teurer ist kaum ein Straßenkilometer. Der 17. Abschnitt, für den FDP-Verkehrsminister Volker Wissing jetzt das Go gegeben hat, gilt mit seinem Tunnel und dem Abriss zahlreicher Gebäude als noch aufwendiger: Die 2013 dafür errechneten 530 Millionen Euro gelten als überholt.

Kein Wunder, dass die Berliner Regierungsparteien Grüne und Linke diese Planung schon lange ablehnen. Und selbst die SPD als dritter Partner im Bunde traut sich längst nicht mehr, den 17. Bauabschnitt selbst zu fordern: Im Wahlprogramm 2021 sprach sie sich für einen Bürgerentscheid darüber aus. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag wurde dieser auf Eis gelegt. Allerdings liegt der Bau von Autobahnen in der Verantwortung der Bundesregierung.

Ein Testballon, ob Autobahnen zu Fantasiepreisen über­haupt noch politisch durchsetzbar sind?

Doch selbst Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die Autos nicht leidenschaftslos gegenübersteht, reagierte irritiert. „Wir haben davon durch die Presse erfahren“, sagte sie – stets ein schlechtes Zeichen. Die Bundesgrünen fühlten sich vom Vorpreschen der FDP brüskiert. Ihr Berliner Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar sprach von einem „Alleingang“ Wissings wider die Koalitionsräson: „Die A 100 ist weder nötig noch sinnvoll.“

Bleibt die Frage, warum der nicht mit Berlin und den Koalitionspartnern abgesprochene Vorstoß aus dem FDP-Ministerium gerade jetzt kam. Wollte Wissing sich auch mal als Macher darstellen; als einer, der die Grünen genauso düpieren kann wie FDP-Justizminister Marco Buschmann seinen SPD-Kollegen Karl Lauterbach in Sachen Corona-Auflagen? Oder war es ein Testballon, ob Autobahnen zu Fantasiepreisen überhaupt noch politisch durchsetzbar sind? Was Letzteres angeht, ist zumindest klar: Je länger der Bundestag zögert, den 17. Bauabschnitt der A 100 mit rot-grün-gelber Mehrheit aus dem Bundesfernstraßengesetz zu streichen, desto wahrscheinlicher wird der Bau dieser absurden Autobahn.

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