Ausweitung des Gazakriegs: Ein vermeidbarer Krieg?
Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah spitzt sich zu. Laut Experten wäre ein Waffenstillstand Voraussetzung für eine diplomatische Lösung.
Seit dem Beginn des Gazakriegs brodelt es auch an der nördlichen Grenze Israels. Die vom Iran gelenkte Hisbollah schießt Raketen und Panzerabwehrraketen aus dem Libanon ab, Israel beschießt Hisbollah-Stellungen. Knapp 100.000 Israelis sind von der Nordgrenze evakuiert worden – auch im Libanon haben über 70.000 Menschen ihre Häuser an der Grenze verlassen.
„Wir gehen nicht zurück, bevor wir dort nicht wirklich sicher sein können“, heißt es unter den evakuierten Israelis, die seit Monaten im Zentrum des Landes ausharren. Sie fürchten nicht zuletzt einen vergleichbaren Angriff wie den der radikalislamischen Hamas vom 7. Oktober aus dem Norden. Ereignisse wie die vom Sonntag, als drei bewaffnete und mit der Hisbollah verbundene Kämpfer über die Grenze in israelisches Gebiet eindrangen, befeuern die Ängste. Wenige Stunden vorher hatte eine Panzerabwehrrakete der Hisbollah zwei Israelis an der Nordgrenze in ihrem Haus getötet.
Ein Krieg mit der Hisbollah? Scheint vielen in Israel unvermeidbar. Eine Frage der Zeit, hört man überall. Dabei wäre die Verwüstung riesig, sollte die Lage eskalieren, auch in Israel. Israel ist militärisch überlegen, doch die Hisbollah soll rund 150.000 Raketen besitzen, etwa 20.000 davon GPS-gesteuerte Präzisionsraketen.
Der israelische Autor und Sicherheitsexperte Yossi Melman ist optimistischer. „Ich halte einen Krieg derzeit nicht für wahrscheinlich“, sagt Melman am Telefon: „Auch wenn eine Eskalation zu einem vollen Krieg nicht ausgeschlossen werden kann, etwa wenn es zu einem größeren blutigen Zwischenfall mit vielen Opfern kommt oder eine Seite sich verschätzt.“
Hisbollah hält sich zurück
Melman verweist auf Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, der in den vergangenen Wochen zahlreiche Gelegenheiten für eine Kriegserklärung vorbeiziehen ließ. Als etwa Anfang Januar der hochrangige Hamas-Kommandeur Saleh al-Aruri in Beirut getötet wurde, hielt die Welt aus Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten für einen Moment den Atem an. Wie schon oft zuvor warnte Nasrallah Israel lediglich vor einem Kriegseintritt und schoss eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Raketen auf den israelischen Norden ab. Die Hisbollah zeigte mit ihrer Reaktion aber auch, dass sie kein Interesse an einem offenen Krieg hat – nicht in diesem Moment.
Auch die USA stehen auf der Bremse. Medienberichten zufolge soll Israel nach dem 7. Oktober einen Präventivschlag auf die Hisbollah erwogen haben. Die USA stellten sich dagegen. Eine Vermeidung einer Eskalation mit dem Libanon machten sie zur Priorität. US-Präsident Joe Biden hat kein Interesse, in einen Krieg hineingezogen zu werden. „Ich glaube, dass beide Seiten eine diplomatische Lösung bevorzugen“, sagte der leitende Berater des Weißen Hauses, Amos Hochstein, bei seinem Besuch in Beirut Mitte Januar: „Es ist unsere Aufgabe, eine solche zu finden.“
Teil einer solchen diplomatischen Lösung würde bedeuten, dass sich Hisbollah-Kämpfer*innen wieder hinter den Fluss Litani zurückziehen, also etwa 30 Kilometer ins libanesische Landesinnere. So ist es auch in der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2006 vorgesehen. Von einer demilitarisierten Pufferzone kann jedoch nicht die Rede sein. Die Hisbollah drang nach der Resolution immer näher an die Grenze vor.
Mittlerweile stehen an der Grenze Befestigungsanlagen und Überwachungstürme der Hisbollah. Raketen und Waffen werden in Dörfern versteckt. Außerdem sah die Resolution die Entwaffnung sämtlicher Milizen, auch der Hisbollah, im Libanon vor. Doch die Hisbollah wurde in den letzten Jahren vom Iran mit zahlreichen Waffenlieferungen versorgt. Verstöße gegen die Resolution gibt es auch von israelischer Seite. Etwa wenn die israelische Luftwaffe über libanesischen Luftraum fliegt.
Im Moment deutet nichts auf eine diplomatische Einigung hin. Doch Melman betont, dass Grundbedingung für eine diplomatische Lösung an der Grenze wohl ein Waffenstillstand in Gaza wäre. Der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel wäre damit noch nicht beseitigt, doch Melman verweist auf die relative Ruhe, die seit dem Ende des Kriegs mit dem Libanon im Jahr 2006 an der Nordgrenze herrschte. Einigungen, so betont er, sind möglich, so wie es die Vorgängerregierung unter Yair Lapid vor zwei Jahren zeigte, als Israel und Libanon einen Streit um Offshore-Gasfelder beilegten.
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