Ausweitung des Gaza-Krieges: Aushungern und erobern
Israel will ganz Gaza besetzen. NGOs kritisieren die Pläne zu künftigen Hilfslieferungen, das Militär fliegt Angriffe auf die Huthis in Jemen.

Wie sieht der Netanjahu-Plan aus?
Am Sonntagabend hatte Israels Sicherheitskabinett beschlossen, den gesamten Gazastreifen militärisch einzunehmen und auf unbestimmte Zeit zu besetzen. Die mehr als zwei Millionen Bewohner, die Israel seit über neun Wochen durch eine Blockade aller Hilfslieferungen aushungert, sollen im Süden zusammengedrängt werden. Bereits jetzt gelten 70 Prozent des Gebietes als Sperr- oder Kampfzonen.
Ihre Minimalversorgung soll durch einen neuen Verteilmechanismus unter Aufsicht der israelischen Armee garantiert werden, den internationale Helfer als völlig unzureichend und unvereinbar mit humanitären Prinzipien kritisieren. Zur Umsetzung beruft Israel Zehntausende zusätzliche Reservisten ein.
Verhandlungen waren nach dem israelischen Bruch der Waffenruhe Mitte März nicht vorangekommen: Israels Führung will ein Ende des Krieges nur nach einer Zerstörung der Hamas akzeptieren. Die Hamas weigert sich, weitere Geiseln für kurzfristige Kampfpausen freizulassen und besteht auf einem dauerhaften Ende der Kämpfe und einem vollständigen Abzug Israels.
Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Operation soll laut Regierungschef Benjamin Netanjahu die Hamas besiegen und die noch in Gaza gefangenen Geiseln heimholen. Der Analyst Michael Milshtein, der einst beim israelischen Militärgeheimdienst die Palästinaabteilung leitete, hält beide Ziele für unvereinbar. Den Soldaten würden schwere Kämpfe drohen, an deren Ende die Hamas als Guerillagruppe weiter existieren dürfte. „Dafür müsste Israel eine Zivilverwaltung für die Versorgung von zwei Millionen Menschen in einem vollständig zerstörten Gebiet herstellen, die Israel hassen.“ Binnen 19 Monaten wurden bei israelischen Angriffen mehr als 52.000 Palästinenser getötet und fast alle Lebensgrundlagen in Gaza zerstört.
Wie sollen künftig Hilfen nach Gaza gelangen?
Laut dem Plan soll das Militär sechs Verteilstationen für humanitäre Hilfe einrichten, abgesichert von zwei privaten US-Sicherheitsfirmen. Die Anlagen liegen größtenteils im äußersten Süden und sollen mit lediglich 60 Lastwagen pro Tag versorgt werden, einem Zehntel der Menge während der Waffenruhe Anfang des Jahres.
Hilfsorganisationen lehnen den Plan ab. Laut des UN-Nothilfebüros Ocha würde nur ein Bruchteil der Bevölkerung erreicht werden, es drohe Gewalt an den Verteilstationen. Die Nutzung humanitärer Hilfe, um Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben, widerspreche zudem humanitären Grundsätzen wie Neutralität. Israel wolle damit in erster Linie internationalen Druck mindern, sagte der Leiter einer in Gaza tätigen internationalen Hilfsorganisation der Washington Post.
Internationale Reaktionen
Frankreich, Großbritannien und UN-Generalsekretär António Guterres kritisieren die Pläne. Wirkung haben solche Appelle im bisherigen Kriegsverlauf allerdings kaum gezeigt. Einfluss schreiben viele Beobachter hingegen US-Präsident Donald Trump zu, der Netanjahu im Januar zu einem Waffenstillstand gedrängt hatte. Seither aber lässt Trump Israel weitgehend freie Hand. Die Operationen sollen erst beginnen, nachdem Trump Ende kommender Woche Saudi-Arabien und weitere Golfstaaten besucht haben wird.
Eskalation mit den Huthis
Massive Angriffe hat die israelische Armee nach dem Einschlag einer Huthi-Rakete nahe dem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv derweil im Jemen gestartet. 20 bis 30 Kampfjets waren laut Medienberichten an der Attacke am Montag beteiligt, die laut der Armee unter anderem den Hafen von al-Hudaida trafen. Ändern dürften die Attacken kaum etwas. Trotz mehr als 800 US-Luftangriffen seit Trumps Amtsantritt auf Ziele der proiranischen Rebellen haben diese ihre Angriffe auf Israel und den internationalen Schiffsverkehr fortgesetzt. Die Mehrheit der Handelsschiffe umfährt das Rote Meer und den Suezkanal.
Beamte des Pentagon sollen Verbündeten laut der New York Times mitgeteilt haben, „nur begrenzten Erfolg“ bei der Zerstörung des Huthi-Arsenals zu haben. Wirkung auf die Rebellen, die für ihre propalästinensische Rhetorik in der arabischen Welt gefeiert werden, zeigte etwas anderes: Mit dem Waffenstillstand im Gazastreifen Mitte Januar hatten auch die Huthis ihre Angriffe ausgesetzt.
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