Ausstellungsmacherin über Spurensuche: „Mutterschaft geht jeden an“
Denken Frauen heute anders übers Muttersein? Und die Männer?! Eine Gruppenausstellung in Bremerhaven interessiert sich für den gewandelten Diskurs.
taz: Frau Mohrhoff, warum ist Mutterschaft ein gutes oder vielleicht jetzt gerade ein richtiges Thema für eine Ausstellung?
Silke Mohrhoff: Es ist ein Thema, das jeden Menschen angeht, unabhängig davon, ob er oder sie selbst die Mutterrolle einnimmt. Wir haben alle eine Mutter, biologisch betrachtet. Mir ist wichtig, darüber hinaus deutlich zu machen, welche gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen gestellt werden, immer noch und allgegenwärtig. Ich beobachte, dass viel mehr junge Frauen kritisch ins Gespräch kommen über ihre Mutterschaft oder auch Nicht-Mutterschaft; viel mehr, als es etwa in der Generation meiner Mutter passiert ist.
Was war da anders?
Da erduldete man es, oder man ertrug es, oder man wurde Mutter, ob man wollte oder nicht. Das Thema Mutter war und ist sehr moralisch besetzt. Heute wird damit viel kritischer umgegangen. Ich finde es wichtig, diesen Diskurs sichtbar zu machen und um Frauen und auch Männern mehr Sichtbarkeit zu verschaffen.
Mir kam in letzter Zeit häufiger unter, dass Künstler*innen mit Kindern das thematisiert haben, auch problematisiert: Wie gut oder wie schlecht sich das vereinbaren lässt. Geht es bei Ihnen auch darum?
Nicht primär. Denn diese Auseinandersetzung betrifft ja nicht nur Künstler*innen. Bei uns geht es neben gesellschaftlichen Erwartungen, die an Frauen gestellt werden, um Mutter-Kind-Verhältnisse, um das Sicht- und Erlebbarmachen der Care-Arbeit, um die Auseinandersetzung mit der Mutterschaft jenseits der Heteronormativität.
48, ist bildende Künstlerin und leitet seit dem vergangenen Jahr die Kulturkirche Bremerhaven. Sie hat keine Kinder.
Am Anfang stand eine bundesweite Ausschreibung.
Ja, Ende vergangenen Jahres. Drei Monate später endete dann die Bewerbungsfrist, 240 künstlerische Positionen wurden eingereicht, von Männern und von Frauen ganz verschiedenen Alters. Das Thema geht offenbar vielen Künstler*innen nah.
Und dann ist Jury zusammengetreten und hat daraus die elf nun gezeigten Finalist*innen ausgesucht?
Genau, eine fünfköpfige Jury, bestehend aus Kunstschaffenden, Kunstvermittelnden, der Superintendentin des Kirchenkreises Bremerhaven und einem kunstinteressierten Diakon. Mir war wichtig, auch den theologischen Part mit reinzubringen, andere Sichtweisen, die ich selbst, als bildende Künstlerin, nicht so präsent habe. Wir wollen möglichst viele Menschen ansprechen, die, die in den Gemeinden zu Hause sind, aber auch eher kirchenferne Menschen.
Zu sehen sind nun insgesamt elf Arbeiten, verteilt auf drei Kirchen; zwei Performances nur einmalig zu bestimmten Terminen, die anderen über die gesamte Laufzeit. Haben Sie selbst ein Lieblingsstück?
Ja. Ich bin eine große Freundin von Clara Alischs Arbeit „Lactoland“, eine Videoinstallation, die begleitet wird von einer Art überdimensionalem Stillkissen zum Gemütlich-Platz-Nehmen. Daneben gibt es einen Behälter mit köstlichen, weißen Bonbons. Die ebenfalls zum Genießen angeboten werden. Es geht ums Stillen, um die Arbeit, die stillende Mütter leisten, die aber weder entlohnt noch von der Gesellschaft anerkannt wird …
„Mutter? Eine Spurensuche“. Eröffnung: So, 4. 6., 16 Uhr, Bremerhaven, Petruskirche. Die Ausstellung läuft bis 25. 6. in der Petrus-, der Matthäus- und der Marienkirche (Di 15–17 Uhr; Sa+So 14–17 Uhr)
„Pasta madre“, partizipative Kunstaktion mit Akkela Dienstbier: Sa, 10. 6., Petruskirche/Familienzentrum Braunstrasse. Eintritt frei – Mit Kinderbetreuung; bitte anmelden unter kultur[at]kulturkirche-bremerhaven.de
Finissage und Futter für den Mutter* Rave von und mit Lisa Begeré: Sa, 25. 6., Petruskirche. Eintritt frei – mit Kinderbetreuung; bitte anmelden unter kultur[at]kulturkirche-bremerhaven.de
… oder mitunter sogar quasi skandalisiert: Stillen ist bitteschön aus dem Blickfeld zu verbannen und möglichst diskret abzuwickeln, irgendo im Dunkel.
Bei Clara Alisch sieht man nun also eine Frau, die dasitzt und ihre Milch abpumpt. Diese Milch wird dann in einer Bonbon-Manufaktur weiterverarbeitet zu Bonbons.
Und?
Viele nehmen sich ein Bonbon aus dem kleinen Glas, bevor sie den Film sehen, und wenn sie dann verstehen … Es ist natürlich nur fiktiv Muttermilch in den Bonbons. Über diesen emotionalen Moment schafft die Künstlerin aber eine Berührung, das Nachdenken und die Auseinandersetzung mit dem Thema findet nochmal ganz anders statt, weil die Konsument*innen sich erst mal mit dem hervorgerufenen Gefühl auseinandersetzen müssen, mitunter mit dem eigenen Ekel über ein Produkt, dass wir unter Umständen alle bereits selbst genossen haben, sofern wir gestillt wurden … Und dann nachhaltig darüber nachdenkt: Wie gehen wir um, mit dieser Care-Arbeit von Müttern?
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