Ausstellungsempfehlung für Berlin: Die Ausgräberin

Claudia Mann ist unter der Erde unterwegs, formt Teile ihrer selbst ab und lässt das Material sprechen. Die Künstlerin im Einblick.

Im Bildvordergrund liegen zwei mit weißen Moasikfließen ausgekleidete, organisch geformte Trichter aus Ton auf einer gefließten Plattform. Im Hintegrund hängt eine abstrakte Malerei in dunklen Farben, die Farbe ist an einigen Stellen dünn ausgestrichen

Claudia Mann: Ground doesn’t exist. accumulating with Daniel Lergon: Lichtung, Installationsansicht Foto: Marjorie Brunet Plaza; Courtesy the artists and PSM, Berlin

Im Grunde beginnt die Ausstellung „Ground doesn’t exist“ bereits auf der Straße. Auf dem Bürgersteig vor dem Haus am Schöneberger Ufer, wo sich die Galerie PSM befindet, denn dort war die Künstlerin Claudia Mann sichtlich am Werk: Der große Baumstumpf, den sie dort inklusive der Sägespuren im Holz abgegossen hat, ist noch gelb und weiß markiert. Nachdem der hohle Baum bei einem Sturm gestürzt war und längst abgesägt wurde, ist hier erneut etwas passiert und der Baum war offensichtlich in diesem Happening involviert, auch wenn er momentan mehr Raum im Erdreich als in der Luft einnimmt.

Einige Sporen des dort weiter lebenden Gewächses haben sich in Claudia Manns Abformung aus Gips niedergelassen, die hier nun auf ein paar Schamottsteinen balanciert. Auch der hohle Innenraum ist geblieben. Und eben dieser ist es, der in Dialog mit den Ausslassungen auf Daniel Lergons neuen Gemälden tritt, die im Rahmen seiner Schau „Lichtung“ ebenfalls in der Galerie gezeigt werden und einen magischen Ring um die Skulpturen bilden. Die Sporen und Überreste aus Manns Erde wiederum treten in Dialog mit den Erdtönen, zu denen Lergon diesmal vermehrt gegriffen hat.

Ähnlich organisches Fundmaterial trägt auch die Skulptur „HAL. pedestal for the space of my body (head, arm, leg)“ auf ihrer Oberfläche. Innen mit weißen Mosaikfliesen ausgekachelt, sind die rauen Außenseiten mit Erdstaub und filigranem Pflanzenteilchen übersät, so als hätte sich ein in die Natur gebautes Haus samt Badezimmer einmal von Innen nach Außen gekehrt.

PSM: Claudia Mann | Ground doesn’t exist. invading Daniel Lergon | Lichtung. Di.–Sa 12–18 Uhr sowie nach Vereinbarung, bis 16. 4., Schöneberger Ufer 61

Folgt man dem Entstehungsprozess, so wird klar, dass Mann sich mit Kopf, Arm oder Bein in der Erde befand, um die ungefähren Dimensionen der jeweiligen Einzelteile zu antizipieren. Bei kleineren Arbeiten, die sich als Paar auf dem Boden zu beiden Seiten einer Wand wiederfinden oder – wundervoll von der Decke geleitet – als ganze Gruppe im Flur, war die Künstlerin noch direkter im Kontakt mit dem Material.

Feinste Spuren

In die beiden Bodenarbeiten mit dem Titel „Headrests (eyeless faces)“ hat sie ihre Nase vergraben. Die 15 Batzen im Flur wiederum hat sie sich ganz ins Gesicht gedrückt. Die Reihe aus dunklem, wunderschön rauem Ton trägt selbst die feinsten Spuren ihrer Haut, gehängt sind die einzelnen Elemente aber nicht so, dass sie dem Gesicht folgen, sondern dem Verlauf bestimmter Kurven und Abrissflächen nach, die sich zu etwas Neuem zusammensetzen.

Dialektik [diaˈlɛktɪk] – Eine philosophische Methode, die die Position, von der sie ausgeht, durch gegensätzliche Behauptungen infrage stellt und in der Synthese beider Positionen eine Erkenntnis höherer Art zu gewinnen sucht.

Auf die Frage, was Skulptur sei, legt die 1982 in Wuppertal geborene Bildhauerin Claudia Mann fest: „Skulptur ist Boden“. Der Boden bildet den Ausgangspunkt ihres bildhauerischen Konzepts, welches sie kontinuierlich weiterentwickelt. Er wird zur ProtagonistIn und diese zu einem Gegenüber.

Auch die in den hinteren Räumen der Galerie an einer Wand balancierende Arbeit „Unter den Boden legen“ lässt ein Ohr aufblitzen, findet dann aber zu ihrer ganz eigenen Form.

Am Erdboden lauschen, mit Ohr oder Fingerspitzen, die Annäherung anderer schon von Weitem als Vibration ertasten, Claudia Mann vermag diese Fähigkeit der erweiterten Wahrnehmung in ihren Skulpturen zu transportieren.

Einblick (818): Claudia Mann; Künstlerin

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Claudia Mann: Hängen geblieben ist die Ausstellung „Nah am Leben – 200 Jahre Gipsformerei“ in der James Simon Galerie. Diese Ausstellung muss man eigentlich um eine zweite erweitern, denn hier haben viele weitere ProtagonistInnen gefehlt und dann geht es erst richtig los!

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Ich war schon lange nicht mehr in einem Club oder Konzert in Berlin. Zuletzt habe ich aber The Notwist im Düsseldorfer ZAKK gesehen, die live einen unglaublichen Sog erzeugen können. Mein Tipp für September im Astra, wenn die Band nach Berlin kommt.

Welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

Ich lese immer viele Bücher gleichzeitig und dann absolut gar keine um im Atelier völlig frei zu sein. Im Moment stapeln sich: „Breath“ von James Nestor, „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ von Eugen Herriegel, „Ich und Du“ von Martin Buber, Samuel Becketts „Der Verwaiser“ und viele weitere.

Was ist dein nächstes Projekt?

Ich bereite gerade eine Einzelausstellung für den Kunstverein Leverkusen im Mai vor. Darin werden Arbeiten aus der Gruppe „Aufrecht Bleiben“ und „Da wir nichts voneinander wussten“ zu sehen sein. Es geht um unsere Aufrichtigkeit und Balance.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Wenn es mir gelingt den Zustand, den ich beim Kyudo erschaffe in meiner Arbeit wiederum aufrechtzuerhalten. Sprich eine absolute Balance und feinen Wechsel zwischen innerem und äußerem Zustand zu erhalten. Darin befindet sich eine feinste Reflexion zwischen Geschehen, Denken und Machen.

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