Ausstellung zu LGBTIQ*: Queeres Leben
Die Ausstellung „To Be Seen“ macht Geschichten von LGBTIQ* in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar. Auch und gerade unter den Nazis.
Theodora Anna Sprüngli war vielleicht die weltweit erste Frau, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannte. Das war 1904 auf der Jahresversammlung des von Magnus Hirschfeld gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitees – in der ersten bislang bekannten politischen Rede, in der auf die Probleme lesbischer Frauen verwiesen wurde.
Heiner Schulze, Schwules Museum
Sprüngli ist eine der Personen, mit der sich die Ausstellung „To Be Seen“ im NS‑Dokumentationszentrum München befasst. Auch diese Ausstellung über queeres Leben versucht eine Lücke in der Geschichte zu schließen und Sichtbarkeit zu schaffen, die während der NS-Zeit den Tod bedeuten konnte und noch heute zu Ausgrenzung führt.
Die Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit zwischen 1900 und 1950 und erzählt vom Aufblühen der queeren Szene und ihrer jähen Unterbrechung nach der Machtübernahme. Von „Queer“ sprechen die Kurator:innen in den Beschreibungen, wenn die frühere (Selbst-)Bezeichnung nicht bekannt oder aus heutiger Sicht missverständlich ist.
Um 1920 entwickelten sich in Großstädten, vor allem in Berlin, queere Strukturen in Form von Gruppen, Lokalen oder Magazinen. Aber auch im ländlichen Raum gab es vereinzelt Treffpunkte, die beispielsweise im Internationalen Reiseführer des Karl Schultz-Verlags vermerkt waren. Wie wirksam diese Strukturen auf dem Land und in Kleinstädten waren, lässt sich bislang nur schwer sagen. Auch damals allerdings zog es queere Menschen jedenfalls in die Städte, wo sie weniger soziale Ausgrenzung erfuhren.
Nicht gleichermaßen betroffen
Schon weit vor dieser Zeit – ab 1878 – wurden schwule Männer in Deutschland durch den Paragrafen 175 kriminalisiert. Österreich weitete das Gesetz auf Frauen aus. So organisierten sich viele im Versteckten und kommunizierten zum Beispiel in Kontaktanzeigen mit Codes.
Eine bekannte Figur im Berliner Nachtleben war zu dieser Zeit Claire Waldoff, eine Volkssängerin. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Olga von Roeder führte sie einen kulturell-politischen Salon zum Austausch unter Lesben. Nach der Machtübernahme 1933 hatte Waldoff für einige Zeit Auftrittsverbot, das nach ihrem Beitritt in die Reichskulturkammer aber wieder aufgehoben wurde.
Ein Beispiel dafür, dass nicht alle queeren Personen gleichermaßen betroffen waren. Einige, so beschreibt es ein Text der Ausstellung, wurden vom Regime auch „gebraucht“, wie etwa Gustaf Gründgens. Dessen Homosexualität war kein Geheimnis, dennoch war er während des Nationalsozialismus Intendant am Schauspielhaus Berlin und machte als Schauspieler Karriere.
Er wusste nicht, warum er verhaftet wurde
Dieses „Glück“ konnte ein gewöhnlicher Bürger wie Heinz Fleischer nicht teilen. In einem Videoausschnitt erzählt er von seiner Zeit in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Acht Jahre verbrachte er insgesamt dort. Nach Dachau kam er ohne Verhandlung. Warum er damals verhaftet wurde, wusste er nicht. Nach seiner Freilassung verfolgten ihn Beamte und nahmen ihn erneut fest, als er mit einem anderen Mann im Urlaub war. Verurteilt durch den Paragraf 175 kam er nach Buchenwald.
Über seine Erfahrungen sprach Heinz Fleischer erst im Alter von 92 Jahren. Einerseits, weil Homosexualität noch lange strafbar war in Deutschland, andererseits aus Scham. „Hätten Sie gerne mit jemandem darüber gesprochen?“, fragt der Interviewer im Film. „Vielleicht mit meinem Vater“, antwortet er und weint.
Bei der Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten gegen queere Personen lag der Fokus bislang vorwiegend auf schwulen Männern. Dass beim diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar erstmals den queeren Opfern des Nationalsozialismus gedacht wurde, führte auch zu Diskussionen, zum Beispiel über die Betroffenheit von Lesben, die von manchen nicht oder nur zu Teilen anerkannt wird. Dabei gab es durchaus Frauen, die aufgrund ihrer Homosexualität inhaftiert wurden. Vielen Lesben und trans* Frauen wurden weitere Strafen auferlegt.
Diese Diskussionen verfolgt auch Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin. In seinen Augen ist die Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. „Es benötigt mehr Sichtbarkeit und eine Anerkennung ohne Opferhierarchien“, sagt er gegenüber der taz. Dabei müsse man mehr auf die Komplexität achten und weniger darauf, die Betroffenen in starre Opferkategorien wie lesbisch oder jüdisch einzuordnen.
Anerkennen ist nicht genug
„Menschen ohne Geschichte sind Staub“, sagt Schulze. Wichtig sei es nun, die Opfer zu Menschen mit Geschichte werden zu lassen. Und dabei auch die Vergangenheit durchaus differenzierter zu betrachten. Zur Aufarbeitung gehöre zum Beispiel auch, dass unter den Täter:innen ebenfalls queere Menschen waren.
„TO BE SEEN. queer lives 19OO–195O“ ist bis zum 21. Mai 2023 im Münchner Dokumentationszentrum nsdoku zu sehen.
Ein Katalog zur Ausstellung ist für März im Hirmer Verlag angekündigt.
„Bisher wurde queere Geschichte immer als Nischengeschichte betrachtet und Erinnerungskultur von Aktivist:innen betrieben“, sagt er. Durch die Anerkennung der Politik finde diese Erinnerungskultur nun weitere Legitimation.
Doch diese Anerkennung allein reicht nicht. Das nach eigenen Angaben vermutlich weltweit größte Archiv queerer Geschichte im Keller des Schwulen Museums steht voll. Stapel über Stapel mit Nachlässen, die bislang niemand gesichtet hat. „Es fehlt an finanzieller Unterstützung, um Personal bezahlen zu können, die diese Arbeit leistet“, sagt Schulze. Die meisten seien Ehrenamtliche.
Wie groß das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Ausgrenzung heute noch ist, zeigt sich immer wieder – im Großen wie im Kleinen. Als Kim Petras vor wenigen Tagen in Los Angeles gemeinsam mit Sam Smith im Duo als erster trans* Frau ein Grammy verliehen wurde, wurde sie in den Kommentarspalten der Sozialen Medien angegriffen. Gleichzeitig aber erscheinen mittlerweile auch in kleinen Lokalzeitungen wie die Illertisser Zeitung Artikel über trans* Personen im ländlichen Raum, die sie innerhalb der Gesellschaft sichtbarer machen – und gleichzeitig verdeutlichen, wie wenig sie es sind.
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