Ausstellung über Shoppen auf Bestellung: Schneller! Billiger! Weniger!

Eine Hamburger Ausstellung zeigt, wie Wunsch und Wirklichkeit beim Paketkonsum auseinanderklaffen. Ein selbstkritischer Blick hätte der Sache gutgetan.

Ein Paketbote in orangefarbener Arbeitskleidung steht vor einem Lieferwagen, historische Aufnahme aus den 760er Jahren

Ein Paket-Schnelldienst-Zusteller in den siebziger Jahren Foto: Hermes

Hamburg taz | Ein Geschenk – so kann und muss die Hamburger Ausstellung „Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“ wohl genannt werden. Kann – denn ich kann mich nicht erinnern, überhaupt schon mal eine kulturwissenschaftliche Ausstellung gesehen zu haben, in der das Mitmachprinzip so gut funktioniert wie hier, im Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek.

Kann – denn sie funktioniert nicht nur deswegen so gut, weil die Kuratierenden schön-konkrete Idee hatten, sondern weil das Phänomen Versandhandel die Menschen fest im Griff hat: Ein Paket ist eben immer auch ein emotional aufgeladenes Gebilde, das weit mehr enthält, als in ihm drin ist.

Es steht für Feiertage wie Geburtstag und Weihnachten, ihm haftet immer der Gabencharakter an und damit die tief in uns verwurzelte Sehnsucht, dass andere Menschen an uns denken und uns etwas zukommen lassen mögen – auch wenn wir natürlich genau wissen, dass wir selbst uns beschenkt haben.

Eben das ist ja wiederum der Clou beim Bestellen von vermeintlich Nutzlosem, es geht nicht einfach ums Produkt, es geht um den Moment des Auspackens, das als „Unboxing“ längst zum Internetphänomen geworden ist (zitiert wird in der Schau sogar eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „Auspacken als kulturelle Praxis“).

Ein blinder Otto-Fleck

Ein Geschenk muss die Schau aber auch genannt werden: Nicht weil die in Hamburg ansässige Otto Group sie zum eigenen 75. Firmenjubiläum unterstützt hat – solche Art von Kultursponsoring mag man eines Geschmäckles bezichtigen, aber es kommt eben auf die Tischsitten an.

Als Nichthamburger musste ich mir die so zentrale wie umstrittene Stellung von Otto im hanseatischen Leben erst mal zusammengooglen – und das ist wahrlich keine langwierige Recherche. Wer sich von Otto unterstützen lassen möchte, mag das tun, aber dann muss Otto auch eine, zum Beispiel, Vitrine zu den Auseinandersetzungen um die Schließung und Verlagerung nach Osteuropa des Retourenzentrums in Hamburg-Bramfeld mitfinanzieren.

Die Ausstellung ist nicht unkritisch, was das von ihr dargestellte Phänomen Versandhandel angeht – aber genau diesen blinden Otto-Fleck darf sich ein Haus, das Teil einer Stiftung öffentlichen Rechts ist (Stiftung Historische Museen Hamburg), nicht leisten.

Etwas zum Anpacken

Nun aber schnell – die Pakete müssen ja in den Versand! In der Mitte des im 4. Stock der backsteinschönen „New York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ gelegenen Ausstellungsraums läuft ein spielerischer Wettbewerb, „Paketris“ genannt. Jedes teilnehmende Team muss Pakete aus einem Gitterwagen auf ein Förderband verfrachten, die Pakete über die Rollen bewegen, auf der anderen Seite entgegennehmen und an einer Containerwand stapeln. Dazu bitte die Zeit stoppen und anschließend auf der „High-Score-Tafel“ eintragen!

Die jungen Menschen, die ich an einem Montagmorgen beobachten durfte, hatten eine Menge Spaß – klar in dem Sinne, wie wir früher von der DDR sprachen: Eigentlich gar nicht so schlecht – wir können ja auch wieder weg.

Wer aber gesehen hat, wie oft Mitmachstationen in Ausstellungen einen desolaten Eindruck machen, der muss hier bei aller möglichen Kritik der Schuftereiverharmlosung anerkennen: Das läuft, das ist tatsächlich mal etwas zum Anpacken, in einer visuell und akustisch eh schon sehr hübsch gemachten Ausstellung.

Sehr tiefe Einblicke in die menschliche Seele

Ein zweiter Höhepunkt der Publikumsinklusion sind die Zettelwände mit den Fragen nach den Wünschen für die Zukunft des Versandhandels und dem wohl unvermeidlichen „Was ist dir so peinlich, dass du es online kaufst?“

Es ist mir zu peinlich, hier ins Detail der zu dieser Frage hinterlassenen Antworten zu gehen, da müssen Sie sich bitte selbst ins bezaubernde Barmbek bemühen – bis zum 28. April 2025 läuft die Ausstellung noch. Ich kann nur sagen, es werden sehr tiefe Einblicke in die menschliche Seele geboten.

Was die Menschen sich von der Zukunft einer Branche erwarten, die im Pri­vat­kun­d*in­nen­ge­schäft 2023 rund 80 Milliarden Euro umgesetzt hat – und zu Lockdownzeiten fast 100 Milliarden – lässt sich hingegen auch hier wiedergeben, etwa ein im netten Hamburg gar nicht so erwartbares „Ich möchte ja im Laden kaufen, aber die Ver­käu­fe­r*in­nen sind so unfreundlich“ über ein „Mehr Fahrer aus Polen“ bis zum „Dass meine Pakete schneller ankommen“.

Deutsche mit einem Viertel Retouren europäische Spitze

Zusammengefasst soll das Business schneller, zuverlässiger, billiger und bequemer werden bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeitsqualität für die Menschen vom Logistikzentrum bis zum 5. Stock ohne Aufzug und allgemeiner Kritik an wahllosem Konsum; die Deutschen sind mit einem Viertel Retouren wenigstens einmal noch europäische Spitze.

Im abgrundtiefen Auseinanderklaffen zwischen Wunsch und Wirklichkeit erinnert das an die Lebensmittelbranche, wo es ähnliche Fantasien gibt, weiterhin sehr viel, sehr billiges Fleisch zu essen, aber die lieben Tierchen sollen bitte auf keinen Fall leiden!

Wie sehr einen das Paketbusiness emotional am Wickel hat, zeigen die alten Kataloge aus den 1970ern und 80ern. Kindheitsträume vom Besitz wunderbarer Stereo-Radio-Recorder drängen hier aus längst abgelegt geglaubten Schichten mit Macht empor, haben haben haben, schreit es in mir.

31,5 Kilo dürfen Pakete derzeit wiegen

Und die Technologien der Branche waren immer nur damit beschäftigt, diesen gierigen Impuls möglichst in Echtzeit in eine verbindliche Bestellung münden zu lassen: So kamen wir beim 1-Click-Kauf an, bald wird uns der Kauf­impuls direkt aus Hirn, Bauch oder tieferen Regionen abgesaugt werden.

Und dann, was man alles verpasst hat! Seitenweise „Revolver in erstklassiger Qualität“, speziell „für Radfahrer, welche zu später Stunde fahren“! Oder die großartigen „Hundebomben für Radfahrer und Automobilisten, ganz besonders stark knallend“, alles im 1915er Katalog von August Stukenbrock Einbeck, „Grösstes Versandhaus Deutschland“.

Wir Heutigen müssen uns mit dem trösten, was wir nicht müssen, ein „Exoskelett für Lagerlogistiker*innen“ tragen zum Beispiel, elektrisch motorisiert. 31,5 Kilo dürfen Pakete derzeit wiegen, „für die Mitarbeitenden in der Lagerlogistik eine immense körperliche Anstrengung. Die Exoskelette „können sie beim Heben entlasten“.

Ich musste an die Beschäftigten in den – ja, die heißen so – Lagern denken, die in Flaschen pinkeln, um den Ablauf nicht zu stören. Ob ein Paket an unserer Wohnungstür weniger an solchen Verhältnissen etwas ändert, diese Entscheidung schenkt uns mal wieder niemand.

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