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Ausstellung in BayernDen Apparat zerlegen

Retrospektive in Regensburg: Die Ostdeutsche Galerie ehrt ihren Lovis-Corinth-Preisträger, den slowakischen Künstler Roman Ondak.

Enerviertheit eines Lebens in der postsozialistischen Gesellschaft: „Perfect Society“, Teil der Ausstellung Foto: D. Lamacova/KOB

Hoch lebe die kindliche Fantasie, die im Namen einer Schreibmaschine des Großvaters, einer Remington, die Ähnlichkeit mit dem Vornamen „Roman“ entdeckt. Dies ist nur eines von vielen aberwitzigen Anekdötchen aus dem Bereich des Häuslichen, die Roman Ondaks Werk begleiten. Dem kindlichen Wunsch, den Apparat zu zerlegen, folgte er erst zwanzig Jahre nach seiner Ausbildung zum Maler und Grafiker an der Akademie in Bratislava.

Er hat die herrlichen Einzelteile nicht so präsentiert, wie Raffael Rheinsberg es gemacht hätte (komplett, nach Größen, am Boden), nein, sondern stattdessen Tasten, Hebel, Schienen und Rahmen jeweils einzeln auf Bretter und alte Möbel montiert, das Ganze also im Kontext der Vorkriegszeit versenkt. Ondaks Kunst ist scharf gedacht, aber aufgeladen mit Patina.

Der geniale Maler Lovis Corinth gehörte nicht zum Inventar meiner eigenen Kinderstube – ich habe den Namen 1985 zum ersten Mal von Rainer Fetting in New York gehört. Damals jedenfalls war die Ostdeutsche Galerie in Regensburg noch Outpost einer deutschen Kulturpolitik, die früheren deutschen Ostgebieten melancholisch gedachte, und auch der nach Corinth benannte Preis ging bis vor Kurzem an Künstler, die in Ostpreußen oder Schlesien geboren worden waren.

Dieses Jahr also wurde der Preis Roman Ondak verliehen, der weder deutsche Wurzeln hat noch, zum Beispiel, in Düsseldorf studierte – das waren, in den letzten fünfzig Jahren, die geläufigen Querverweise.

Seit der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar dieses Jahres sieht Ondak die Notwendigkeit der Einmischung

Eingeladen in Regensburg, präsentiert nun Ondak eine kleine Retrospektive, die das ganze Untergeschoss des Kunstforums Ostdeutsche Galerie (KOG) einnimmt, eine ehemalige Turnhalle in Gestalt eines Palais, dessen vier Portikussäulen Magdalena Jetelová mit rotem Kunststoffteppich konstruktivistisch ummäntelte. Ulrike Lorenz, die von 2004 bis 2008 die Umorientierung des Museums angestoßen hatte, lässt nun als Leiterin der Kunsthalle aus Mannheim von sich hören.

78 schwarze Rahmen

Ondak, ein zum Scherzen aufgelegter Konzeptualist, hat mit 52 Jahren bereits eine internationale Karriere. Das liegt in der List seiner Ideen. Für „New Observations“ hat er eine akademische Studie von 1956 ausgeschlachtet, „Nonverbal Communication“ des Psychiaters Juergen Ruesch. Diesem erstaunlichen Buch wurden nur die Alltagsfotos entnommen, die auf den kalifornischen Universalkünstler Weldon Kees zurückgehen, inklusive der Bildunterschriften des Autors.

In 78 schwarzen Rahmen wird so ein ganzer Saal zu einem Lehrpfad über eine Methode der Alltagdeutung, die man als höchstmenschliche Wissenschaft bezeichnen könnte – oder als altklugen Populismus. Wie man es eben sieht. Der slowakische Künstler appropriiert genau auf Kante.

Das beliebteste Werk beim staunenden Publikum ist der 16-mm-Film „Lucky Day“, der am Wallfahrtsort San­tia­go de Compostela spielt, ein Loop von nur vier Minuten: Ein Mann bewegt sich aus seinem Haus durch die engen Gassen – chiaroscuro – zu einem Brunnen. Dort kommt der Karton zum Einsatz, den er unter dem Arm trägt. Er kippt mehrere tausend Münzen dort hinein, der abergläubische Ritus des Wunschs verwandelt in eine Orgie.

Notwendigkeit der Einmischung

Roman Ondak stammt aus der Industriestadt Žilina, und wer in seiner Kunst eine arbeitsintensive Variante der Abwicklung von Arbeit erblickt, liegt sicher nicht ganz falsch. Ku­rio­se schwarz-weiße Fotos von Nichträumen legen nahe, er wäre fast ein Gregor Schneider geworden, ein Hexenmeister des Interieurs. Tatsächlich hatte er sich an Zimmern seines Elternhauses versucht.

Aber die Liebe zum Objekt hat sich durchgesetzt. Marode Bleigauben seines Hauses in Bratislava finden sich als grüne Klumpen auf dem Steinboden eines Ausstellungssaals wieder, an Monets Seerosen erinnernd. In einer Nische wurde ein Feuermelder versteckt, das Glas zerschlagen, die rote Verblendung angekokelt. Seine kosmischen Beobachtungen hat er auf dunklen Holztafeln illustriert, wobei versenkte Blechkellen als Gestirne dienen, angehalten in ihrem Lauf.

Zwischen gehobener Augenbraue und ausgewachsener Allegorie ist die Ideenwelt Roman Ondaks theoretisch unendlich; seine Grenze bleibt der Zugriff auf gefundenes Material. Die Rohre einer untauglichen Zentralheizung wurden – gekappt zu kleinen Einheiten – als uniforme Armee aufgestellt. Die Verbindungsstücke dagegen sind frei ausgelegt; aber an­ein­andergekettet.

Diese Installation, „Perfect Society“, seine jüngste Arbeit, ist vielleicht etwas zu symbolhaft geraten. Sie verrät eine gewisse Enerviertheit eines Lebens in der postsozialistischen Gesellschaft – mit ihrem konformen Patriotismus, impliziter Drohung, demokratischer Erosion. Seit der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar dieses Jahres sieht Ondak die Notwendigkeit der Einmischung – bei den Freitagsdemonstrationen in Bratislava ist er dabei.

Ein entlegenes Schaufenster

Die Ausstellung

Bis 9. September, KOG Regensburg, Katalog (Walther König): 29/38 Euro

Die Verleihung des Corinth-Preises an Ondak ist abbildbar auf dem Stamm der Preisträger, die fast alle internationale Größen waren. Auch der Slowake hat im MoMA, in der Tate, in der Pinakothek der Moderne und auf der Documenta ausgestellt. Relativ neu ist nur die Öffnung der Regensburger Institution, die aus dem Bundeskulturetat nach Paragraf 96 des Bundesvertriebenengesetzes gefördert wird – man mag es ihr gönnen.

Dennoch bleibt sie ein entlegenes Schaufenster auf einen noch entlegeneren Schauplatz. Es sei daran erinnert, dass es in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei keine SED-Kulturpolitik gab. Die Verbindungen zur abstrakten, aber auch zur dekorativen Kunst blieben offen. Man staunte im Winter in Berlin über das Werk von Wenzel Hablik, sein im Detail dokumentiertes Leben auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk. Aber noch ist der Eiserne Vorhang nicht ganz geschleift oder die Vorstellung davon, dass es ihn wirklich gegeben hat.

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