Ausstellung „Me at the Zoo“ in Hamburg: Verdammte Selfies
Die Ausstellung „Me at the Zoo“ zeigt Kunst an der Grenze zwischen Analogem und Digitalem, zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstinszenierung.
Habecks Twitter-Moratorium bringt einerseits den Reiz, andererseits das Problem der Ausstellung „Me at the Zoo“ im Kunsthaus Hamburg auf den Punkt. Die Jahresausstellung des Berufsverbands Bildender Künstler*innen Hamburg (BBK) zeigt Kunst an der Grenze zwischen Analogem und Digitalem, zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstinszenierung.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf das erste Video, das 2005 auf Youtube hochgeladen wurde: ein 19 Sekunden langer Clip, in dem Youtube-Gründer Jawed Karim vor einem Elefantengehege steht und unbeholfen an der Kamera vorbeinuschelt, dass ein langer Rüssel cool sei. Nerdiger Jungshumor, den man weder raffiniert noch interessant finden muss. Der allerdings eine ganz neue Form der likebasierten Selbstdarstellung eröffnet hatte. Und zu der muss sich die Kunst irgendwie verhalten.
Kunstgucken als Seiltanz
Sylvia Henze hat ihre Form des Verhaltens gefunden. Ihre Installation „C27H29NO11HCI“ besteht aus einem langen Flur, der mit unzähligen Passfotos der von einer Chemotherapie gezeichneten Künstlerin tapeziert ist. Der Boden besteht aus einer Spiegelfläche, auf der ein Holzbrett liegt; der Gang über das Brett wird so zum Seiltanz, der mit der Illusion eines Sturzes in die Tiefe spielt.
„C27H29NO11HCI“ ist eine beeindruckende immersive Arbeit, aber sie repräsentiert ohne jeden Bruch eine Eins-zu-eins-Ästhetik, die einen ein Stück weit unbefriedigt zurücklässt. Verübeln kann man Henze diese Ästhetik nicht – die Diagnose Krebs ist ein Schock, vergleichbar mit dem hier erlebten Schritt ins Bodenlose. Warum sich allerdings der zutiefst unmittelbare Charakter dieser Schockerfahrung im Analogen besser darstellen lässt als im Digitalen, bleibt Behauptung.
Nicht alle Arbeiten berühren einen mit der inhaltlichen und formalen Wucht von Henzes Installation. Jeanne Lefins „La Narcisa. Selbst-Ornament im Spiegel des Narziß-Mythos“ etwa ist eine reizende, dabei aber extrem zurückhaltende Miniatur. Vier Bronzefigürchen, winzige aber kunsthandwerklich extrem aufwendige Mini-Selbstporträts, die durch den Titel der Selfie-Kultur einen narzisstischen Gehalt unterstellen – und sie damit natürlich auch ein Stück weit aus einer bildungshuberischen Warte denunzieren.
Bis 3. 3., Hamburg, Kunsthaus; Rundgänge mit den Künstler*innen: Ute Kühn, Gabriele Kruk: 10. 2., 15 Uhr; Mathias Will: 28. 2., 18 Uhr
Überhaupt arbeiten sich ziemlich viele Exponate am Selfie ab: Heilwig Jacobs „Smartphoneskizzen“, die das Format des Handydisplays in die Malerei übertragen, oder Marianne Timander Korths Bleistiftzeichnungen „Kopf Brust Bauch 1–6 A/B“. Wenn man das Selfie als konsequente Fortführung des Selbstporträts versteht, kann man das natürlich machen; dass allerdings bei einer Gegenüberstellung von Selfie und Kunstwerk das Kunstwerk in der Regel die besseren Karten hat, ist klar. Was die Transformation in den Ausstellungskontext ein wenig schal wirken lässt.
Auch wenn Selfieformen die Ausstellung prägen: Nur wenige der Exponate sind im eigentlichen Sinn Fotokunst, stattdessen gibt es einen spürbaren Überhang installativer Arbeiten. Zum Beispiel zwei Werke Dagmar Nettemann Schuldts, „Kleid, gestrickt“ und „Fingerabdruck“, bei denen intime Details in Alltagsmaterialien eingeschrieben werden. Oder Carsten Rabes „#Me at the Zoo“, auch wenn hier tatsächlich Fotos versammelt sind; Fotos, die mal einen gewissen Kompositionsanspruch verraten (die fein austarierte Aufnahme eines schlafenden Hundes etwa), mal eher Schnappschusscharakter haben.
Ihre Qualität gewinnt Rabes Arbeit allerdings erst durch die Anordnung der Bilder, als grobe Petersburger Hängung, die die Aufnahmen fragmentiert, Überlappungen herstellt, Motive anschneidet. In dieser Überlagerung der Bilder entstehe ein Youtube-Effekt, so Rabe. Ob das so zutrifft, sei dahingestellt – eine spannende Bildpräsentation stellt die Arbeit auf jeden Fall dar.
Diffueses Grundrauschen
Auch Till F.E. Haupts Installation „Days in a Life“ überträgt für sich genommen leidlich spektakuläre Fotos in einen Installationskontext. Ein Film mit unzähligen, in wahnwitziger Geschwindigkeit ablaufenden Selbstporträts ist hier einem zweiten Film mit Aufnahmen aus einer 24 Stunden belichtenden Lochkamera gegenübergestellt.
Die nicht unsympathische Selbstinszenierung schaut hier der wertfreien Aufzeichnung des gesamten Tagesgeschehens ins Gesicht. Und erkennt: nichts. Die Dauerbelichtung der Lochkamera erzeugt ausschließlich ein diffuses Grundrauschen. Was den Authentizitätsanspruch, der sowohl die Ausstellung „Me at the Zoo“ als auch den gleichnamigen Youtube-Clip umgibt, hübsch ins Leere laufen lässt.
Robert Habeck mag den sozialen Medien entsagt zu haben, in Maria Giberts Video „The Entertainer“ aber sieht man den Tänzer Alexander Varekhine in der Rolle eines Politikers, der Botschaften in den leeren Raum sendet. Das Video ist einerseits die Aufzeichnung einer Performance des Hamburger Künstler*innenkollektivs The Current Dance Collective (die auch bei der Vernissage von „Me at the Zoo“ zu sehen war), andererseits ein eigenständiges Kunstwerk, das unvermittelt Bilder eines Affenwesens zwischen Varekhines Auftritt schneidet. „Man macht sich zum Affen!“, kommentiert Gibert das Video, und, ja, das ist wieder die bekannte Skepsis gegenüber dem Digitalen, die auch Habeck unterschreiben würde.
Aber: „The Entertainer“ macht einen Zwischenraum auf, zwischen dem analogen Charakter der Performance zur Ausstellungseröffnung und dem digitalen Charakter der Präsentation als Video, zwei Ebenen, die inhaltlich nicht deckungsgleich sind. Und dieser Zwischenraum beschreibt den Reiz der klugen, ästhetisch reifen Ausstellung, die „Me at the Zoo“ neben der manchmal ein wenig bieder daherkommenden inhaltlichen Ausrichtung eben auch ist.
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