Ausstellung „Geniale Dilletanten“: Die Achtziger in der Zeitschleife
Die Ausstellung in München feiert die deutschen Subkulturen der 80er Jahre. So langsam darf man fragen: Ist nicht auch mal gut mit dieser Zeit?
Die 80er Jahre waren am vergangenen Samstagabend in Berlin zu Gast. So richtig mit hochtoupierten Haarspray-Frisuren, die wie Readymades durch den Raum schwebten, mit Leggins und Ketten, gar mit einer Fast-Schlägerei im Publikum zwischen zwei Punk-Frauen oder Punketten, wie man vielleicht damals gesagt hätte.
Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) spielten im Astra Kulturhaus in Berlin-Friedrichshain gerade die erste Zugabe, Gabi Delgado-López stand statisch auf der Bühne, nasses schwarzes Hemd, und sang im Stakkato-Stil „Kebabträume in der Mauerstadt / Türk-Kültür hinter Stacheldraht“. DAF, eine der prägenden Bands des Punk und des New Wave der frühen 80er Jahre, waren auf Abschiedstour. Endgültig, angeblich. Etwa 1.500 Menschen johlten, forderten weitere Zugaben und wollten das noch nicht wahrhaben.
Es fügte sich gut ins Bild, dass Delgado-López da im Weiteren natürlich auch den Mussolini und den Adolf Hitler tanzte, und dass sich am Ende auch noch „Der Räuber und der Prinz“ ein Stelldichein gaben. Denn die Subkultur der 80er ist gerade überall, wohin man auch geht, wohin man auch schaut. Kürzlich erst lief der Film „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin“ an, kurz nach Oskar Roehlers „Tod den Hippies – Es lebe der Punk“, und in der Hauptstadt überschlägt man sich sowieso mit Veranstaltungen zur Musik oder Kunst dieser Dekade.
Da will München nicht nachstehen, dort ist derzeit die Ausstellung „Geniale Dilletanten“ (richtig nur mit Rechtschreibfehler!) im Haus der Kunst zu sehen, die sich den großen Bands dieser Zeit – neben DAF etwa den Einstürzenden Neubauten und Die Tödliche Doris – widmet und vor allem das Zusammenspiel zwischen bildenden Künsten, Film, Musik und Geräuschcollagen in den Vordergrund rückt.
Der Titel der Schau bezieht sich auf das “Festival der Genialen Dilletanten“, das im September 1981 im Berliner Tempodrom stattfand. Später wurde sie als Eigenbezeichnung dieses Künstlerkreises geläufig. Der Musiker und Autor Wolfgang Müller (Die tödliche Doris) hat nach dem Festival ein Merve-Bändchen gleichen Titels veröffentlicht, inklusive des zunächst unbeabsichtigten Rechtschreibfehlers.
Ein Sehnsuchtsbild
„Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland“. Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München. Noch bis zum 11. Oktober.
Betritt man die Ausstellung im Haus der Kunst am Englischen Garten in München, so sieht man zunächst eine wandfüllende Fototapete. Die Aufnahme zeigt den Kreuzberger Klub SO 36 nach einem Konzert im Jahre 1982: ein kahler Raum, zertrampelte Bierdosen auf dreckigem Boden, zwei Typen lehnen an einer Heizung, daneben nackte Wände. Ein Sehnsuchtsbild, vielleicht ein verklärendes. In jedem Fall ein Sinnbild für den Geist von Westberlin in dieser Zeit, für das Stadtbild: viel Grau, viel Fläche. Ein Abenteuerspielplatz der Künste.
Man kann sich fragen: Warum die immer wiederkehrende Rückbesinnung auf diese Zeit? Warum erscheint sie heute als so epochal? Kunstwissenschaftler Leonhard Emmerling gibt im Katalog zu der Münchener Ausstellung eine Antwort: „In Deutschland gab es keine Subkultur mehr seit dem Ende der 80er Jahre“, erklärt er, nachdem er den radikalen Gestus der Kunst, die in der Tat mit dem Vorschlaghammer daherkam, schildert – und in der Nachwendezeit keinen solchen mehr vorfindet. Keine Subkultur mehr? Das scheint abwegig, wenn man an die Musikszenen in Hamburg oder Berlin in den Neunzigern denkt – und doch sagt es etwas aus darüber, wie radikal diese Frühachtziger-Generation noch heute wirkt.
Es war die Zeit des Do-it-Yourself. Die Zeit der Rebellion durch Negation im Ästhetischen. Die Zeit, in der Nichtkönnen kein Argument für das Nichtmachen war. Der Joseph-Beuys-Gedanke des „Jeder ist ein Künstler“ schwang mit, nicht immer im Positiven, man denke an die Künstlerfigur in Sven Regeners „Herr Lehmann“. Thomas Meinecke (Freiwillige Selbstkontrolle) sagt in einem Dokumentarfilm, der in der Ausstellung zu sehen ist, es sei die Chance für jeden gewesen, „sich zu Gehör zu bringen“. Auch und gerade für Dilettanten.
Ist nicht mal gut mit 80er?
Interessant ist, warum die schwere, physische, auch spezifisch deutsche Musik, die daraus entstand, eine Art Anti-Wagner, dermaßen nachhallt. Und auch, ob es gelingen kann, diese Subkultur, in der Spontaneität und der wuchtige Sound eine so große Rolle gespielt haben, ins Museum zu bringen. Und so langsam darf sich auch fragen: Ist nicht mal gut mit 80er?
Berlin und Düsseldorf, mit Zweigstellen wie München oder Hamburg (von wo aus Alfred Hilsberg bis heute das ZickZack-Label betreibt) bilden als Zentren der damaligen Subkultur den Schwerpunkt der Schau im Haus der Kunst. An den Wänden hängen die Bilder der Neuen Wilden, Martin Kippenberger oder Markus Oehlen. Besonders spektakulär ist das sich über zwei Räume hinstreckende „1/10 Sekunde vor der Warschauer Brücke“ von Bernd Zimmer. Ein riesiges Gemälde, 28 Meter lang und drei Meter hoch; 1978 war es für einen einzigen Tag im SO 36 zu sehen. Die Berliner S-Bahn rauscht fast in Originalgröße an dem Betrachter vorbei, mit ihr die groben Pinselstriche, mit ihr das Kreuzberger Nachtleben. Toll ist das.
Zentral aber sind sieben Stellwände zu sieben prägenden Bands der Zeit – neben den schon genannten sind dies Palais Schaumburg, Der Plan und, als einzige DDR-Band, Ornament und Verbrechen. Die umstürzlerische Kunst wird hier allerdings zu fade präsentiert: Stellwände, Bilder, Videos. An den Hörstationen, wo man die Songs der Bands auf Kopfhörern abspielen kann, sind ordentlich die LP-Cover aufgereiht.
Wer DAF sagt, muss auch Kraftwerk sagen!
Es fehlen einem die Widerstände, auf die diese Kunst damals traf und die sie evozierte. Der Ort, München, wo 1937 erstmals die NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen war (während zeitgleich im Haus der Kunst die NS-Propagandaschau „Große Deutsche Kunstausstellung“ stattfand), hätte schon zu mehr Mut und historischem Diskurs eingeladen: Was die Subkulturen der frühen Achtziger da betrieben, könnte man doch etwa als entartete Kunst zweiter Ordnung bezeichnen; nicht denkbar ohne die historischen Avantgarden, nicht denkbar ohne NS-Zeit, Adenauerzeit, 68 und RAF – und dazu da, die BRD zu erschüttern. Überhaupt, Mut: Vielleicht hätte man den ganzen Englischen Garten mal mit Neubauten-Sounds beschallen sollen.
Auch musikhistorisch fehlt der Bezug zur Geschichte und zur Gegenwart: Die Ausstellung bildet nur diese wenigen Jahre ab, ohne die Entstehungsbedingungen, ohne das Davor und Danach zu berücksichtigen. Wer DAF sagt, muss auch Kraftwerk sagen. Man hätte sie vor 20 Jahren auch so ähnlich zeigen können, es hätte ähnlich ausgesehen – abgesehen von den iPads an den Hörstationen. Und dass es ein musikalisches Vorleben in Deutschland gab, das auch positiv, nicht nur als Abgrenzung, auf Punk und NDW abfärbte, bleibt unerwähnt.
Wo sind die Frauen?
Und wo sind eigentlich die Frauen? Gerade in der Berliner Szene hätte sich mindestens ein Exkurs zur Rolle der Frauen in Punk und NDW angeboten – und man hätte damit wiederum ans Heute anknüpfen können. Denn, wie sagt Gudrun Gut (Malaria!) in Jürgen Teipels einschlägigem Buch „Verschwende Deine Jugend“: „Dieses Business war überhaupt nicht weiblich. (…) Es war wichtig, sich zu Frauenbands zu verbünden. Da konntest Du ganz locker ausprobieren, ohne dass es diesen Geschlechterkampf gab. Eine Frau bringt einen ganz anderen Aspekt in die Musik rein. Wenn eine Frau da ist, dann ist die Band anders. Das gibt einen anderen Sound.“
Die künstlerische Radikalität, auch die Spontaneität kommt in dieser Schau am ehesten visuell rüber. Musikalisch nähert man sich einer Band wie Die Tödliche Doris mit ihrer kruden Mischung aus Humor, Konzeptkunst und Experimentierfreude wohl besser, indem man zu Hause die Alben abspielt. „Unser Debut“ (1984) und „Sechs“ (1986) etwa sind kürzlich in einer Neuauflage erschienen – beide Alben ergeben, spielt man sie zusammen ab, eine dritte LP: „Die Unsichtbare“.
Unsichtbar und ausgeblendet bleiben in der Münchener Schau verschiedene Sub-Szenen aus der Zeit des Punk und Postpunk. Im Titel klingt die Konzentration auf Berlin bereits an, dabei war das „Geräusche für die Achtziger“-Festival in der Hamburger Markthalle im Jahr 1979 schon der Wegbereiter dafür. Die dortige Szene bildet auch besser die Konflikte innerhalb der Szene ab – zwischen den proletarischen Punks und dem, was in deren Augen nur „Kunstkacke“ war. Punk als Klassenfrage. Der Streetpunk, auch die Bands, kommen in der historischen Betrachtung oft zu kurz, und sei es, weil die Protagonisten nichts mehr sagen können oder wollen.
Krach und Industrial
Zudem wären andere, aktuellere Perspektiven zwingend. Zum Beispiel, wie sich die veränderten Produktionsbedingungen der Musik sich zum Beuys’schen Diktum verhalten. Oder wie die nachfolgenden Subkulturen – die es durchaus gab – von den Frühachtzigern, im Positiven wie im Negativen, beeinflusst wurden. Schorsch Kamerun etwa sagt in dem ausstellungsbegleitenden Film, sie hätten mit den Goldenen Zitronen später alles wieder umdrehen müssen. Nix Krach und Industrial, bunte Hemden und Funpunk. Da wird es doch erst spannend!
Eine Schau wie diese mag im Ausland besser funktionieren, wo sie, initiiert vom Goethe-Institut schon lief. Auch für Leute, die sich zum ersten Mal mit dieser Subkultur beschäftigen, mag sie einen Einblick geben. In dieser Form aber, als Nacherzählung, kann man – nach zahlreichen Büchern zum Thema – sagen: Es langt langsam.
Gabi Delgado-López war im Astra in Friedrichshain am Ende komplett durchnässt. In jeder Liedpause schüttete er sich eine Pulle Wasser über den Kopf. Kaltes, klares Wasser. Die Songs von DAF blieben so minimalistisch wie gut, allerdings wurde bis auf einige behutsame Snare- oder Beckenschläge und Delgado-López’Stimme nichts live eingespielt. Es war ein bisschen so, als würden DAF DAF covern. Eine gute Stunde blieben die 80er und das alte Westberlin auf der Bühne im Astra. Dann traten zufriedene, faltige Gesichter und hochtoupierte Frisuren hinaus in eine andere Stadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen