Außengastronomie in Hamburg: Piefige Parkplatzliebe
In Hamburg dürfen Restaurants und Kneipen am Wochenende Parkstreifen für Tische und Stühle nutzen. Wenn sie abends alles brav wieder einräumen.
B arcelona, Rom, Lissabon. Warme Sommerabende, ein kaltes Glas Weißwein, um einen herum laut angeregte Gespräche, Gläser klirren, Tapas werden serviert. Im Urlaub mögen wir das, dieses unbeschwerte Lebensgefühl. Zu Hause soll dann aber alles etwas geordneter ablaufen. Außengastronomie soll Rücksicht nehmen: natürlich auf Anwohner*innen – um 22 Uhr ist Schluss mit lustig! – und Parkplätze soll sie dabei auch nicht kosten.
Die Bezirksversammlung in Hamburg-Mitte hat gerade eine neue Regelung beschlossen. In Stadtteilen wie St. Pauli oder St. Georg dürfen Kneipen und Restaurants die angrenzenden Park- und Ladeflächen von Freitag 17 Uhr bis Sonntag 22 Uhr als Außenbereich nutzen. Stühle und Tische müssen sie jeden Abend brav wieder reintragen, damit – Gott bewahre – hinterher nicht noch jemand Unbefugtes dort Platz nimmt. Den Rest der Woche dürfen wieder Autos dort parken.
„Außengastronomie mit Augenmaß“ nennen SPD, CDU und FDP das. Ich nenne es Lebensfeindlichkeit. Der Platz in der Stadt ist begrenzt. Trotzdem nehmen den größten Teil des Straßenraums Autos ein. In Hamburg, wo in der Innenstadt an jeder Ecke alle paar Minuten ein Bus oder eine Bahn fährt, ist das Platzverschwendung. Eine sinnvolle Option wären Anwohner:innenparkhäuser in den Vierteln. Eine andere weniger Autos.
Die wildesten Ecken Hamburgs
Mit dem Raum könnten wir so viel anfangen: mehr Grün, mehr Raum, um sich zu bewegen, aber auch Außenflächen in der Gastronomie. Ja, da ist dieses Anwohner:innenproblem. Aber Menschen, die gern in die dreckigsten und wildesten Ecken von Hamburg ziehen, weil das halt cooler ist als Rahlstedt, die müssen auch damit leben, dass es in diesen Ecken lauter ist.
Im Hamburger Stadtteil Ottensen gab es fünf Monate lang das Pilotprojekt „Ottensen macht Platz“. Eines der Ziele war es zu zeigen, dass der öffentliche Raum mehr sein kann als „eine kostenlose Abstellfläche für Autos“. Einige wenige, darunter einer, der sich auch vor Gericht durchsetze, kritisierten das Projekt. Aber vor allem die Anwohner äußerten sich bei einer Befragung positiv. Das Projekt habe mehr Verkehrssicherheit für Kinder und auch mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer gebracht. Ottensen feilt jetzt an einer immerhin autoarmen Lösung für den Stadtteil.
Solche Konzepte und eigentlich noch radikalere braucht es für alle innerstädtischen Stadtteile. Und in Szenevierteln, die so stark von Gastronomie und Kneipen geprägt sind wie St. Pauli und St. Georg, gehören dazu auch großräumige Außenflächen, auf denen wir im Sommer so entspannt sitzen können wie in Barcelona, Rom oder Lissabon. Niemand zwingt die Anwohner:innen, gerade dort zu leben. Aber wer Großstadtflair will, kriegt auch Großstadtflair. Sonst probiert’s doch mal mit Buxtehude!
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