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Ausschreitungen in ChemnitzKlassenkampf vorm Marx-„Nischel“

Nach einer tödlichen Attacke in Chemnitz brechen sich rechte Aggressionen Bahn. Beim Aufmarsch am Montag war der Mord aber nur Stichwortgeber.

Rechte Demonstrant*innen vor dem Karl-Marx-Monument am Montag, 27. August 2018, in Chemnitz Foto: dpa

CHEMNITZ taz | Die Kameras der zahlreichen Fotografen klickten heftig. Waren doch die Motive an diesem Montagabend an Groteske kaum zu überbieten. Der in Bronze gegossene riesige Karl-Marx-Kopf, in der DDR auf sächsisch nur „der Nischel“ genannt, blickte stumm auf eine stetig wachsende Menge aufgebrachter Bürger, denen er eigentlich verhasst ist. Bis zu 3.000 könnten es am Ende gewesen sein. Um den Sockel der zweitgrößten Porträtbüste der Welt hatten die Demonstranten in Fraktur eine Banderole mit dem Refrain des Erzgebirgsliedes „Doitsch und frei woll´mer sei“ gebunden.

Als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß, fanden hier auf der Karl-Marx-Allee die großen SED-Aufmärsche und Maikundgebungen statt. Hier hielt Oskar Lafontaine vor WASG-Anhängern 2005 aber auch seine missverständliche „Fremdarbeiter“-Rede, die die später mit der PDS zur Linken vereinigte Wahlalternative plötzlich in ein rechtes Licht rückte.

Hinter dem „Nischel“ prangt am Gebäude der ehemaligen SED-Bezirksleitung in riesigen Lettern und verschiedenen Weltsprachen noch immer die Aufforderung aus dem Kommunistischen Manifest: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Was sich hier vereinigte, war am Tag zwei nach der Ermordung eines Deutschkubaners die alte und die neue Rechte, verstärkt durch „besorgte Bürger“ aus Chemnitz.

Die im Stadtrat mit drei Sitzen vertretene ausländerfeindliche Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ hatte den „Trauermarsch“ angemeldet. Pegida-Gesichter aus Dresden waren unschwer zu entdecken, der frühere PDS-Anwalt Jens Lorek zum Beispiel oder Heiko Müller, der im Wahlkampf den Anti-Merkel-Tourismus organisierte. Die nationalsozialistische Partei „Der dritte Weg“ stand mit einem Plakat in der ersten Reihe.

Anlass, um Generalfrust auszutoben

Nazigrößen wie Tommy Frenck oder der Konzertveranstalter Patrick Schröder tauchten in der Menge unter. Eine zunächst eifrig geschwenkte AfD-Fahne war nach einer halben Stunde verschwunden. Deren sächsische Landesspitze hatte per Pressemitteilung versucht, sich von den spontanen Ausschreitungen am Sonntag zu distanzieren und eine friedliche Trauerkundgebung am kommenden Sonnabend angekündigt.

Die Rufe folgten den von Pegida und anderen rechten Aufzügen bekannten Ritualen. Selbstverständlich muss Merkel weg, wird der Widerstand beschworen und die „Lügenpresse“ beschimpft

Der Ermordete, um den man hätte trauern können, spielte bei diesem rechten Aufmarsch nur als Stichwortgeber im makabersten Wortsinn eine Rolle. In der Nacht zum Sonntag war er erstochen und zwei seiner Begleiter schwer verletzt worden, mutmaßlich von einem jungen Iraker und einem Syrer. „Aufstehen gegen Messer-Gräuel“ fordert ein Plakat, „Asylflut stoppen“ ein anderes.

Die Mordtat lieferte nur den Anlass, Generalfrust auszutoben. Denn die Rufe folgten den von Pegida und anderen rechten Aufzügen bekannten Ritualen. Selbstverständlich muss Merkel weg, wird der „Widerstand“ beschworen und die „Lügenpresse“ beschimpft.

Redner, die wegen der Störrufe der linken Gegendemo kaum zu verstehen sind, heizen eine Bürgerkriegsstimmung an. Die spontanen Hetzjagden auf Ausländer am Sonntag seien nicht Selbstjustiz, sondern Selbstverteidigung gewesen. „Die nächste Wende muss erheblich gründlicher werden“, ruft einer unter Gebrüll. Der britische Brexit wird zum Vorbild für einen nationalen Weg Deutschlands genommen. Es geht nicht nur gegen Ausländer, es geht gegen das System.

„Von uns geht keine Eskalation aus!“

„Ich bin extra aus Bayreuth hergekommen“, bekennt ein junger Mann stolz. Schon die Marschkolonnen von Bus und Bahn lassen auf Demo-Touristen schließen. Chemnitzer, mit denen sich ein Wortwechsel entspinnt, wollen keinesfalls Nazis genannt werden. Auf erwartbare fatale Folgen der Machtergreifungs-Parolen wie die Liquidation politischer Gegner angesprochen, geraten sie in Rage. „Du bist der erste“, rücken sie mit Drohgebärden dem Reporter nahe.

Jenseits der etwa 30 Meter breiten Karl-Marx-Allee, die heute wieder Brückenstraße heißt, beginnt der kleine Stadthallenpark. Ein Szenetreff Jugendlicher, freies Stadt-WLAN gibt es hier, aber auch Drogen. Ganz in der Nähe liegt der Tatort der Messerattacke. Auf einer Parkbank warten drei Jugendliche auf die angekündigte Linken-Demo. Weil Nazis in der Nähe sind, zeigt einer eine angeblich schussbereite Pistole, die er mitgebracht hat.

An diesem späten Montagnachmittag haben „Chemnitz Nazifrei“ und die Stadtlinke zu einer stationären Kundgebung in den Park eingeladen. Etwa tausend überwiegend junge Leute sind gekommen. „Die schlimme Tat wird instrumentalisiert“, warnt der Linken-Stadtvorsitzende Tim Detzner. „Von uns geht keine Eskalation aus!“

Stimmt, auch wenn sich über die Straße auf vielleicht 50 Metern Distanz ein ritualisierter Kampf der Stimmbänder und Megafone entspinnt. Nazis provozieren mit Eiertänzen die Antifa hinter dem Zaun, beschimpfen sie als Faulenzer, die erst einmal arbeiten sollten. „Eure Eltern sind Geschwister“, skandieren sie. „Wir wollen keine Nazischweine“, kommt es formelhaft zurück, ebenso das „Nie wieder Deutschland“, und einer ruft: „Nazis töten ist kein Mord!“

Nicht auf solche Dimensionen vorbereitet

Die Aggressionen aber brechen sich auf der Naziseite Bahn. Als es nach den Reden auf eine Runde um die Innenstadt gehen soll, stürmen einige Hundert plötzlich über die Straße auf eine Gruppe Ausländer und Linke los, die sich bis an den gegenüberliegenden Straßenrand vorgewagt haben und nun panisch die Flucht ergreifen. Flaschen, Gegenstände und Böller verletzen sechs Demonstranten, eine Leuchtrakete trifft glücklicherweise niemanden.

Die überrannten Polizisten können mit Mühe eine zweite Kette aufbauen, wenig später rücken zwei Wasserwerfer und Einsatzwagen heran, die eine Schutzwand bilden. Die Nazis aber dürfen auch nach dieser Eskalation ihre Runde laufen, nur von wenigen Polizisten eskortiert. Ein Polizeisprecher wirkt verwirrt, später räumt die Direktion ein, auf solche Dimensionen nicht vorbereitet gewesen zu sein. Den aggressiven Mob an der Brückenstraße einzukesseln, hätte offensichtlich viel mehr Einsatzkräfte erfordert. Aber auch beobachtete Hitlergrüße blieben vorerst ohne Folgen – mittlerweile ermittelt die Polizei Chemnitz diesbezüglich gegen zehn Menschen.

Und doch lief in der umrundeten Innenstadt das Einkaufsgeschehen scheinbar unbeeindruckt weiter, ärgerten sich Passanten nur über vorübergehende Straßensperrungen. Ein hochbetagter Rentner muss erst einmal verstehen, was los ist. Wo es doch so lange ruhig blieb in Chemnitz.

Nur um die Flüchtlings-Erstaufnahme gab es 2015 die damals üblichen Proteste. Beim Pressestatement wirkte SPD-Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig versteinert. Sie sprach von einer „furchtbaren Tat“ und hoffte auf die „Besonnenheit der Trauernden“. Die aber wollten an diesem Montag nicht trauern, sondern sich empören. Gegen alles, was anders als sie ist.

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6 Kommentare

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  • Danke Herr Bartsch ! Ihr Gebrauch der Begriffe "Generalfrust" und .." Mord als Stichwortgeber.." für diese hässliche Unruhe im sächsischen Chemnitz deutet m.E. hin auf sowas wie "Staatsversagen"!



    .. und das findet statt, im Gebiet der ExDDR und in Sachsen.. seit der Zeit der Wiedervereinigung von BRD und DDR : (!) .. die Kultur der "Sozialen Anerkenntnis" der DDR, verwurzelt in Arbeit und Solidarität , im Marx´schen Entwurf von "Freiheit und Notwendigkeit" .. wurde einfach eliminiert , endete diskriminiert und belächelt.. Das westliche Denken sozialer Anerkenntnis , mit den Konzepten ökonomischer Effektivisierung, mit der neoliberalen Kampfkultur um Geld, Macht, Status und Prestige.. mit Zerstörung ganzer Industrien und Massen von frustrierten Arbeitslosen.. konnte sich nicht durchsetzen, obwohl es Gesetz war! Ich meine das die westlich ideologische Kultur Sozialer Anerkenntnis auf arrogante weise die Dialektik der Sozialen (solidarischen) Anerkenntniskultur und deren Ideologie in der DDR abgetan hat !



    Viele Bürger*Innen der ExDDR endeten, durch die westliche, geistige Annektion ihrer Kultur Sozialer Anerkenntnis in einer art "geistigen Vacuum" ( Ohnmacht), im Zustand kulturellen Unwohlseins und Frustration , wodurch teilweise ein Rückfall in die Sozialen Anerkenntniskulturen des "Deutschen Seins" des Dritten Reichs stattfindet ! PEGIDA und AfD etc.. so sichtbar als das Resultat der politischen Arroganz westlichen Denkens ! Und was nun? Die bisher "gültige" westlich ideologische Diskrimination der Sozialen Anerkenntniskultur der ExDDR sollte beendet werden! Es gilt, (m.E.) , Respekt, Anerkenntnis der Verschiedenheiten in einem klaren Dialog zu führen!

  • Mord? ist das denn eigentlich schon geklärt, dass die tödlichen Messerstiche ein Mord waren?



    RIP

  • Merken Sie, dass Ihre Sprache wieder so wird wie früher, Herr Bartsch?



    "Ausländer und Linke"



    das passiert jedes Mal, wenn die Journalisten wieder über Mobexzesse berichten. Der Bruch mit der Sprache der Rassisten und Faschisten ist wichtig.

  • Zitat: "Der in Bronze gegossene riesige Karl-Marx-Kopf, in der DDR auf sächsisch nur „der Nischel“ genannt, blickte stumm auf eine stetig wachsende Menge aufgebrachter Bürger, denen er eigentlich verhasst ist. "

    Hä? Karl Marx ist nicht verhasst im Osten. Es gibt noch jede Menge Karl-Marx-Strassen. Das hat mich zu Anfang immer genervt wenn ich in Rostock gearbeitet habe. Ich musste im Navi immer eine Nachbarstrasse eingeben zu meinem Appartement, weil sonst 100 andere Karl-Marx-Strassen aufpoppten.

  • Zitat: "Die aber wollten an diesem Montag nicht trauern, sondern sich empören. Gegen alles, was anders als sie ist."

    Das glaube ich nicht. Ein derartiger Wille zur Empörung würde ja voraussetzen, dass die Leute bereits wissen, wer/wie/was genau sie überhaupt sind – mal abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zu einer imaginären Gruppe (Rechte, linke, Deutsche etc.). Das kann ich mir einfach nicht vorstellen!

    Das, was da in Dresden passiert ist, war aus meiner Sicht tatsächlich so eine Art Familienzwist. Kain und Abel, etwas in der Art. Rechte wie Linke (und nicht wenige Journalisten) haben offenbar tatsächlich verwandte Väter und Mütter - was nicht einmal ein all zu großes Wunder wäre in einem Land, das so wenig Einwanderungsland sein wollte und will wie unseres.

    Es könnten etwa Geschwister oder Cousins sein, die allesamt im Haushalt des selben alten Patriarchen aufgewachsen sind. Eines Mannes (vielleicht auch einer Frau, denken wir an Cosima Wagner), der/die – gut bis perfekt erzogen von anderen Patriarchen – niemals sichtbar getrauert hat, sondern nur permanent empört war. Über alles und jeden, der/die/das nicht so gewesen ist, wie er/sie/es seiner Ansicht nach sein sollte. Die Kinder hat das Familienoberhaupt entweder verdroschen oder belehrt, die Hausbediensteten bis zum Zusammenbruch getrietzt. Und niemand weit und breit, den das irgendwie stört…

    Doch, ja: Familienangehörige töten IST Mord. Niemand hat ein Recht dazu. Nicht hier. Nicht heute. Man gehört dem Oberhaupt des Clans nicht mehr mit Leib und Leben. Und das ist gut so, möchte ich behaupten. Macht haben schließlich immer noch vor allem solche Leute, die sie als Gehilfe benötigen. Weil sie den aufrecht-freihändigen Gang noch nicht gelernt haben – und auch nicht lernen werden, wenn sie nicht raus kommen aus dem stickigen Mief, den sie für ihre Heimat halten, weil sie noch nie 'ne and're Heimat hatten.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Marx hatte übrigens eine wohltuend nüchterne und realistische Sicht auf die Migration.