Ausschreitungen im Libanon: Polizei treibt Gewaltspirale an
Die Gewalt bei den Protesten im Libanon nimmt zu. Vor allem die Sicherheitskräfte und Politiker eskalieren.
D ass die Proteste im Libanon ein neues Ausmaß der Gewalt erreicht haben, ist der eskalierenden Taktik der Sicherheitsbehörden und Politiker geschuldet. Am Wochenende kesselte die Bereitschaftspolizei die Protestierenden ein und warf gezielt Tränengas. Sie nutzte kleinere Aggressionen, wie die Entfernung von Barrikaden, um massiv Gewalt auszuüben. Polizisten schossen mit Schreckschusswaffen direkt auf die Protestierenden. Ein junger Mann verlor sein Augenlicht, einem anderen musste die Hand amputiert werden.
Deutlich wird die Aggression der Polizei auch gegenüber JournalistInnen, denen droht, von den Sicherheitskräften attackiert und verhaftet zu werden.
Die politische Elite zerstreitet sich währenddessen über Anteile im neuen Kabinett. Es kursieren Namen neuer Minister, die Berater der führenden politischen Klasse sind. Das trägt zur Wut der Menschen bei, die mit dem Werteverlust der libanesischen Währung, steigenden Preisen, erheblichen Strom- und Internetausfällen konfrontiert sind. Viele Protestierende sehen deshalb Gewaltlosigkeit nicht mehr als Lösung an. Mit brennenden Reifen und zerstörten Bankautomaten wollen sie den Druck erhöhen, eine unabhängige Regierung zu formen.
Das Rote Kreuz und Zivilschutzteams teilten mit, dass am Sonntag mindestens 114 Menschen verletzt worden seien. 47 Personen seien in Krankenhäuser gebracht worden. Reporter berichteten, die meisten Verletzten seien von Gummigeschossen getroffen worden, einige im Gesicht und am Oberkörper. Sicherheitskräfte hatten Demonstranten in der Hauptstadt daran gehindert, in das Parlamentsgebäude einzudringen. Schon am Samstag waren bei schweren Auseinandersetzungen in Beirut mehr als 200 Menschen verletzt worden. (dpa/afp)
Statt den Ärger zu dämpfen und den Forderungen entgegenzukommen, forderte Präsident Aoun Armee und Polizei auf, Eigentum zu schützen und die Ruhe wiederherzustellen. So wird die Gewaltspirale vorangetrieben. Die politischen Köpfe zeichnen das Bild der Protestierenden als Krawallmacher.
Tatsächlich verändert das die Atmosphäre. Protestierende ziehen mit zugezogenen Kapuzenpullis und Mundschutz auf die Straßen. Manche bringen Tennisschläger, um Tränengaskartuschen zurückzuwerfen, oder schießen Feuerwerkskörper. Das ist ein gefährlicher Wendepunkt für die Proteste, denn die Massen an UnterstützerInnen, die sonst mit der libanesischen Flagge auf die Straßen kamen, gehen verloren. Sie sind von den Bildern von Feuer und Tränengas abgeschreckt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden