Ausnahmefahrer der Tour de France: Wettstreit zweier Überflieger
Warum sind Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar so unerreichbar gut? Die Genetik spielt gewiss eine Rolle, aber es gibt auch andere Gründe.
Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar dominieren diese Tour de France. Sie waren schon bei der letzten Tour ihren Konkurrenten weit mehr als eine Radlänge voraus. Das führt dieser Tage die Analysten immer wieder zu demselben Satz: „Die beiden fahren in einer anderen Liga.“ Dieser Befund ist ebenfalls von sportlichen Leitern, Rennstallchefs und den Fahrern selbst zu hören. Und es gibt wohl kaum eine Übertragung einer Bergetappe der Tour, während der die TV-Kommentatoren diesen Satz nicht fallen lassen.
Was genau hebt die beiden so von den anderen ab? Man kann es vielleicht auf drei Punkte reduzieren: Sie sind genetisch bevorteilt, im Training höchst diszipliniert und ihre individuellen Voraussetzungen werden in einem wissenschaftlich arbeitenden Umfeld noch ganz besonders gefördert.
Vom Talent des Tadej Pogacar schwärmten die Experten schon, als er noch ein Teenager war. „Ich kenne die Leistungsdaten von Pogacar, seit er 14 ist. Sie waren schon damals phänomenal, und sie stiegen Saison für Saison stetig an“, erzählte Radoje Milic, Trainingswissenschaftler am leistungsdiagnostischen Zentrum der Universität Ljubljana, bereits vor einigen Jahren gegenüber der taz.
Der junge Pogacar machte in seiner Jugend allerdings auch kaum mehr, als Rad zu fahren und zur Schule gehen. Er bewältigte die Umfänge, die ihm die Trainer aufgaben. Er hatte, wie er selbst gern betont, viel Spaß dabei, weil er eben merkte, dass er immer besser wurde. Die regelmäßigen Tests in Ljubljana bestätigten die eigenen Beobachtungen schwarz auf weiß.
Ungewöhnliche Widerstandskraft
Vingegaard wurde im frühen Alter nicht so viel Bewunderung entgegengebracht. Der Kreis beschränkte sich vornehmlich auf die Mitarbeiter des Rennstalls Coloquick. „Wir waren erstaunt, wie gut er regeneriert, wie viel Widerstandskraft er noch in der dritten Woche hat“, erzählte Christian Moberg Jorgensen, dänischer Ex-Radprofi, erst Teamkollege des jungen Vingegaard bei dem kleinen dänischen Rennstall, dann auch dort sportlicher Leiter.
Vingegaard war aber bei weitem nicht so explosiv wie Pogacar, gewann deshalb auch nicht all zu viele Rennen in der Jugend. Nur wenn das Profil so hart war oder das Wetter so scheußlich, dass er die Konkurrenz durch seine Widerstandskraft zertrümmern konnte, fuhr er als Erster über die Ziellinie.
Bei Vingegaard musste man detailliert in den Daten lesen, um sein Potenzial zu erkennen. Jumbo-Visma machte das. „Als er zu uns kam, war er ein stiller Junge, der vor allem froh war, dass er einen Profivertrag hatte. Denn außer uns wollte ihn damals niemand haben“, blickt Merijn Zeeman, sportlicher Leiter und Talenteförderer par excellence beim niederländischen Rennstall, auf die Anfänge zurück.
Aber es überzeugten die Daten. Und spätestens 2021, als Vingegaard erstmals Tadej Pogacar beim Bergsprint der UAE-Tour bezwingen konnte, war die Hoffnung, ein ganz neues Radsport-Juwel im eigenen Kader zu haben, mit den Händen zu greifen. Vingegaard holte als Ersatzmann für den gestürzten Kapitän Primoz Roglic im gleichen Jahr den zweiten Platz bei der Tour. Im Jahr darauf war er ganz oben.
„2021 war ich mental noch nicht bereit, es richtig mit Pogacar aufzunehmen“, erklärte Vingegaard später seine vergleichsweise defensive Fahrweise bei der damaligen Tour. 2022 setzte er aber die Akzente. Zu seinem Erfolg gehört das mentale Wachsen dazu, der Glaube daran, konkurrenzfähig zu sein.
Möglich ist auch, dass beide Fahrer am besten von den jeweiligen Spezialitäten der eigenen Rennställe profitieren. Jumbo etwa fiel durch frühzeitigen Einsatz von Ketonen auf, jenen Nahrungsergänzungsmitteln, die Extra-Ausdauer bescheren. Bei Pogacars Rennstall UAE wird auf die besondere Stimulierung der Mitochondrien als Kraftwerke der Zellen gesetzt. „Das Besondere bei beiden ist, dass sie nicht nur Großtalente sind, wie sie im Radsport nur alle paar Jahre vorkommen. Sie gehören auch einer Generation an“, sagte Grischa Niermann, sportlicher Leiter von Vingegaard.
Das bedeutet, dass sich beide gegenseitig in Leistungsregionen treiben, in die sie sonst, als alleinige Überflieger, gar nicht vordringen müssten. Dass es ein ewiges Duell bleibt, glaubt aber Niermann nicht: „Vergesst mir nicht Remco Evenepoel. Und auch Primoz Roglic kann auf der Höhe der beiden sein.“ Diese vier bei einer Grand Tour gegeneinander beziehungsweise miteinander, was die Teamkollegen Vingegaard und Roglic betrifft, wäre das Nonplusultra des Radsports heute.
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