Dominator bei der Spanienrundfahrt: Attacken mit Verstand

Der Belgier Remco Evenepoel zeigt bei der Vuelta seine vielfach gepriesenen Qualitäten. Angst bereiten ihm nur die Coronafälle unter den Fahrern.

Evenepoel mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht auf dem Rad

Ausgeprägte Beinkraft: Evenepoel kann sein Potential wieder ausschöpfen Foto: David Stockman/imago

Remco Evenepoel fürchtet bei der Vuelta a España nicht mehr die Konkurrenz. Etwas anderes macht ihm Sorgen. Er forderte die Organisatoren auf, im Zielbereich so wenig Menschen wie möglich zuzulassen. Abgänge corona-erkrankter Fahrer reduzierten in den letzten Tagen das Peloton. Selbst seine Freundin trifft er nur im Freien und mit Abstand, versicherte er.

Auf dem Rad ist Remco Evenepoel derzeit sehr überzeugend. Das rote Trikot scheint festgewachsen auf seinen Schultern. Er holte es sich auf der 6. Etappe mit einer beeindruckenden Tempofahrt im Baskenland. Dabei wies er den Dreifachgewinner der Vuelta, den Favoriten Primoz Roglic, in die Schranken. Er scheint mit der Konkurrenz zu spielen, distanzierte Roglic auf der 9. Etappe erneut und wurde zudem den bis dahin ärgsten Verfolger, Enric Mas, los.

Den Spanier demütigte er schließlich beim Zeitfahren. Er kam, obwohl zwei Minuten später gestartet, bis auf Sichtweite an Mas heran. Roglic, immerhin Olympiasieger im Zeitfahren, nahm er 48 Sekunden ab. „Phänomenal“, „gigantisch“, „absolut niederschmetternd“ – so lauten die Attribute, mit denen ihn die heimische Presse derzeit bedenkt. Evenepoel, der erst mit 17 Jahren dem Fußball ade sagte und sich ganz auf den Radsport zu konzentrieren begann, ist auf dem besten Wege, die hohen Erwartungen an ihn zu erfüllen.

Als er im Jahr 2018 bei Nachwuchsrennen 18 Tagessiege bei 27 Renntagen holte und in der Saison darauf im zarten Alter von 19 Jahren den hammerharten Eintagesklassiker in San Sebastián vor der versammelten Weltelite der Erwachsenen gewann, verglich man ihn in Belgien bereits mit Radsportlegende Eddy Merckx. Der Altmeister setzte noch einen drauf, und sagte: „Er kann noch besser werden als ich.“

Probleme nach schlimmem Sturz

Der Youngster, dessen Selbstbewusstsein so stark ausgeprägt zu sein scheint wie seine Beinkraft, nahm dies als Bestätigung. Der rasante Aufstieg wurde jedoch im August 2020 mit einem schlimmen Sturz bei der Lombardei-Rundfahrt unterbrochen. Acht Monate dauerte die Wettkampfpause. Das Comeback beim Giro d’Italia 2021 ging dann schief. Zehn Tage hielt er mit den Besten mit. Dann kam die Schotterpistenetappe nach Montalcino – und die Klassementträume waren ausgeträumt. Dem Quereinsteiger in den Radsport fehlte es damals an technischen Fähigkeiten auf dem Rad bei Schotteruntergrund. Aber auch die Kräfte reichten nicht. Vorzeitig brach er sein Grand-Tour-Debüt ab.

Wegen all dieser Malaisen sieht Evenepoel nun diese Vuelta als seine erste „richtige“ Grand Tour an. Das ganze Jahr hat er sich darauf vorbereitet. Im Frühjahr zeigte er beim Klassiker Lüttich – Bastogne – Lüttich, dass er in guten Tagen dem Feld tatsächlich so weit enteilen kann wie einst Eddy Merckx. Kurz vor der Vuelta wiederholte er in San Sebastián dieses Kunststück. Und bei der Vuelta knüpft er daran an.

Sehr aggressiv bestritt er die ersten anderthalb Wochen. Damit liegt er im Plan. Bis einschließlich des Zeitfahrens in Alicante am Dienstag wollte er einen Vorsprung herausfahren – und den dann bis nach Madrid verteidigen. Das kündigte er beim Vuelta-Start schon an. Und bestätigte jetzt erneut das Vorhaben. „In den nächsten Tagen will ich anders fahren. Ich habe mir genau angesehen, wie Jonas Vingegaard die Tour de France gewonnen hat. An Tagen, an denen es Sinn machte, hat er attackiert. Dann aber ist er sehr defensiv gefahren. Es ist leichter, drei Minuten Vorsprung zu verteidigen als drei Minuten aufzuholen“, sagte er.

Selbst weiß er freilich auch noch nicht, wie stark er am Ende von drei Wochen ist. Beim Giro 2021 stieg er nach 17 Tagen, noch vor den letzten und entscheidenden Bergen, aus. Allerdings scheint die Konkurrenz, in allererster Linie Mas und Roglic, aktuell nicht in der Lage zu sein, großen Druck auf den Führenden auszuüben.

Dessen größte Sorge gilt daher auch Corona. Er kritisierte, dass im Zielbereich des Zeitfahrens kaum ein Zuschauer eine Maske trug und forderte von den Organisatoren strengere Maßnahmen. „So wenig Menschen wie möglich in der Ankunftszone, lasst ab 5 km vor dem Ziel niemanden durch. Das ist die einzige Option“, sagte er der Tageszeitung Het Laatste Nieuws. Der Jungstar, der sonst das Bad in der Menge so liebt, will auf dem Wege zu seinem bislang größten Triumph am liebsten ganz allein sein. Paradoxe Radsportwelt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.