Zweikampf bei der Tour de France: Traumpaar in Gelb und Weiß

Jonas Vingegaard führt die Tour der France vor Tadej Pogačar an. Statt gegeneinander zu sticheln, begegnen sie sich mit dem größten Respekt.

Tadej Pogacar und Janas Vingegaard vor Bergkulisse

Stets Rad an Rad: Tadej Pogačar (weiß) und Jonas Vingegaard (gelb) beim Bergauffahren Foto: ap

SAINT-ÉTIENNE taz | Die Tour hat ein neues Traumpaar. Man trifft es gleich hinter dem Zielpodium jeder Etappe. Ein weißer und ein gelber Teppich bedecken da den Boden. Auf dem weißen Teppich hat Tadej Pogačar seinen Rollentrainer aufgebaut, auf dem gelben Jonas Vingegaard. Ja, Pogačar, der zweifache Toursieger, hat Gelb verloren und ist jetzt wieder im weißen Unschuldsleibchen des besten Nachwuchsfahrers unterwegs – welch Ironie der Kategoriespielchen.

Und Vingegaard, im letzten Jahr noch von Pogačar deutlich beherrschter Tour-Zweiter, ist jetzt recht souverän in Gelb. Das verblüffendste aber ist, wie einträchtig diese beiden Rivalen, die um das Wichtigste streiten, was der Profiradsport zu vergeben hat, miteinander wirken. Im gleichen Rhythmus bewegen sie die Pedale. Sie lächeln in die Kameras. Manchmal lächeln sie sich sogar gegenseitig zu.

„Wir achten und schätzen uns als Rennfahrer. Ich habe jetzt nicht die Telefonnummer von Tadej“, sagte Vingegaard in der Pressekonferenz und präzisierte: „Wir sind natürlich Rivalen. Wir haben aber auch Respekt voreinander.“

Der Däne und der Slowene sind leistungsmäßig bei dieser Frankreichrundfahrt auf einem ähnlichen Niveau. Im Gegensatz zu früheren Rivalen, bei denen das ähnlich war, sticheln die beiden aber nicht gegeneinander. Sie scheinen sich sogar, wenn das bei einer Rivalität um ein so hohes Ziel überhaupt möglich ist, zu mögen. Beide wollen gegeneinander ausfahren, wer der Bessere ist. Und wenn der eine dann verliert, macht er nicht den Eindruck, dass er vor Enttäuschung gleich zusammenbrechen würde.

Geerdeter Überflieger

Vingegaard, der Aufsteiger dieser Tour, ist viel zu sehr geerdet, als dass er bei einem Verlust des Leibchens ins Tal der Depression abgleiten würde. Als Mann Anfang 20 hat er vor seinem Training beim Nachwuchsrennstall ColoQuick in Dänemark noch Frühschichten in der Fischfabrik durchgezogen. „Diese Erfahrung gemacht zu haben, diese Einblicke in ein ganz normales Arbeitsleben, halfen mir bei meinen nächsten Entwicklungsschritten“, sagte er rückblickend im vergangenen Jahr. Vingegaard wird von Leuten, die ihn näher kennen, als zurückhaltend, sehr reflektiert und vor allem nervlich stabil beschrieben.

An Pogačar löst Respekt aus, wie er seine Schlappe vom Col du Granon in den Alpen verdaut hat. „Natürlich war er enttäuscht, dass er da Zeit verloren hat. Ursache dafür war, dass er sich an diesem Tag nicht richtig ernährt und deshalb eine Schwächephase hatte“, erklärte Mauro Gia­net­ti, Teamchef von Pogačar, der taz. Gianetti beobachtete aber auch, dass Pogačar nicht frustriert ist, die negative Erfahrung nicht düster in sich hereinfrisst. „Er sieht jetzt, dass er einen ebenbürtigen Rivalen hat. Das fordert ihn noch mehr heraus. Er liebt einfach den Wettbewerb auf dem Rad“, sagte Gianetti.

Und das sieht man dann auch bei dieser Tour. Pogačar hält sich nicht zurück. Er sucht die Attacke, vor allem die überraschende. Am Samstag attackierte er schon 10 Kilometer nach dem Start – und erreichte so eine Schwächung der Jumbo-Visma-Truppe um Vingegaard. Dessen einstmaliger Co-Kapitän und wichtiger Helfer beim Kampf um Gelb, Pri­mož Roglič, fiel zurück. Und mit ihm ein, zwei Helfer, die Vingegaard auch zupassgekommen wären.

Kurz vor dem Ziel in Mende attackierte Pogačar erneut. „Ich werde es immer versuchen, dann, wenn man es erwartet, und auch dann, wenn es weniger wahrscheinlich scheint“, sagte er fröhlich. Bisher führten seine Attacken lediglich dazu, dass er sich gemeinsam mit dem im gleichen Rhythmus pedalierenden Vingegaard aus dem Feld der anderen Mitbewerber herauslöste.

Unzertrennliches Duo

Man fühlte sich an Magnetfiguren erinnert. Zwei, die beständig aneinanderkleben, die eine in Weiß, die andere in Gelb. Und mal bewegt sie eine fremde Kraft raus aus der Gruppe, in der dann noch die gelb-schwarzen Wespenshirts der Jumbo-Helfer, schwarz-rote Ineos-­Gre­na­dier-­Tri­kots, das Blau von Groupama FDJ und ab und an weiß-grüne Hemden von Bora zu sehen sind. Doch stets sind sie, der Weiße und der Gelbe, eng beieinander.

Das ist das Bild dieser zweiten Woche der Tour de France. Es dürfte auch in der dritten Woche prägend sein. Von beiden, von Pogačar und Vingegaard, ist bekannt, dass sie prima regenieren und selbst in der dritten Woche noch Wattwerte treten können, die nahe denen aus der ersten Woche sind. Pogačar hat dies bei seinen zwei Toursiegen und dem dritten Platz der Vuelta 2019 eindrucksvoll bewiesen.

Vingegaard zeigte Stehvermögen bei der vorigen Tour. Nur bei seinem Rundfahrtdebüt, der Vuelta 2020, fiel er ab. Aber da war er nur zum Lernen. Und anders als Pogačar, bei dem die Vuelta 2019 die Ausbildungsrundfahrt war, hatte Vingegaard mit Roglič den klaren Kapitän und souveränen Gesamtsieger der Rundfahrt in den eigenen Reihen. Der Spielraum für eigene Resultate war begrenzt.

Jetzt hat er Roglič, der am Sonntag aus der Rundfahrt ausgestiegen ist, in den Schatten gestellt und aufgeholt zu Pogačar. Seine Rückstände aus dem Zeitfahren zum Auftakt und der Etappe auf den Pflastersteinen von Roubaix hat er dank der Ernährungsschwäche des jüngeren Slowenen mehr als kompensiert. Die letzten Tage fuhr der Gelbe als Schatten des Weißen. Immer wenn Pogačar attackierte, war Vingegaard zur Stelle. In den Pyrenäen will Vingegaard selbst wieder angreifen. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich das tun“, versprach er. Zwei Minuten und 22 Sekunden Vorsprung auf einen Mann, der entscheidende Tour-Zeitfahren gern dominiert, sind kein Ruhekissen. Das weiß auch Vingegaard.

Für die Attraktivität der Tour de France ist es ein Glücksfall, dass dem slowenischen Traumprinzen des Radsports mit dem stillen Fischarbeiter aus dem Norden ein ernsthafter Rivale erwachsen ist.

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