Auslieferung von Antifaschist*in: Verfassungsgericht greift ein
Wegen Angriff auf Neonazis gesuchte Thüringer Antifaschist*in wird nach Ungarn abgeschoben. Karlsruhe schreitet ein – aber zu spät.
Maja T. war bereits im vergangenen Dezember in Berlin festgenommen worden und saß seitdem in Dresden in Haft. Ungarn hatte daraufhin die Auslieferung beantragt. Sven Richwin, Anwalt der 23-jährigen Person, hatte dem widersprochen. Für Antifaschist*innen wie Maja T. sei in Ungarn unter der rechtsautoritären Regierung von Viktor Orbán kein faires Verfahren zu erwarten, betonte er. Auch seien die Haftbedingungen in dem Land nicht menschenrechtskonform, insbesondere für nonbinäre Menschen.
Menschenrechtsorganisationen wie das Helsinki Committee for Human Rights hatten zuletzt ebenfalls die Bedingungen in ungarischen Haftanstalten kritisiert.
Das Berliner Kammergericht entschied nun aber, dass die Auslieferung von Maja T. zulässig sei. Die Tat sei in Ungarn geschehen, deshalb müsse sich die beschuldigte Person auch dort verantworten, argumentiert das Gericht. Hindernisse für eine Auslieferung nach Ungarn seien nicht ersichtlich.
Kammergericht stellt sich naiv
Das Kammergericht verweist dabei auf Garantieerklärungen des ungarischen Justizministeriums, das zusicherte, dass es für Maja T. menschenrechtskonforme Haftbedingungen geben werde. Anhaltspunkte, dass sich Ungarn an diese Zusicherungen nicht halte, gebe es nicht, so das Kammergericht. Zudem schütze die ungarische Justiz durchaus gefährdete Gefangene, auch im Fall ihrer geschlechtlichen Identität, behauptet das Gericht. Die Anwälte von Maja T. und deutsche Konsulatsmitarbeitende hätten die Möglichkeit, dies zu überprüfen und bei Verstößen zu intervenieren.
Das Berliner Kammergericht sieht auch keine konkreten Hinweise, dass der ungarische Staat in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen könnte. Zudem bot das ungarische Justizministerium offenbar an, dass Maja T. im Falle einer Verurteilung in Ungarn die Haft anschließend in Deutschland verbüßen könnte, sofern dies beantragt würde.
Sven Richwin, Anwalt von Maja T., kritisierte den Beschluss des Berliner Kammergerichts deutlich. Dieser erfolge in einer „fahrlässigen Naivität“, sagte er der taz. Die Zusicherungen der ungarischen Behörden seien lediglich „floskelhaft“. Deutschland versuche, den Rechtsschutz von Maja T. „auszuhebeln“.
Anwälte beklagen „Nacht- und Nebelaktion“
Noch in der Nacht begann das sächsische Landeskriminalamt, das mit seiner „Soko Linx“ noch nach weiteren Beschuldigten der Budapest-Angriffe fahndet, Fakten zu schaffen und fuhr Maja T. über Österreich an die ungarische Grenze. Die Anwälte hatten da keinen Kontakt mehr zu T. Von einer „Nacht- und Nebelaktion“, spricht Richwin.
Richwin und sein Kollege Maik Elster stellten noch Freitagmorgen, 7.38 Uhr, einen Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht, um die Auslieferung noch zu verhindern. Und die Karlsruher Richter intervenierten am Vormittag tatsächlich. Sie wiesen die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das sächsische Landeskriminalamt an, die Auslieferung vorerst nicht umzusetzen. Maja T. dürfe, bis eine Entscheidung über den Eilantrag gefallen sei, nicht ungarischen Behörden übergeben werden, längstens für eine Dauer von sechs Wochen.
Tatsächlich war Maja T. laut Bundesverfassungsgericht aber bereits um 6.50 Uhr österreichischen Behörden übergeben worden. Als die Karlsruher Richter ihren Beschluss gegen 11 Uhr der Generalstaatsanwaltschaft Berlin mitteilten, antworteten diese, dass Maja T. bereits um 10 Uhr ungarischen Behörden übergeben worden sei.
Verfassungsgericht verlangt Rückführung
Das Bundesverfassungsgericht machte in seinem Beschluss aber auch klar: Sollte sich Maja T. bereits in Ungarn befinden, sei eine „Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken“.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin antwortete dazu auf Nachfrage am späten Freitagnachmittag, der Fall sei für sie abgeschlossen. Die Verfügung des Bundesverfassungsgerichts sei zu spät gekommen. Mit der Übergabe von Maja T. an die ungarischen Behörden habe sich diese „erledigt“. Einen Auftrag, Maja T. nach Deutschland zurückzuholen, entnehme man der einstweiligen Anordnung der Verteidiger nicht. Man habe aber das Bundesverfassungsgericht um einen Hinweis gebeten, „ob der Senat die Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin teilt, dass sich die einstweilige Anordnung erledigt hat“.
Die Polizei Budapest teilte derweil mit, dass Maja T. inzwischen in eine Haftanstalt in Budapest gebracht wurde. T. habe die Aussage verweigert. In einem Video präsentierten sie T. in Fesseln auf einem Polizeirevier, umringt von schwer bewaffneten Beamten.
Ein Solidaritätsbündnis für Maja T. hatte zuvor noch am Freitagmorgen zu einer Kundgebung vor der JVA in Dresden aufgerufen, um die Auslieferung noch zu verhindern. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein schloss sich der Forderung an. „Wir sind schockiert, dass ein deutsches Gericht nun wahrmacht, wovor es jedem rechtsstaatlich denkenden Menschen graut“, erklärte RAV-Vorständin Angela Furmaniak. „Eine queere Person in ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.“
Schirdewan spricht von „Schande für Deutschland“
Der Linken-Parteivorsitzende Martin Schirdewan sprach gar von einer „Schande für Deutschland“. Orbán sei kein Demokrat und Ungarn werde kein rechtsstaatliches Verfahren garantieren. „Es ist unerträglich, dass Deutschland Menschen an Autokraten ausliefert, statt ein rechtsstaatliches Verfahren vor eigenen Gerichten sicherzustellen.“
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner warnte ebenso, dass Maja T. in Ungarn „erniedrigende Haftbedingungen und eine Verurteilung aufgrund politischer Vorgaben des autoritär-rechten Orbán-Regimes“ drohten.
Der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg forderte, die Auslieferung zu stoppen. Er habe „große Zweifel“, dass Maja T. in Ungarn ein faires Verfahren erwarte. Das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuvorzukommen, sei „eines Rechtsstaats unwürdig“. Limburg forderte, dass die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) zu dem Fall Stellung nehmen müsse.
Auch Thüringer Landespolitikerinnen kritisierten die Entscheidung scharf. Die Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss erklärte, mit der Entscheidung werde „die Rechtsstaaatlichkeit ad absurdum geführt“. Während die EU Gelder für Ungarn in Milliardenhöhe eingefroren habe, weil Orbán rechtsstaatliche Standards nicht einhalte, liefere Deutschland einen nonbinären Menschen dorthin aus, so die Politikerin. Maja T. drohten dort nun „enorme Repression“, die ungarische Justiz sei nicht unabhängig. Im Land herrsche „ein Klima der Angst bei politisch Aktiven“. König-Preuss forderte die Bundesregierung auf, „alle Hebel in Bewegung zu setzen“, um die Auslieferung noch zu verhindern.
Andere Linke sind abgetaucht
Auch die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling erklärte, in Ungarn sei mit keinem fairen Verfahren für Maja T. zu rechnen. „Eine Auslieferung widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention und muss gestoppt werden.“
Bei den Angriffen in Budapest im Februar 2023 hatten Autonome Teilnehmende des rechtsextremen „Tag der Ehre“ angegriffen und teils schwer verletzt. Maja T. werden schwere Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Noch vor Ort waren zwei deutsche Tatverdächtige und eine Italienerin festgenommen worden, gegen die bereits ein Prozess läuft. Nach zehn weiteren Deutschen wurde gefahndet, das Verfahren hat inzwischen die Bundesanwaltschaft übernommen.
Nach der Festnahme von Maja T. war im Mai in Nürnberg eine weitere Beschuldigte festgenommen worden, Hanna S., der ebenfalls eine Beteiligung an den Angriffen in Budapest vorgeworfen wird. Weitere Linke sind bis heute abgetaucht, weil sie ebenfalls eine Auslieferung nach Ungarn fürchten. Auf ein Angebot sich zu stellen, wenn eine Nichtauslieferung zugesichert werde, ging die Bundesanwaltschaft bisher nicht ein.
Dieser Text wurde am 28. Juni um 19.30 Uhr aktualisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag