Auslieferung mutmaßlicher Terroristen nach Deutschland: Mord verjährt in Deutschland nicht
Die deutsche Staatsanwaltschaft fordert die Auslieferung zweier in Frankreich lebender mutmaßlicher Exterroristen. Die beiden sollen für die Revolutionären Zellen Anschläge begangen haben.
![](https://taz.de/picture/332005/14/gefaengnis_f.jpg)
BERLIN taz | Jetzt muss der französische Staatsrat entscheiden. Denn Sonja Suder (76) und Christian Gauger (68) wehren sich mit allen Mitteln gegen eine Auslieferung nach Deutschland, wo ihnen die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen Ende der 70er-Jahre vorgeworfen wird. Die seit Jahrzehnten in Frankreich lebenden Rentner legten vor wenigen Tagen vor dem obersten staatlichen Organ des Nachbarlandes Einspruch gegen ihre vom Innenminister François Fillon bereits genehmigte Auslieferung an die deutsche Justiz ein. Die Annahme ihres Widerspruchs hat aussetzende Wirkung.
Suder und Gauger wurden von den deutschen Fahndungsbehörden seit 1978 wegen Mitgliedschaft in der sozialrevolutionären Stadtguerillagruppe Revolutionäre Zellen (RZ) gesucht. Die RZ lösten sich spätestens 1993 auf. Nach über 20 Jahren, in denen sie mit falschen Schweizer Ausweisen in Lille lebten, konnten sie erst 2000 aufgrund eines Tipps des gegen die RZ aussagenden Kronzeugen Tarek Mousli (50) in Paris verhaftet werden.
Nach wenigen Monaten in Haft entschied ein französisches Gericht, dass die vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt sind, und ließ sie wieder frei. Seitdem leben die beiden mit einer Duldung in Frankreich.
Doch die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main wollte es nicht dabei belassen. Die Behörde beantragte im Jahr 2007 erneut einen internationalen Haftbefehl und hofft dabei auf die durch den sogenannten europäischen Haftbefehl geschaffene neue Rechtslage. Diese sieht eine bedingungslose Auslieferung innerhalb der EU vor.
Konkret werden Suder und Gauger zwei Sprengstoffanschläge im Jahr 1977 auf Firmen zur Last gelegt, die dem damaligen Apartheidstaat Südafrika bei der Entwicklung einer eigenen Atombombe halfen. Weiter wirft ihnen die Staatsanwaltschaft einen Brandanschlag im Jahr 1978 auf den Königssaal des Heidelberger Schlosses vor.
Gegen Suder wird außerdem wegen ihrer angeblichen Beteiligung in der Vorbereitung an dem Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz 1975 ermittelt, bei dem drei Menschen ums Leben kamen. Dieser Vorwurf beruht allein auf den Aussagen des Kronzeugen Hans-Joachim Klein (61), den das Frankfurter Landgericht in einem anderen Verfahren gegen das ehemalige RZ-Mitglied Rudolf Schindler (66) für unglaubwürdig hielt. Es sprach den Angeklagten frei. Allerdings beruht auf diesem Vorwurf der internationale Haftbefehl gegen Suder wegen Beihilfe zum Mord. Auch wurden in den 90er-Jahren die Verjährungsfristen für Sprengstoffverbrechen in Deutschland nachträglich auf bis zu 40 Jahre ausgeweitet.
Für Detlef Hartmann, den Anwalt von Suder und Gauger, ist der Fall eindeutig. "In diesem Fall gelten die französischen Fristen." Nach seinen Angaben verjähren in Frankreich fast alle Straftaten nach zehn Jahren. Doch Hartmann weiß auch um das "enorme Interesse Frankreichs an einer guten Zusammenarbeit mit Deutschland".
Dagegen verweist Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, auf das Legalitätsprinzip. "Wir können nicht sagen, lassen wir es gut sein. Wir müssen verfolgen bis zur Verjährung, und Mord verjährt bei uns nun mal nicht." Wie man dann mit den beiden umgehe, wenn sie in Deutschland sind, sei eine andere Frage, betont die Staatsanwältin.
Bereits in den letzten Jahren zeigte sich sowohl die damals zuständige Bundesanwaltschaft (BAW) als auch das Berliner Kammergericht gegenüber drei wegen Taten im Rahmen der RZ und ihres feministischen Flügels "Rote Zora" jahrelang gesuchten Bundesbürgern relativ gnädig. Gegen eine jeweils vor Gericht vorgetragene Einlassung zu den Vorwürfen und damit einhergehende Übernahme der Verantwortung plädierte die BAW auf eine zweijährige Bewährungsstrafe, dem sich in allen drei Fällen auch das Gericht anschloss.
Eine Prognose über den Ausgang der Entscheidung des Staatsrates wollte Hartmann nicht abgeben.
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