piwik no script img

Aus Lützerath lernenDer geheime Ampel-Plan

Sozis und Liberale wollen die Grünen nicht festlegen lassen, wie ein klimaneutraler Umbau der Industrie aussehen soll. Jetzt lassen sie es krachen.

Der geheime Plan, hier bei seiner Präsentation im Dezember 2021 Foto: Emmanuele Contini/imago

E s sind schockierende Bilder, die uns da erwarten: Polizisten schleifen Volker Wissing von der Straße – der Verkehrsminister durchnässt vom eisigen Regen und vom stundenlangen Ausharren auf dem kalten Asphalt. Christian Lindner wird im Knebelgriff von drei bulligen Museumswächtern aus dem Nolde Museum in Seebüll gezerrt – hinter ihm die berühmten Aquarell-Bilder von einer dicken Schicht Krabbensalat bedeckt, die Lindner auf sie geworfen hat.

Karl Lauterbach klebt sich in der Kantine des VW-Werks in Wolfsburg an die riesige Currywurst-Pfanne und besprüht seinen weißen Ganzkörperanzug mit salzfreiem Ketchup. Klara Geywitz kettet sich einen Tag später ans Tor des größten deutschen Werks für Gasheizungen. „Was tut Ihr unseren Kindern an?“, steht auf dem Schild, das die Bauministerin dabei in die Kameras hält. Und Olaf Scholz schwebt an einem Gleitschirm der Bundesluftwaffe in den Tagebau Garzweiler II und stoppt so die Arbeit der Riesenbagger. Als ein Fernsehteam des WDR ihn fragt, ob eine solche Störer-Aktion nicht die Würde des Bundeskanzleramts befleckt, antwortet Scholz mit einem Gefühlsausbruch: „Nö.“

Das alles sind Szenen aus einer internen Anleitung der Bundesregierung. Denn den Klimaschutz wollen FDP und SPD auf keinen Fall den Grünen überlassen. Beide Parteien haben neidisch gesehen, wie erfolgreich die Ökopartei mit ihren Vorschlägen zur Problemlösung aus der Müsli-Ecke herauskommt. Also wollen sie beim Ranking der beliebtesten PolitikerInnen auch mal vorn stehen.

In Zukunft sind also in der Ampelkoalition nicht mehr nur die Grünen zuständig, wenn in Lützerath das letzte Kohledorf abgebaggert wird. Die SPD will in ganzseitigen Zeitungsanzeigen auf ihre jahrzehntelange Verbundenheit mit der Braunkohle hinweisen und sagen: Wir machen das jetzt irgendwie mit Wasserstoff. Die FDP erklärt in einer Social-Media-Kampagne, warum sie noch vor zehn Jahren den Emissionshandel als Teufelszeug bekämpft hat und ihn heute in den Himmel lobt.

Hoch die nationale Solidarität!

Das strategische Kalkül: Sozis und Liberale wollen die Grünen nicht definieren lassen, wie ein klimaneutraler Umbau der Industriegesellschaft aussehen soll. Und deshalb ist das neue Stichwort: Hoch die nationale Solidarität! Wenn es Ärger gibt wie in Lützerath, sagen die Sozis: „Wir lassen niemanden zurück!“, und helfen der Polizeigewerkschaft beim Räumen. Wenn Windkraftgegner Energieprojekte blockieren, unterbricht selbst Wolfgang Ku­bicki einen Talkshow-Auftritt, um wortgewaltig die „Freiheitsenergie“ zu verteidigen.

In ihrem internen Papier wird die Ampel sehr deutlich. „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität“, heißt es da. Denn „Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand“. Das brisante Papier, das nur Eingeweihte kennen, liegt der taz vor. Titel: „Mehr Fortschritt wagen – Koalitionsvertrag 2021–2025“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • taz: "Christian Lindner wird im Knebelgriff von drei bulligen Museumswächtern aus dem Nolde Museum in Seebüll gezerrt – hinter ihm die berühmten Aquarell-Bilder von einer dicken Schicht Krabbensalat bedeckt, die Lindner auf sie geworfen hat."

    Der Krabbensalat ist sicherlich noch von der Lindner-Hochzeit auf Sylt im letzten Jahr übrig geblieben. Nach dem jüngsten Bericht des Club of Rome werden die Treibhausgas-Emissionen 2030 ihren Höhepunkt erreichen, und ab da wird ein sich selbst verstärkender Klimawandel ausgelöst. Ob danach noch die Nordseeinsel der 'Reichen und Schönen' existieren wird? Wahrscheinlich macht sich Lindner darüber auch schon Gedanken *LOL*.

  • Lieber Bernhard Pötter, das Lachen bleibt einem da im Hals stecken. Aber schon toll die Vorstellung vom Krabbensalat werfenden Lindner und Karl festgeklebt an der Bratpfanne!

  • Ich kannte noch gar nicht die humorig-bissige Seite von Bernhard Pötter.



    Wieder was gelernt🎩