Auftakt der Vierschanzentournee: Österreichische Leichtigkeit
In Oberstdorf stehen nur Österreicher auf dem Podium. Anders als die deutschen Skispringer scheint sie der Druck zu beflügeln.
Als die österreichische Hymne in Oberstdorf nach einem spektakulären Dreifachsieg erklang, zog der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher seine rote Mütze. Der Mann ist schließlich selbst Österreicher. Gemeinsam mit seinen Skispringern hatte er vor dieser 73. Vierschanzentournee eine Taktik ausgetüftelt, wie es endlich mit dem ersten deutschen Gesamtsieg seit 23 Jahren klappen soll. „Schlupflöcher nutzen und ein bisschen abschotten“ wollte er seine Athleten vor dem großen öffentlichen Interesse.
Entsprechend brüsk brach Ralph Eder, der Pressechef des deutschen Teams, die Fragerunde der Pressevertreter mit dem als Topfavoriten angetretenen Gesamtweltcup-Spitzenreiter Pius Paschke nach dem eher enttäuschenden vierten Platz zum Tournee-Auftakt ab.
Es gab kein Bad in der Menge der 25.500 Fans in der ausverkauften Arena, die das gesamte deutsche Team mit unglaublicher Begeisterung angefeuert hatte. Als sich das österreichische Gewinner-Trio Stefan Kraft, Jan Hörl und Daniel Tschofenig nach der Siegerehrung geduldig der langen Gesprächsrunde mit den Medien stellte, waren die geschlagenen deutschen Springer schon auf dem Weg in ihr Teamhotel Sonnenbichl.
Im Gepäck: beachtliche 13,8 Punkte (umgerechnet 7,66 Meter) Rückstand für Paschke auf Tournee-Spitzenreiter Kraft, der achtplatzierte Karl Geiger und der letztjährige Tournee-Zweite Andreas Wellinger auf Platz 20 schon aussichtslos in der Gesamtwertung zurückgefallen. „Die Leichtigkeit hat gefehlt“, analysierte Wellinger treffend. Das galt für das gesamte Gastgeberteam. Dabei standen die Vorzeichen vor dem Skisprung-Grand-Slam so gut wie nie: Wellinger hatte bereits einen Weltcup gewonnen, auch Geiger stand in diesem Winter schon auf dem Podest. Und Pius Paschke hatte vor Oberstdorf in fünf von zehn Weltcup-Saisonspringen triumphiert. Die beste Bilanz, mit der je ein deutscher Skispringer zur Vierschanzentournee angereist war.
Psychologisches Hindernis
Doch dieser wichtigste Wettbewerb in der Skisprung-Welt scheint zu einem schier unüberwindbaren psychologischen Hindernis für die Deutschen zu werden, je länger der letzte Gesamtsieg zurückliegt. Natürlich gab es mit Blick auf die zweite Tournee-Station beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen kämpferische Durchhalteparolen. „Da ist noch gar nichts entschieden. Wir versuchen Pius den Rücken frei zu halten, damit er nicht allein da vorn kämpft“, formulierte Karl Geiger. Und Horngacher meinte, dass „Pius noch besser springen“ könne und ihm die „restlichen drei Tournee-Schanzen gut liegen: „Es war nicht leicht für ihn in Oberstdorf vor dieser Kulisse, Zuhause, Rambazamba und Erwartungsdruck.“
Genau diese Aussage bringt das deutsche Tournee-Problem auf den Punkt. Die unglaubliche Energie, die Tausende im Stadion mit deutschen Fahnen ausstrahlen, wird als Druck empfunden. Die Chance, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen, als Belastung. Eine falsche Einstellung, wie auch Sven Hannawald findet, der im Winter 2001/2002 als letzter Deutscher die Vierschanzentournee gewinnen konnte: „Wir Deutsche sind von der Mentalität generell oft die ersten, die zweifeln und die Lockerheit verlieren. Da sind die Österreicher oft ein bisschen positiv er. Sie haben die nötige Leichtigkeit.“
Die war nach dem überragenden Dreifachsieg auf der in den letzten Jahren ungeliebten Schanze von Oberstdorf in jedem Moment spürbar. „Wir sind im Team entspannt und halten unsere sieben Zwetschgen zusammen“, erklärte Tschofenig. Es mache einfach Spaß in diesem Team zu springen, sagte Hörl, „weil alle im Team ganz eng beieinander sind“. Und Stefan Kraft befand: „Eine supercoole Truppe, wo sich Alt und Jung, lustig und ruhig perfekt ergänzen. Alle waren auf meiner Hochzeit und wir hatten eine irrsinnige Gaudi miteinander. Jetzt pushen wir uns gegenseitig im Team hoch für unsere große Mission: Nach zehn Jahren endlich wieder die Tournee zu gewinnen. Einer wird durchkommen.“
Den letzten österreichischen Dreifachsieg zum Tournee-Start in Oberstdorf gab es vor 13 Jahren – auch damals ging der Gesamtsieg später nach Österreich. Gibt es ein Geheimnis für die neue österreichische Stärke? Neben dem außergewöhnlichen Team-Spirit, einer guten Form und perfektem Material ist auch Cheftrainer Andreas Widhölzl zu nennen, der 2000 selbst die Tournee gewann. „Andi lässt uns alle Freiheiten und uns so sein, wie wir sind“, lobt Kraft. Widhölzl selbst hält – statt Abschottung bei den Deutschen – Leichtigkeit für die richtige Taktik: „Jetzt kommen die Schanzen, die uns liegen. Wir werden die Jungs dabei unterstützen, dass sie die Begeisterung der Fans aufnehmen und locker-positiv bleiben.“
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