Aufruf zur Vogelzählung: Zwitschert euch einen!
Vögel zählen in Zeiten des Klimawandels: Der Nabu ruft zum Zensus unserer gefiederten FreundInnen auf. Hier in der Stadt geht es ihnen noch recht gut.
Zweimal jährlich ist in Deutschlands Vogelliebhaber-Szene aufgeregtes Flügelschlagen zu vernehmen: Bei der „Stunde der Gartenvögel“ im Mai und der „Stunde der Wintervögel“ im Januar, die hauptsächlich vom Naturschutzbund (Nabu) organisiert werden, krallen sie sich Notizbuch oder App und beobachten mit Adleraugen den Garten oder einen Ort ihrer Wahl. „Citizen Science“ lautet das geflügelte Wort für dieses Daten-Aufpicken, es soll Bestände und Trends bei Vogelpopulationen aufzeigen – und das Interesse an der bedrohten Artenvielfalt wecken.
Am kommenden Wochenende ist es wieder soweit: Dann werden wohl auch in Berlin wieder mehrere tausend HobbyornithologInnen mitzählen. 3.895 waren im Januar 2019 dabei, vermerkt haben sie Sichtungen von 88.966 gefiederten Individuen. Auf Platz eins lag wie fast jedes Mal seit 2011 der gute, alte Spatz, mit weitem Abstand zu den Plätzen zwei bis vier, die sich Kohlmeise, Blaumeise und Amsel teilen.
Das ist übrigens schon eine gewisse Berliner Besonderheit, wie Ansgar Poloczek, Naturschutzreferent beim Nabu-Landesverband, sagt: „In Berlin haben wir noch einen erfreulich hohen und stabilen Bestand von Haussperlingen. In Hamburg sieht das beispielsweise schon ganz anders aus.“ Tatsächlich landete der Spatz in der Hansestadt 2019 nur auf Platz vier, und auch wenn er im Deutschland-Ranking der ganzen Vogelschar noch voranflattert, werden bundesweit weniger Exemplare pro Zählgebiet als auf dem Berliner Stadtgebiet erfasst.
„Nach dem zweiten Rekordsommer in Folge könnte die Zählung Aufschluss darüber geben, wie sich anhaltende Dürre und Hitze auf die heimische Vogelwelt auswirken“, sagt Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Denkbar wäre auch, dass sich der von mehreren Studien belegte Rückgang bei der Insekten-Biomasse ablesen ließe, schließlich sind die Kerbtiere für viele Vögel die Hauptspeise oder zumindest entscheidend für die Fütterung der Brut.
Allerdings stößt die „Citizen Science“ schnell an Grenzen: Die Qualität der Beobachtung kann höchst unterschiedlich ausfallen, auch wenn der Nabu mit einem Leitfaden erklärt, wie etwa Doppelzählungen zu vermeiden sind. Je nachdem, wie kalt es am Zähl-Wochenende ist, ob Schnee liegt oder ob es regnet, können die Ergebnisse im Einzelnen stark variieren. Seltenere Arten sind tendenziell benachteiligt, weil sie von VogelfreundInnen ohne großen Erfahrungsschatz falsch oder gar nicht identifiziert werden können. Und wo keine oder nur wenige Menschen wohnen, zählt sowieso niemand.
Auch Nabu-Referent Poloczek räumt ein, dass Trends nur mit „gewisser Vorsicht“ aus einer Aktion wie der Stunde der Wintervögel abzulesen sind: „Sie ist kein Ersatz für wissenschaftliche Studien, es gibt statistische Ungenauigkeiten.“ Trotzdem sei sie wichtig: „Sie ist eine gute Gelegenheit für Menschen, die einen Einstieg in die Ornithologie suchen.“
Der Grünfink verschwindet
Citizen Science könne oft die Ergebnisse der Wissenschaft unterfüttern, so Poloczek. Beispielsweise zeichne sich bei den Nabu-Zählungen in Berlin ein starker und kontinuierlicher Rückgang des Grünfinks ab. Ornithologische Untersuchungen auf Friedhöfen oder in Parks bestätigten diesen Befund. Auch der Trend, dass über die Jahre mehr Spechte gesichtet würden – etwa auch der seltenere Mittelspecht –, entspreche der Erkenntnis, dass deren Lebensräume zunehmen: „Unsere Wälder, aber auch die Stadtparks werden älter und dadurch interessanter für Spechte, die in Totholz Baumhöhlen bauen.“
Dass sich klimatische Veränderungen bereits an den Vogelzahlen ablesen lassen, erwartet Poloczek nicht: „Bislang ist immer noch der Verlust von Lebensräumen eine viel größere Bedrohung für die Tiere. Der Klimawandel dagegen ist ziemlich komplex und seine Folgen auf Vogelpopulationen noch nicht absehbar“, sagt er. Es werde langfristig sicherlich Gewinner und Verlierer geben, wenn sich Klima- und Ökozonen verschieben. Aus den jetzt erhobenen Daten sei diese Entwicklung aber noch nicht ablesbar.
Der beobachtete Rückgang von Fluginsekten, wie ihn die sogenannte Krefelder Studie im Jahr 2017 publik gemacht hat, wirke sich dagegen schon auf insektenfressende Vogelarten aus. In Berlin spiele das aber eher keine Rolle: Hier sei die ökologische Diversität im Gegensatz zu den „Agrarsteppen“ mit ihren Monokulturen und großflächigem Pestizideinsatz verhältnismäßig hoch.
Und auch die von manchen als Vogelkiller Nummer eins geschmähte Hauskatze hält der Nabu-Experte für nicht ganz so problematisch: „Bei den Zahlen der von Katzen gefressenen Vögel, die herumgeistern, dürfte es in Deutschland eigentlich gar keine Vögel mehr geben“, sagt er. Vögel seien nicht vollkommen wehrlos und hierzulande ohnehin auf die Existenz natürlicher Feinde eingestellt. Poloczek sagt: „Dass Katzen einen Impact auf Vogelbestände haben, ist unbestreitbar, aber die bisweilen angegebenen Zahlen halte ich für deutlich zu hoch angesetzt.“
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