Vogelbestand in Niedersachsen und Bremen: Manche Vögel sind noch da

Wer in Niedersachsen Vögel beobachten will, hat es zunehmend schwer: Die Bestände schwinden drastisch. Die „Rote Liste der Brutvögel“ ist alarmierend.

zwei bunte Vögel sitzen auf einem Ast, einer hat ein Insekt im Schnabel

Noch nicht ausgestorben, aber extrem selten: der Bienenfresser Foto: Boris Roessler/dpa

OSNABRÜCK taz | Es wimmelt von ihnen, könnte man denken: Brutvögel wie Rohrammer und Erlenzeisig, Schwarzkopfmöwe und Nachtigall. Wälder und Moore sind voll von ihnen, Salzwiesen und Küstendünen, Röhrichte und Wiesen. Aber das täuscht. Wer sich durch Fassung neun der „Roten Liste der Brutvögel Niedersachsens und Bremens“ arbeitet, Mitte des Jahres vorgestellt durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), ist ernüchtert.

„Erschreckende Ergebnisse“ hatte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) zu den 212 in Niedersachsen brütenden Arten mitzuteilen: 43 Prozent aller Arten fallen in die Gefährdungskatego­rien der Roten Liste, weitere 14 Prozent stehen auf der Vorwarnliste.

Von einem „ungeheuren Aderlass an heimischer Biodiversität“ spricht Diplom-Biologe Thorsten Krüger von der Staatlichen Vogelschutzwarte im NLWKN, Mitautor der Studie. „Das Verschwinden von Arten und der Rückgang der Individuenzahlen in unserer Landschaft haben eine neue Dimension erreicht.“

Die Studie spiegelt den Stand von 2021 und mahnt, es sei „noch nie zuvor bei einem so großen Anteil heimischer Brutvogelarten ein negativer Bestands­trend innerhalb der letzten 24 Jahre festzustellen“ gewesen. 15 der 212 Arten seien ausgestorben oder „verschollen“, 36 vom Aussterben bedroht, elf stark gefährdet, 22 gefährdet, acht ­extrem selten geworden. 30 stehen auf der Vorwarnliste.

Intensive Landwirtschaft großes Problem

Das sei besorgniserregend, resümiert die Studie. Die Ursachen seien „allenthalben bekannt“, Wege aus der Krise „umfangreich dargelegt“. Es gebe indes „erhebliche Defizite“ in der Anwendung zur Verfügung stehender Instrumente.

Besonders gravierendes Beispiel: das landwirtschaftliche Offenland. 15 von 20 primär hier siedelnden Arten sind gefährdet oder bereits ausgestorben, drei weitere stehen auf der Vorwarnliste – ein Resultat intensivierter Landnutzung durch die Agrarwirtschaft, die Lebensräume verändert und zerstört, Nahrungsangebote verringert, die Landschaft mehr und mehr von allem leerräumt, was keinen Profit bringt.

Die Rote Liste zeige den „Handlungsdruck“, sagt Lies. Und dann zählt er auf, dass es ja besser wird. Eine „ganz wichtige Säule, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken“, sieht er im niedersächsischen Weg, einer Vereinbarung zwischen Landesregierung, Landvolk, der Landwirtschaftskammer und Natur- und Umweltverbänden, den Natur- und Artenschutz zu fördern und sorgsam mit der „Ressource Landschaft“ umzugehen. Das werde „auch den Vogelschutz konsequent wie noch nie angehen“.

Auch das von der EU geförderte Projekt „GrassBird Habitats“ führt er an. Außerdem brauche Vogelschutz „internationale Antworten“.

Naturschutzbund widerspricht Umweltminister

Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen sieht die Lage weniger optimistisch. „Aus unserer Sicht ist derzeit keine Trendumkehr zu erwarten“, sagt Nabu-Sprecher Matthias Freter. „Dazu benötigt es Änderungen in der Gesetzgebung. Erst wenn konsequent Maßnahmen beschlossen werden, die dem Vogelschwund entgegenwirken, wäre eine Besserung in Sicht.“

Vögel sterben an Autoscheiben, durch die Jagd, durch Flächenversiegelung. Manchmal werden sie aber auch durch Gutes gefährdet. Ein Problem: Windkraftanlagen, die Vögel schreddern. Ein anderes: Baumaßnahmen für die energetische Gebäudesanierung. Dabei würden „häufig aus Unkenntnis wichtige Brut- und Ruheplätze für gefährdete Tierarten zerstört“, sagt Freter.

Und dann ist da noch Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), der den Landwirten Flächen wieder freigibt, die dem Schutz von Biodiversität und Böden hätten dienen sollen. Eigentlich hätten sich vier Prozent der Anbauflächen ab 2023 erholen sollen. Das ist jetzt hinfällig, wegen des ­Ukraine-Krieges. Die Entscheidung „schadet auch hier Insekten und damit den Vogelbeständen zusätzlich“, sagt Freter.

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