Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge: „Eine moralische Verpflichtung“
Vor der Innenministerkonferenz in Bonn signalisieren die meisten Länder Zustimmung zur Aufnahme weiterer syrischer Flüchtlinge. Bayern will aber die Kosten geklärt wissen.
BERLIN dpa | Vor der Innenministerkonferenz in Bonn zeichnet sich eine breite Bereitschaft ab, weitere syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Das ergab eine Umfrage in den zuständigen Ministerien aller Bundesländer. Einige Länder – besonders Bayern und Hessen – wollen aber die Kostenfrage zwischen Bund und Ländern genau geklärt wissen.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Nordrhein-Westfalens Amtschef Ralf Jäger (SPD), warb für die Unterbringung weiterer syrischer Bürgerkriegs-flüchtlinge. „Ich werde mich dafür stark machen, dass wir gemeinsam noch mehr Flüchtlinge aufnehmen und dafür ein drittes Bundesprogramm aufgelegt wird“, sagte Jäger. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) müsse das bundesweite Aufnahmekontingent von bisher 10.000 Flüchtlingen aufstocken. Konkrete Zahlen wollte Jäger noch nicht nennen. Die IMK tagt von Mittwoch bis Freitag in Bonn.
Der Aufstand in Syrien gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad hatte im Arabischen Frühling 2011 begonnen. Inzwischen hat der Bürgerkrieg Aktivisten zufolge mehr als 160.000 Menschen das Leben gekostet. Millionen sind auf der Flucht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte kürzlich angedeutet, die Bundesregierung habe sich bereits auf 10.000 weitere Plätze verständigt. Bislang gibt es zwei Sonderprogramme mit je 5.000 Plätzen für Flüchtlinge. Außerdem haben fast alle Bundesländer kleinere Aufnahmeprogramme gestartet.
Flüchtlingsexperten fordern aber ein deutlich großzügigeres Kontingent. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist die humanitäre Katastrophe unseres Jahrzehnts“, unterstrich Jäger. „Deutschland muss zu seiner humanitären Verantwortung stehen.“ Der IMK-Vorsitzende forderte darüber hinaus ein stärkeres Engagement Europas. „Statt sich hinter Stacheldraht zu verschanzen, brauchen wir ein gesamteuropäisches Aufnahmeprogramm, das den Menschen schnell und wirksam hilft.“
Bundesweit einheitliche Chancen
Jäger lobte die Anstrengungen der Länder. Der Bund müsse aber dafür sorgen, dass die Flüchtlinge bundesweit einheitliche Chancen erhielten, sich in Deutschland zu integrieren. Die Unions-Innenminister signalisierten über ihren Sprecher Lorenz Caffier (CDU), Ressortchef in Mecklenburg-Vorpommern, bereits eine grundsätzliche Bereitschaft, die Pläne mitzutragen. Bayern dringt aber auf eine Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern. „Im Prinzip wären alle Bundesländer bereit, noch einmal ein Kontingent aufzunehmen, weil der dringende Bedarf gesehen wird“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
„Es gibt aber noch keine Einigung mit dem Bund über die Kosten. Der Bund hat ein großzügiges Kontingent festgelegt, will aber wenig zahlen.“ Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) tritt ebenfalls auf die Bremse. „Es steht völlig außer Frage, dass wir humanitär handeln und uns zur gemeinsamen Verantwortung für eine Aufnahme von syrischen Flüchtlingen mit den bisherigen Aufnahmeprogrammen bekennen“, sagte er.
Zunächst müssten aber die bestehenden Programme von Bund und Ländern ausgeschöpft werden. „Solange das nicht abgeschlossen ist, bin ich zurückhaltend bezüglich weiterer Aufnahmekontingente für Flüchtlinge aus Syrien.“ Von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) kommt hingegen Zustimmung. „Es ist eine moralische Verpflichtung, dass wir helfen, die humanitäre Katastrophe zu bewältigen. Insofern bin ich aufgeschlossen, was ein mögliches drittes Bundesprogramm angeht“, teilte Henkel mit.
„Über konkrete Zahlen werden wir jedoch auf der Innenministerkonferenz diskutieren.“ Auch die Länder mit SPD-geführten Innenministerien – darunter Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Hamburg und Bremen – wollen sich einem dritten Syrienprogramm nicht verschließen, wie eine Umfrage in den Ministerien ergab.
„Auf Sicht fahren“
Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) machte aber deutlich, dass er darüber hinaus eine großzügigere Aufnahme ablehnt. „Da die Visa-Erteilung im Libanon schleppend verläuft, sollten wir auf Sicht fahren“, sagte Gall. „Ohnehin sind auch andere EU-Staaten gefordert, endlich ihren Beitrag zur humanitären Bewältigung des Bürgerkriegs in Syrien zu leisten.“
Nach Ansicht der rheinland-pfälzischen Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) sollte Deutschland als eines der reichsten Länder Europas deutlich mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen. „Ich hoffe, dass sich der Bund in einem dritten Kontingent deutlich hilfsbereiter zeigt als bisher“, sagte Alt in Mainz. Auch die CDU-geführten Landesregierungen in Thüringen und Sachsen-Anhalt stehen einer Aufstockung um weitere 10 000 Plätze grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber – über zusätzliche Plätze will man aber nicht spekulieren. Außerdem dringen die beiden Länder auf akzeptable Rahmenbedingungen bei den Kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“