Syrische Flüchtlinge in Deutschland: „Hörst du Bomben, bist du glücklich“

Ein junger Syrer versucht, seine Familie nach Deutschland zu holen. „Es fühlt sich wie eine falsche Hoffnung an“, sagt er. Ein Gespräch über das Warten.

Extrem laut und unglaublich nah: Eine Mörsergranate explodiert in Damaskus. Bild: dpa

taz: Herr A., wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter gesprochen?

Yasser A.: Wir sprechen eigentlich alle drei Tage. In Damaskus gibt es noch Internet, darum können wir skypen. Die Verbindung ist zwar ganz in Ordnung, aber es gibt ständig Stromausfälle. Meine Eltern und mein Bruder wohnen nicht mitten im Zentrum, sondern ein wenig außerhalb, am Rand der Stadt. Da sind Sie momentan sicher. Aber wenn wir skypen, kann ich im Hintergrund die Einschläge der Fassbomben hören.

Und wie fühlen Sie sich dabei?

Naja, als Syrer bin ich daran gewöhnt, ich habe den Krieg dort noch ein Jahr lang erlebt. Ich weiß wie das klingt und wie es aussieht. Wenn du das hörst, bist du glücklich, denn du bist noch nicht tot. Wenn du die Bomben nicht mehr hörst, bist du weg.

Wie geht es Ihrer Familie im Moment?

Wir vermuten, dass Gespräche und Mails nach Schlüsselwörtern gefiltert und überwacht werden, darum sagen sie immer „alles gut, alles okay“. Obwohl ich im Hintergrund die Bomben höre. Es ist ein bisschen wie in Nordkorea. Im Endeffekt weiß ich nicht, wie es ihnen geht.

Was es nicht gerade einfacher macht.

Nein. Sie sitzen die ganze Zeit zuhause, es gibt nichts zu tun, man kann abends nicht einfach ausgehen. Sie haben auch kein Geld mehr, ich habe keine Ahnung, wovon sie momentan leben. Natürlich darf man auf die Straße gehen und machen was man will, aber halt auf eigene Gefahr. Niemand kann dir garantieren, dass du dabei nicht stirbst.

28, kam im Frühjahr 2013 als Student nach Berlin. Seine Eltern und sein Bruder leben weiterhin in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Die letzten eineinhalb Jahre hat er in einem Architekturbüro gearbeitet, im Oktober beginnt er einen Masterstudiengang in Architektur. Mitte Februar hat er bei der Ausländerbehörde Berlin beantragt, dass seine Familie im Zuge des zweiten Flüchtlingsprogramms nach Deutschland kommt.

Will Ihre Familie nach Deutschland?

Ja, sie wollen hierher kommen. Als ich im Dezember davon gehört habe, dass ein zweites Kontingent für Flüchtlinge geöffnet wurde, bin ich zur Ausländerbehörde gegangen und habe einen Antrag gestellt, um meine Familie nach Deutschland zu holen. Ich habe meine Unterlagen ganz genau vorbereitet, meinen Ausweis, meinen Aufenthaltstitel, meinen Arbeitsvertrag und die Einkommensnachweise.

Und wann haben Sie den Antrag dann eingereicht?

Das war Mitte Februar. Aber seitdem habe ich nichts mehr gehört. Sie wissen ja, es gibt 76.000 Anträge, davon bin ich vielleicht der 66.000ste. Als ich mich bei der Behörde erkundigen wollte, wie weit der Antrag ist, wurde mir gesagt, dass es so viele Anträge gibt, dass sie einzelne Fälle nicht nachvollziehen können. Im Moment kann ich nichts tun, meine Familie sitzt in Damaskus und wartet. Sie fragen „Wann reisen wir? Wann gehen wir nach Deutschland?“.

Ihre Eltern und ihr Bruder machen sich Hoffnungen.

Ja, aber das Problem ist: Es fühlt sich wie eine falsche Hoffnung an. Ich weiß, dass es zu neunzig Prozent nicht klappen wird, aber das kann ich meiner Familie natürlich nicht so sagen. Mein Bruder schickt mir immer verschlüsselte SMS, in denen er sagt, dass er es nicht mehr erträgt, dass ich bitte eine Lösung finden soll. Und dass ich ihn bitte reisen lassen soll.

Haben Sie das Gefühl, Ihre Familie anzulügen?

Auf jeden Fall. Am Anfang habe ich ihnen sogar gesagt, dass es sehr schwierig werden wird. Aber darauf meinten sie nur, dass die Leute im Ausland ja immer negativ denken und davon ausgehen, dass Dinge nicht klappen. Sie realisieren nicht, dass es möglicherweise wirklich nicht klappt. Das ist unheimlich schwierig, aber was soll ich machen?

Die Bundesregierung hat bislang bewilligt, 10.000 Bürgerkriegsopfer in Deutschland aufzunehmen. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen drängt nun darauf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wie bewerten Sie persönlich die deutsche Flüchtlingspolitik?

Nach drei Jahren Krieg in Syrien haben die Politiker gesagt, dass sie 10.000 Flüchtlinge aufnehmen, obwohl sie wissen, dass es 9.1 Millionen gibt. Im Endeffekt ist das nichts, klar. Aber Deutschland kann nicht allen Menschen in der Welt helfen und natürlich können hier nicht 9.1 Millionen aufgenommen werden. In Syrien gibt es aber zum Beispiel 5.5 Millionen Kinder, die seit drei Jahren nicht zur Schule gehen können. Die Bundesregierung könnte Schulen in den Flüchtlingscamps aufbauen, damit diese Kinder wieder lernen können.

Haben Sie das Gefühl, dass den Deutschen das Ausmaß in Syrien bewusst ist?

Nein, überhaupt nicht. Aber wie auch? Sogar wir Syrer begreifen das nicht. 9.1 Millionen kann man nicht kapieren, das sind einfach zu viele. Und diese Leute sind unschuldig. Es ist nicht ihre Schuld, dass eine Fassbombe auf ihr Haus gefallen ist und sie nichts mehr haben. Darum sollten sie die Chance haben, ein neues Leben anzufangen.

Seit Mittwoch berät nun in Bonn die Innenministerkonferenz über ein drittes Programm zur Aufnahme von Flüchtlingen. Was erwarten Sie sich davon?

Natürlich sollten mehr Flüchtlinge aufgenommen werden, vor allem Kinder, die noch lernen können. Damit wäre schon eine Menge getan. Aber wenn jetzt beispielsweise beschlossen werden würde, dass 100.000 Syrer kommen können, dann dauert es sicher Jahre, bis das verwirklicht ist. Bis dahin sind es dann wahrscheinlich 12 Millionen Flüchtlinge, dann haben wir wieder das gleiche Problem. Es gibt keine schnelle Lösung.

Wurde Ihnen gesagt, bis wann Sie eine Antwort auf ihren Antrag bekommen?

Nein. Ich verstehe das nicht, sonst können in Deutschland Papiere immer nachvollzogen werden und man kann den Prozess verfolgen. Warum geht das in diesem Fall nicht? Ich würde meinen Antrag gerne im Internet verfolgen können. So weiß ich ja nicht mal, ob die Unterlagen vollständig waren, wie ich sie abgegeben habe.

Wie geht es weiter, wenn dem Antrag Ihrer Familie nicht stattgegeben wird?

Dann werde ich einen anderen Weg versuchen.

Wäre es für Ihre Familie eine Option, das Land illegal zu verlassen?

Nicht wirklich. Es gibt keinen Weg, um illegal nach Europa zu kommen, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Außerdem würde das für drei Personen momentan 21.000 Euro kosten. Es ist wie ein Markt, mal steigen die Preise, mal sinken sie. Natürlich habe ich mich darüber schon erkundigt. Denn die Sache ist ja die: Wenn meine Familie illegal nach Deutschland käme und hier dann vor Ort einen Asylantrag stellen würde, würden sie mit ziemlicher Sicherheit aufgenommen werden. Aber sie haben Angst, sie wollen nicht in der Türkei oder im Meer sterben. Es ist einfach zu gefährlich. Menschen, die illegal aus dem Land flüchten, haben wirklich gar nichts mehr zu verlieren.

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