Aufklärungskurse für neu Angekommene: Dem Kulturschock offensiv begegnen
Frauen sind gleichberechtigt und Sex muss nicht „haram“ sein. Damit das alle verstehen, müssen Aufklärungskurse her.
An erster Stelle stehen die Frauen. Das, was in Köln passiert ist, war kriminell, keine Frage. An zweiter Stelle stehen die Geflüchteten. Unabhängig davon, ob die Männer aus dem sexistischen Mob in Köln erst vor ein paar Monaten nach Deutschland gekommen sind oder ob sie seit 20 Jahren in Belgien oder Frankreich leben – sie handelten kriminell. Anders als die meisten Geflüchteten, die zufällig aus den gleichen Ländern kommen.
Eine Gemeinsamkeit gibt es aber, und das ist das Fehlen sexueller Aufklärung bei vielen. Deutschland sollte die Neuen nicht umkrempeln wollen: Die Gedanken sind frei, wir wollen nur gewaltfrei miteinander leben. Arabische Aufklärungskurse, vielleicht sogar mit einem Geistlichen, könnten einen Raum bieten, um mit dem Kulturschock umzugehen.
Die Kölner Täter verdienen kein Verständnis, sie brauchen eine Verurteilung. Alle, die aber von der (wahrscheinlich organisierten) Aktion angesteckt wurden und spontan mitgemacht haben, brauchen die Chance, ein eigenes Verständnis zu entwickeln. Und zwar bevor sie kriminell handeln. Den Unterschied zwischen Sex und sexualisierter Gewalt verstehen lernen.
Es gibt so einen T-Shirt-Aufdruck: „Denken hilft“. Das gilt auch für die Täter, auch wenn sie sich dagegen wehren und vielleicht Gott dazwischenschieben. Oder das, was sie für Gott halten. Also muss man von vorne anfangen, denn bei den meisten Arabern hat eine sexuelle Aufklärung nie stattgefunden.
Das Thema ist haram
Leute wie die, die in Köln übergriffig geworden sind, waren nicht auf Schulen, bei denen schon in der achten Klasse Pro Familia mit Bananen und Kondomen vorbeikommt. Wenn ein, sagen wir, 12-Jähriger Araber, nennen wir ihn „Jamal“ (der Schöne), den Versuch wagt und seine Mutti fragt: Du, Mama, wie funktioniert Sex? Oder: Sag mal, wie habt ihr mich gezeugt?, dann reagiert seine Mutter in der Regel mit Entsetzen. Das Thema ist haram, verboten, tabu. Zu seinem Vater muss Jamal gar nicht erst gehen. Wenn schon seine Mutter keine Worte hat, dann ist sein Vater wahrscheinlich erst recht sprachlos. Was macht Jamal also normalerweise?
Er geht zu den älteren Brüdern seiner Freunde. Die zeigen ihm Pornos und vermitteln ihm oft ein frauenverachtendes Weltbild. Im Alter von 15 Jahren beginnt Jamal eine Beziehung mit seinem Computer. Bis hierhin ist alles genauso wie überall, siehe „American Pie“.
Catarina von Wedemeyer, 30, ist freie Autorin der taz.
Qusay Amer, 23, ist aus Syrien geflüchtet und lebt seit zweieinhalb Jahren in Berlin
Wie kommt es also, dass Jamal auf einmal Teil eines Mobs wird, der in Köln wahllos Frauen begrabscht? Wenn die Zeitung Die Welt nun titelt: „Das Phänomen ‚taharrush gamea‘ ist in Deutschland angekommen“, dann klingt sexuelle Belästigung – das ist es nämlich, was der ominöse arabische Begriff heißt – nach einer typisch arabischen Verhaltensweise.
Aber nicht nur Araber verüben Vergewaltigungen, sondern Kriminelle unterschiedlichster Nationalitäten, und zwar weltweit. Soldaten haben sexualisierte Gewalt in Kriegen schon immer angewandt. Und wenn hier nun Leute leben, die Krieg und Gewalt selbst erfahren haben, dann muss Deutschland jetzt Angebote schaffen; Räume bereitstellen, in denen sich die Menschen vorurteilsfrei mit ihrer Geschichte und Sozialisation auseinandersetzen können.
Soziale Respektlosigkeit
Dass die Täter von Köln, wie ausnahmslos berichtet wird, „arabischer“ Herkunft waren, hat wahrscheinlich wenig mit dem Islam als Religion zu tun, sondern wohl mehr mit sozialer Perspektivlosigkeit und dem Gefühl des Ausgeschlossenseins. Es ist quasi die Pegida-Bewegung derjenigen, die per definitionem nicht bei Pegida mitmachen dürfen.
Woher kommt diese Tendenz von ganz normalen Leuten, sich zu Mobs zusammenzurotten, sei es in Köln oder wie die Rechten in Leipzig? Die Philosophin Hannah Arendt unterscheidet den Mob wie folgt von der Masse: Mobs sind kurzzeitig fanatisch und gewaltbereit. Massen hingegen sind das Fundament des totalitären Staates. Sie sind auch dann noch bereit, einem charismatischen Führer zu folgen, wenn dieser ihre eigenen Interessen längst nicht mehr vertritt.
Es geht also wie immer darum, diese (auch mentale) Massenbildung zu verhindern, Mobs aufzulösen und nicht mehr in Pauschalisierungen zu denken.
Befruchten und verhüten
Männer wie Jamal brauchten ein Format, in dem sie sich klarmachen können, dass Frauen so rumlaufen dürfen, wie sie wollen. Dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die Freiheit der anderen Person beginnt. Einen Kurs, in dem man vielleicht erst mal über Masturbation spricht, aber auch Menstruation erklärt, den Geschlechtsakt, Befruchtung, Verhütungsmethoden. Alles. Danach könnte man auch über Homosexualität und andere Genüsse sprechen und so langsam für alles ein Verständnis oder wenigstens eine Umgangsform mit all den nun so omnipräsent wirkenden Themen entwickeln.
Damit man die Muslime unter den Arabern nicht verschreckt, müsste diese Aufklärung religiös eingebunden sein. Am besten wäre ein zutraulicher Imam, der mitkommt und erklärt: Wer mit einer Frau schlafen will, sollte nicht Gott fragen, sondern die Frau. Wenn sie nicht will, dann ist jeder Versuch in dieser Richtung haram – egal ob es eine Unbekannte ist oder die eigene Ehefrau.
Auch arabische Selbsthilfegruppen zu Sexualität könnten das Leben in Deutschland einfacher machen. Die ganze Aktion sollte natürlich nicht dazu dienen, die Männer danach auf die ach so freizügigen deutschen Frauen loszuscheuchen. Das würde genauso danebengehen wie jene Pick-up-Artist-Videos, die in den USA zu Übergriffen aller Art führen. Nein. All dies sind Missverständnisse. Stattdessen geht es darum, kommunizieren zu lernen. Über die eigenen Bedürfnisse und von Mensch zu Mensch. Ein Feingefühl dafür zu entwickeln, wie nah man sich in welchen Situationen kommen darf.
Pegida würde sagen: „Die Ausländer nehmen uns unsere Frauen weg.“ Erstens: Nein, die Frauen entscheiden selbst, von wem sie „genommen“ werden wollen. Zweitens: Sorry, Schätzchen, wenn du bei Pegida bist, dann bist du leider unattraktiv und kommst für Kinderzeugung sowieso nicht infrage.
Sex auf der Clubtoilette
Gehen wir also einmal davon aus, dass Einzelne ein anderes Verhältnis zu Sexualität entwickeln. Nehmen wir als Beispiel noch einmal Jamal. Er hatte in Algerien oder Marokko keine Chance auf eine Ausbildung und ist als einziges Familienmitglied körperlich fit genug, um die illegale Flucht nach Deutschland zu überleben. Er ist inzwischen Anfang 20, war einmal mit ein paar Kumpels in einem Puff und hatte einmal Sex auf einer Clubtoilette in Frankreich.
Jetzt soll er seiner Familie Geld schicken, ein Leben in Deutschland aufbauen, seinen Vater nachholen. Das ist viel Verantwortung. Zu viel. Er macht also erst einmal das, was die anderen machen, und lässt sich als syrischer Flüchtling registrieren. Er wohnt mit anderen Männern in einem Raum. Sie warten auf Papiere, beobachten Frauen, langweilen sich.
In der Silvesternacht ziehen sie los. Damit genau das nicht passiert, müssen die Integrationskurse auch über Sexismus, Frauenrechte und persönliche Freiheit aufklären. Ohne diese Grundlagen interessiert sich Jamal herzlich wenig für typisch deutsche Themen wie Elternzeit, Umweltschutz oder dafür, wie man Steuererklärungen macht.
Einfach mal fragen
Und die Frauen? Um herauszufinden, was die jeweilige Frau dazu sagt, dass man mit ihr Sex haben will, gibt es einen sicheren Weg: Man fragt sie. Dafür gibt es Deutschkurse – und eben sexuelle Aufklärung: „Was möchtest du, gefällt dir das so? Magst du das, wenn ich das so mache?“
Diese Sätze lassen sich übrigens auch in Gesprächen mit Ehepartnern anwenden. In welcher Sprache sie gesagt werden, ist eigentlich egal, Hauptsache, die oder der (!) Angesprochene versteht die Frage – und Hauptsache, die Antwort wird akzeptiert. In einer solchen Welt wird der gegenseitige Respekt dann bald selbstverständlicher. Und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr macht übrigens auch friedlich und wirkt sinnstiftend. Und jeder, der im Bett liegt, kann währenddessen keine anderen Frauen belästigen.
Es ist ganz einfach. Wo Menschen sind, gibt es eine Kommunikationssituation. Und die sollte genutzt werden. Denn hier beginnen die Gleichberechtigung, das Vertrauen, die Differenzierung, das Ende des Mobs, sei er deutsch oder arabisch. Inschallah haben wir dann bald eine marokkanische Königin, eine algerische Präsidentin und eine syrische Verteidigungsministerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers