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Aufgestanden undgeblieben

Im Frühjahr hat die taz Hunderte Teilnehmende der Demos für Demokratie befragt. Wirken die Proteste langfristig nach?

Im Januar 2024 demonstrieren Menschen in Leipzig gegen die Pläne der AfD. Bundesweit gab es dagegen große Proteste Foto: Ingmar Björn Nolting/laif

Text und Protokolle von Sean-Elias Ansa, Josefine Rein und Lalon Sander

Als Anfang 2024 rassistische Geheimpläne der AfD durch das Recherchenetzwerk Correctiv enthüllt wurden, demonstrierten Hunderttausende. Auch Anfang 2025, als die Union kurz vor der Bundestagswahl für eine Abstimmung Stimmen der AfD in Kauf nahm, gingen wieder Hunderttausende auf die Straße. „Es hat sich eine Initiative für Demokratie und Toleranz gebildet, die seit einem Jahr regelmäßig tagt und Veranstaltungen alleine oder in Kooperation organisiert“, schreibt ein Mann aus Nordrhein-Westfalen. „Es gibt eine sehr starke und immer weiter wachsende Initiative der Omas gegen Rechts“, schreibt eine Frau aus Bayern. Eine Frau aus Brandenburg gibt an, sie „habe den Eindruck, dass sich die demokratischen Kräfte besser vernetzen und selbstbewusster auftreten“.

Die Antworten stammen aus einer mehrwöchigen Befragung der taz unter Teil­neh­me­r*in­nen der zahlreichen Demos für Demokratie in den Jahren 2024 und 2025. Mehr als 2 Millionen Menschen gingen in diesem Jahr in den Wochen vor der Bundestagswahl auf die Straße, im vergangenen Jahr zählte die taz in einem einzigartigen Projekt mehr als 4,7 Millionen Menschen bei Hunderten Demonstrationen in ganz Deutschland. 2024 und 2025 sammelte die taz die Teil­neh­me­r*in­nen der bundesweiten Demonstrationen.

Dabei riefen wir auch Le­se­r*in­nen auf, Hinweise auf Demonstrationen zu schicken, die in der Liste noch nicht auftauchen – und erhielten Hunderte Zuschriften. Unter diesen Le­se­r*in­nen haben wir im März eine Online-Umfrage durchgeführt, mit insgesamt 446 Antworten.

Die Umfrage zeigt: Fast die Hälfte der Teilnehmenden waren demounerfahren. Für 15 Prozent der Antwortenden waren diese Demos für Demokratie und gegen Rechtsextremismus die ersten Proteste überhaupt, weitere 29 Prozent hatten zuvor an maximal fünf Demonstrationen teilgenommen. Für viele war es wichtig, in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus und der möglichen Zusammenarbeit konservativer Po­li­ti­ke­r*in­nen mit der extrem Rechten Gesicht zu zeigen und dem Gefühl der eigenen Ohnmacht etwas entgegenzusetzen.

Entsprechend geben gut 90 Prozent der Befragten an, dass es ihnen bei den Protesten darum ging, ein Zeichen zu setzen. Jeweils 61 Prozent gaben an, dass sie mediale Aufmerksamkeit erzeugen und die Politik zum Handeln bewegen wollten. 57 Prozent wollten mit ihrer Teilnahme auch andere Menschen mobilisieren. 71 Prozent der Befragten gaben aber auch an, dass sie mit ihrer Teilnahme keine Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen und ihre Un­ter­stüt­ze­r*in­nen umstimmen wollten.

Hinter der Geschichte

Angefragt wurden Menschen, die sich in den Jahren 2024 und 2025 mit Hinweisen zu ihnen bekannten Demos an die taz wandten. Insgesamt haben wir 1.027 Menschen angeschrieben, 446 Mal wurde die Umfrage zwischen dem 21. März und dem 4. April 2025 vollständig beantwortet. Jede Person konnte nur einmal teilnehmen.

Die Antworten bestätigen Ergebnisse aus anderen Befragungen von Demonstrierenden. Einer Umfrage des Rheingold-Instituts im Januar 2024 zufolge wirkte die Veröffentlichung der Correctiv-Recherche für viele wie ein „Weckruf“ – sie holte zahlreiche Menschen aus einer zuvor empfundenen Resignation. Eine Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung ipb unter Demonstrierenden in Hamburg und Dresden im Sommer 2024 zeigte beispielsweise, dass ein zentrales Anliegen war, die Gefahren des Rechtsextremismus sowie prodemokratische Gegenstimmen stärker in den öffentlichen Diskurs zu rücken. Die Stu­di­en­au­to­r*in­nen kommen zu dem Schluss, dass die Proteste einen wichtigen Gegenpol zur „diskursiven Rechtsverschiebung“ bildeten.

Bisherige Befragungen waren oft zeitlich und regional stark eingegrenzt. Beispielsweise wurden neben Hamburg und Dresden auch Teilnehmende an einzelnen Veranstaltungen in Konstanz, Singen, Ingolstadt und Angermünde befragt. Auf die taz-Umfrage antworteten Menschen aus allen 16 Bundesländern, wobei die Verteilung auch der Bevölkerungsverteilung der Länder entsprach. 84 Antworten kamen aus Gemeinden mit weniger als 10.000 Ein­woh­ne­r*in­nen und 41 aus den Millionenstädten Hamburg und Berlin. 321 Antworten, also etwa zwei Drittel, kamen aus Städten mit fünf- bis sechsstelligen Einwohner*innenzahlen.

Hunderttausende demonstrierten 2024 und 2025 in vielen deutschen Städten, etwa hier in Leipzig, für die Demokratie Foto: Ingmar Björn Nolting/laif

Die Befragten gehen allerdings in weiten Teilen davon aus, dass die Demos nicht in der Lage waren, die Politik zum Handeln zu bewegen: Nur 10 Prozent sagen, dass dieses Ziel erreicht wurde. 82 Prozent sind der Meinung, dass erfolgreich ein Zeichen gesetzt wurde und 72 Prozent, dass mediale Aufmerksamkeit erzeugt wurde. 66 Prozent gaben an, dass erfolgreich Menschen mobilisiert wurden.

In weiteren Fragen konnten die Befragten diesen Aspekt ausführen. So geben 64 Prozent an, sich danach stärker bei Prostesten zu engagieren und 50 Prozent berichten, dass sie seither einer Initiative, Partei, Gewerkschaft oder anderen Organisation beigetreten sind. 70 Prozent geben an, häufiger politische Diskussionen zu führen und 56 Prozent greifen häufiger ein, wenn sie Diskriminierung beobachten.

Auch in kleineren Städten wie Jüterbog stellten sich Menschen gegen die Forderungen der AfD Foto: Piotr Pietrus

Bei manchen klingen Frust oder Resignation durch: „Die Fronten sind und bleiben verhärtet“, schreibt eine Frau aus Brandenburg. Eine weitere beklagt, dass das Thema im Bundestagswahlkampf trotz allem kaum eine Rolle spielte: „Keine Sondersendungen oder entsprechende Fragen an Po­li­ti­ke­r*in­nen in den Talkshows, was sie gegen den Rechtsruck unternehmen wollen. Wirkung verpufft.“

Für einige entstand durch die Protestwelle dagegen, die Stimmung, nicht zu einer Minderheit zu gehören, sondern gemeinsam viele zu sein. „Das Grundbrummen, also der Wille, mit auf die Straße zu gehen, ist viel höher“, schreibt eine Person aus Baden-Württemberg. „Standen wir vor wenigen Jahren noch zu 50 auf der Straße, waren es in letzter Zeit 2.000“.

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