Aufarbeitung der Kurz-Ära in Österreich: Das Korruptionsproblem der ÖVP
Österreichs Parlament untersucht Vorwürfe von Vetternwirtschaft, Postenschacher, Umfragefälschungen und gekaufter Berichterstattung.
Auf seine Antworten auf konkrete Fragen kann man gespannt sein, denn bisher hat Nehammer konsequent beteuert, seine Partei habe kein Korruptionsproblem.
Worum geht es konkret? Zum einen um Vetternwirtschaft. Eine Anzahl von auf Handys von Verdächtigen sichergestellten SMS- und Whatsapp-Chats dokumentiert, dass die ÖVP ihre Leute weit über den landesüblichen Nepotismus hinaus in Schlüsselpositionen platziert hat. Das passierte selbst dann, wenn sich mangels Qualifikation gar niemand aus der ÖVP beworben hatte.
Besonders hohe Wellen schlug der Fall der Richterin Eva Marek, die 2014 vom damaligen ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter gedrängt wurde, sich um den Chefposten der Oberstaatsanwaltschaft zu bewerben, um zwei SPÖ-nahe Kandidatinnen zu verhindern.
Kein Posten ohne ÖVP-Stallgeruch
Da Marek die Position als Abstieg in ihrer Karriere verstand, wurde ihr für später die Leitung der Generalprokuratur zugesagt. Besonders krass ist der parteipolitische Postenschacher aber im Innenministerium, wo man ohne ÖVP-Stallgeruch praktisch keine Karriere machen kann.
Des Weiteren wird untersucht, welche Personen aus dem Umfeld des Exaußenministers und Bundeskanzlers Kurz an der Beauftragung manipulierter Meinungsumfragen beteiligt waren.
Die Demoskopin Sabine Beinschab, die eine Anzahl von Umfragen und Studien für die ÖVP über das Finanzministerium abrechnen durfte, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, dessen Inhalt vor wenigen Tagen bekannt wurde.
Dabei gab sie an, die damalige Familienministerin Sophie Karmasin, einst ihre Chefin, habe 20 Prozent ihrer Honorare für die Fake-Studien kassiert. Im Rückblick habe sie sich schon gewundert, so Beinschab, dass offensichtlich parteipolitisch motivierte Umfragen vom Finanzministerium bezahlt worden seien.
300.000 gelöschte Chatnachrichten wiederhergestellt
Dort herrschte damals der inzwischen berühmte Thomas Schmid als Generalsekretär. Der Kurz-Intimus, so legen es die Chats nahe, war eine Schaltstelle für den generalstabsmäßig geplanten Aufstieg von Kurz zum ÖVP-Chef und dann Bundeskanzler.
Schmids beschlagnahmtes Handy, auf dem die Ermittler über 300.000 hastig gelöschte Chat-Nachrichten wiederherstellen konnten, ist die wichtigste Quelle für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Diese ermittelt strafrechtlich auch gegen Kurz.
In Zusammenhang damit stehen auch die systematischen Behinderungen der Justiz durch Funktionäre der ÖVP. Die Abgeordneten im U-Ausschuss rechnen mit weiteren Sabotageaktionen der ÖVP.
Hatten die Verantwortlichen im Ibiza-U-Ausschuss des vergangenen Jahres noch die Herausgabe von Dokumenten gezielt verzögert, so setzt man diesmal auf die gegenteilige Strategie: Der Ausschuss wird mit Akten überflutet. Das geht bis zu minutiösen Aufstellungen der Beschaffung von Kreide und Klopapier für Schulen.
Ausschussvorsitzender sieht sich nicht als befangen
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der laut Gesetz den Vorsitz führen kann, aber nicht muss, sieht keinen Anlass, sich für befangen zu erklären, obwohl er selbst in den Chats als Mittelsperson für politische Einflussnahme vorkommt. Im Ibiza-Ausschuss hatte seine parteiische Vorsitzführung ständig für Empörung gesorgt.
Ob Kurz als einer der Hauptbelasteten dem U-Ausschuss die Ehre geben wird, ist noch unsicher. Er verlegt gerade seinen Wohnsitz nach Kalifornien, wo er beim Trump-Fan und Risikokapitalinvestor Peter Thiel als „Global Strategist“ angeheuert hat. Nur Personen mit Wohnsitz im Inland können zwangsweise vorgeführt werden.
Das weiß auch der Ex-Gneralsekretär der ÖVP, Thomas Schmid. Er ist schon seit einigen Monaten in Amsterdam gemeldet. Seiner Ladung für Mittwoch will er nicht nachkommen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!