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Aufarbeitung der CoronapandemieKein Lockdown ohne Bundestag und Länder

Eine Bundestagskommission arbeitet an Lehren für die nächste Pandemie. Am Montag forderten Sachverständige, künftig auf anderen Wegen zu entscheiden.

Das waren Zeiten: die Düsseldorfer Rheinpromenade im Juli 2020 Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Im Bundestag führte am Montagnachmittag die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie eine öffentliche Anhörung durch. Das Thema: „Rechtsstaat unter Pandemiebedingungen“, dabei insbesondere das Infektionsschutzgesetz, Grundrechte und Eigenverantwortung.

Die Kommission besteht aus 14 Bundestagsabgeordneten und 14 Sachverständigen, die gemeinsam die Coronazeit aufarbeiten und Lehren für zukünftige Pandemien entwickeln sollen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren tagt sie einmal monatlich zu verschiedenen Aspekten der Pandemie, Ende Juli 2027 soll sie einen Abschlussbericht vorlegen.

Am Montag waren als zusätzliche Sachverständige fünf Professor_innen für Rechtswissenschaften sowie eine Medizinethikerin geladen. Zu Beginn verlasen sie jeweils vorbereitete Eingangsstatement, danach konnten die Mitglieder der Kommission ihnen Fragen stellen.

Anika Klafki von der Universität Jena forderte, dass für zukünftige Pandemien eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wird. Das Infektionsschutzgesetz, auf dessen Basis in der Coronapandemie oft gehandelt wurde, sei nicht auf Pandemien ausgelegt. Laut Klafki braucht es für künftige Pandemie ein neues Gesetz oder einen neuen Abschnitt im bestehenden Infektionsschutzgesetz.

Sie betonte, dass dabei aber der Entscheidungsfreiraum der Bundesländer erhalten, vielleicht sogar erweitert werden sollte. Die Macht solle nicht ausschließlich beim Bund liegen. Auch andere Teilnehmer_innen betonten, wie wichtig regionaler Handlungsspielraum sei. Jetzt gebe es die nötige Ruhe und Zeit, über eine neue Rechtsgrundlage nachzudenken, so Klafki weiter.

Mehr Vielfalt der Expert_innen

Karsten Schneider von der Universität Mainz betonte, wie wichtig ein transparenter Umgang mit Nichtwissen sei. Das demonstriere keineswegs eine Schwäche der Regierung, sondern bilde die Grundlage für Vertrauen in der Bevölkerung.

Oliver Lepsius und Stephan Rixen von den Universitäten Münster und Köln wiesen darauf hin, wie wichtig es sei, dass im Umgang mit einer Pandemie Sachverständige aus verschiedensten Fachrichtungen zusammenarbeiten – sowohl um Wissen zu gewinnen, als auch um Maßnahmen abzuwägen. Also sollten zum Beispiel nicht nur Expert_innen für Medizin oder Virologie eingebunden werden, sondern auch solche für Pädagogik, Ökonomie, Sozialwissenschaften und anderes.

Und nicht nur das: Auch innerhalb der Fachrichtungen gebe es Pluralismus, verschiedene Ansichten, die unbedingt berücksichtigt werden müssten. Stephan Rixen betonte, dabei sei es wichtig, die Übersicht nicht zu verlieren. Ein Gremium zu schaffen, aus dem man schnell vielfältiges Wissen abrufen kann und welches bei neuen Gesetzen und Verordnungen berät, könnte aus seiner Sicht sinnvoll sein.

Nicht nur per Verordnung

Lepsius sagte, es sei wichtig, dass Entscheidungen durch den Bundestag gingen und nicht lediglich per Verordnung von der Regierung angeordnet werden. Der Bundestag bestehe aus verschiedensten Menschen, die die Lebensrealitäten der Bevölkerung repräsentierten und Maßnahmen so gut abwägen könnten. Regierungen hingegen seien eher einseitig zusammengesetzt, allein schon, weil sie aus Vertreter_innen weniger Parteien bestehen. Auch riet er davon ab, lediglich Expert_innen Entscheidungen zu überlassen: Diese Gruppe sei ebenfalls einseitig zusammengesetzt.

Alena Buyx, die während der Pandemie Vorsitzende des Ethikrates war, sprach sich für eine kontinuierliche Überprüfung der Verhältnismässigkeit von Maßnahmen aus. Entscheidungen müssten demokratisch legitimiert sein, die Partizipation der Bevölkerung ausgeweitet werden, auch durch die Regionalisierung von Entscheidungen.

Auf Nachfrage erklärte sie, verordnete Solidarität – also die Einschränkung von Grundrechten zum Schutz von (vulnerablen) Gruppen wie durch die Lockdowns in der Pandemie – müsse verständlich kommuniziert und an die regionalen Gegebenheiten angepasst sein. Sonst würde sich verständlicher Widerstand regen und würden weniger Menschen die Maßnahmen mittragen.

Für die Kommission konnten alle Fraktionen Sachverständige benennen, auf Veranlassung der AfD nahm am Montag Karl Albrecht Schachtschneider an der Sitzung teil. Er verharmloste das Risiko, das während der Pandemie vom Coronavirus ausgegangen war und sprach von einer „Coronadiktatur“. Schachtschneider war bis 2005 Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg und ist Mitglied im Kuratiorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Auch die AfD hatte während der Pandemie von einer „Coronadiktatur“ gesprochen.

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