Attentat von Hanau: „Nicht an Aufklärung interessiert“

Am Freitag tagt der Hanau-Untersuchungsausschuss zum letzten Mal öffentlich. Überlebende und Angehörige der Opfer ziehen eine fatale Bilanz.

Angehörige der Opfer zeigen Fotos ihrer ermordeten Angehörigen oder Kinder

Trauer um ihre Kinder und Angehörigen, die vom Attentäter am 19. Februar 2020 erschossen wurden Foto: Abdulhamid Hosbas/picture alliance

WIESBADEN taz | Ein letztes Mal tagt der Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau öffentlich. Geladen ist am Freitag Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), der die Kritik an Polizei und Behörden in diesem Zusammenhang stets zurückgewiesen hat.

Die Initiative „19. Februar Hanau“ zog derweil schon am Donnerstag ihre eigene Bilanz der bisherigen Ausschussarbeit. Bei einer Pressekonferenz sagte die Sprecherin der Initiative, Newroz Duman: „Die Landesregierung hat die Chance auf Aufklärung nicht genutzt.“ Sie forderte Beuth erneut zum Rücktritt auf. Nach der „Kette des Versagens“ vor und nach den Morden müsse der Minister sich erklären: Bisher habe der sich „null kritisch“ zu den Vorgängen geäußert und die Geschehnisse beschönigt. „Die Landesregierung hat schnell klargemacht, dass sie nicht an Aufklärung interessiert ist“, so Duman.

Sie kritisierte auch das „respektlose Verhalten“ von CDU-Parlamentariern gegenüber den Opferfamilien im Untersuchungsausschuss. „Einig haben auf ihrem Handy gespielt, telefoniert oder sind ständig rein- und rausgegangen, während Gutachter oder Zeugen befragt wurden.“

Einen Skandal nannte Duman die Tatsache, dass die selbstkritische polizeiinterne Untersuchung des Polizeieinsatzes von Hanau ab November 2020 zunächst als Verschlusssache behandelt wurde. Erst eineinhalb Jahre später wurde sie im Ausschuss verhandelt. Zuvor hatte das Portal „Frag den Staat“ das 50-seitige Papier – „nur für den Dienstgebrauch“ – ins Internet gestellt.

Vili Viorel Păun könnte noch leben

Said Etris Hashemi, der beim Hanauer Mordanschlag seinen Bruder verlor und schwer verletzt überlebt hat, appellierte an Innenminister Beuth, bei seinem Auftritt vor dem Ausschuss am Freitag ein klares Signal zu setzen. „Er muss sagen, wie es in Deutschland mit dem Rechtsextremismus weitergeht“, sagte der 26-jährige Student.

Dass einiges schiefgelaufen ist in der Nacht des Anschlags, bestreitet inzwischen niemand mehr. Anders als Polizei und Innenminister zunächst beteuert hatten, bediente in der Tatnacht nur eine einzige Polizeibeamtin in Hanau die Notrufanlage. Anrufe, die auf dem zweiten Telefon eingingen, landeten nicht in einer Notrufweiterleitung. Eine Sicherheitslücke, die der Polizeiführung bekannt gewesen sein musste.

Unter anderem für Vili Viorel Păun hatte das tödliche Konsequenzen. Er hatte den Täter in der Mordnacht mit seinem Fahrzeug zum zweiten Tatort verfolgt, um ihn aufzuhalten. Auf dieser Fahrt hatte er mehrfach die Notrufnummer gewählt und war nicht durchgekommen. Der Täter erschoss ihn später in seinem Auto am zweiten Tatort. Er könnte noch leben, wenn der Notruf funktioniert hätte, sagte in Wiesbaden am Donnerstag sein Vater Niculescu Păun, immer noch ratlos und wütend.

Der für die technischen Unzulänglichkeiten zuständige Polizeipräsident sei fünf Monate nach der Tat zum Landespolizeipräsidenten befördert worden. „Das ist Deutschland?“, fragte der Vater und bekannte: „Mein Herz tut weh!“ Noch einmal schilderte Păun seine Not. Im Internet hätten Fotos seines erschossenen Sohns bereits die Runde gemacht, als er nichtsahnend zur Arbeit gegangen sei; bei der Polizei habe ihn die schlimme Gewissheit erreicht, doch habe man ihn zunächst nicht nach Hause gehen lassen, sondern erst vernehmen wollen.

Hagen Kopp, ebenfalls von der Initiative „19. Februar Hanau“, berichtet, dass Überlebenden in der Tatnacht nicht vorrangig geholfen worden sei, einer von ihnen habe sich ausweisen und schließlich zu Fuß durch die Stadt gehen müssen, obwohl der Täter noch nicht gefunden war. Hanaus Polizeichef habe vor dem Ausschuss Verständnis für das Verhalten der Beamten geäußert, Kopp nennt das „institutionellen Rassismus“.

Für Freitag haben Opferfamilien und die Initiative zu Protesten aufgerufen. Eine Mahnwache wird vor dem Landtag die Ausschusssitzung begleiten, anschließend soll ein Demonstrationszug zum Innenministerium führen. „Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen“ steht auf dem Banner, das sie mitführen: „Das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt für die ganze Welt“, so Niculescu Păun.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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