Attentat auf Salman Rushdie: Messer statt Worte
Am Freitag wird der Schriftsteller schwer verletzt. In Teheran jubelt die Presse. Das Regime nutzt den Mordaufruf als Zeichen des Führungsanspruchs.
E s war am Freitag, als Salman Rushdie in der Kleinstadt Chautauqua, am nordöstlichen Ufer des Eriesees im US-Bundesstaat New York gelegen, einen Vortrag halten wollte. Der berühmte Schriftsteller war seit der Fatwa durch den iranischen Religionsführer Ajatollah Chomeini vor nunmehr 33 Jahren immer gefährdet und wusste dies auch. Der magische Realist hat sich in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit dennoch einer optimistischen Tonart befleißigt. Seit der Jahrtausendwende lebte er überwiegend in den Vereinigten Staaten und der liberalen Metropole New York City.
In Interviews, auch mit dieser Zeitung, betonte Salman Rushdie öffentlich gerne, sich kaum mehr bedroht zu fühlen. Die Sache mit der iranischen Fatwa sei Schnee von gestern. Der Wunsch war sein Wille. Von 2004 bis 2006 amtierte er auch als Präsident des amerikanischen PEN-Centers.
Seine Hoffnungen auf ein Ende der persönlichen Bedrohung waren wie seine Literatur von dem Glauben getragen, dass die eigene Sprache und das eigene Handeln auf die Extremisten abfärben würden. Es ging auch relativ lange gut. In Zeiten des globalen Netzwerkterrorismus und Internet war es von Rushdie klug, keine „Schläfer“ und „einsamen Wölfe“ unnötigerweise auf sich aufmerksam zu machen – durchgeknallte Attentäter wie jener Mann namens Hadi Matar, der nun auf ihn eingestochen hat.
Als 1989 der iranische Machthaber Ajatollah Chomeini sein Todesurteil in Form einer Fatwa gegen Salman Rushdie verkündete, beschränkte sich die taz nicht nur auf die Berichterstattung. Weil kaum jemand die „Satanischen Verse“ kannte, zugleich aber viele Verlage vor einer Veröffentlichung im Deutschen zurückschreckten, druckte die taz die inkriminierten Stellen nach. Andere angesprochene Zeitungen mochten bei der Aktion nicht mitmachen.
Es blieb nicht bei diesem Akt der Solidarität. „Kampagnenjournalismus“ ist in der Bundesrepublik nicht gerne gehört. In diesem Fall, wo es um die Verteidigung des Wortes ging, war er angebracht. In unzähligen Texten behandelte die taz den „Fall Rushdie“ und die alltägliche Verhängung der Todesstrafe im Iran.
Fast drei Jahre nach Ausrufung der Fatwa initiierte die taz die „Briefe an Salman Rushdie“. Schriftstellerinnen und Schriftsteller äußerten dort ihre Gedanken zu dem Mordaufruf. Der erste Autor, der sich zu Wort meldete, war Günter Grass. „Redefreiheit ist das Leben“ erschien 1992 auch als Buch. (taz)
Noch ist unklar, ob der Attentäter alleine oder unter Anleitung loszog, um Salman Rushdie zu erstechen. Der 24-Jährige stammt aus dem Staat New York, ist in den USA geboren und aufgewachsen, so die Ermittler. Seine Eltern seien libanesische Einwanderer aus dem Dorf Jarun, das im Süden an der Grenze zu Israel liegt. Der Südlibanon wird von der Schiitenmiliz Hisbollah kontrolliert, einem der engsten Verbündeten des Irans. In sozialen Netzwerken soll Matar seine Sympathie für den schiitischen Extremismus sowie Irans Revolutionsgarden kundgetan haben.
Hinrichtungen als Herrschaftsinstrument
Die iranischen Islamisten waren noch nie zimperlich, wenn es um die Beseitigung politischer Gegner ging. Nach der Revolution von 1979 festigten sie ihre Herrschaft durch Massenterror und Hinrichtungswellen, denen Zehntausende Menschen zum Opfer fielen. Noch im Jahr 1988 ordnete der weltliche und geistliche Führer des schiitischen Irans, Ajatollah Chomeini, die Ermordung Tausender gefangener Volksmudschahedin an. Auch iranische Oppositionelle im Ausland waren und sind bis heute vor den Mordanschlägen des Mullah-Regimes nie sicher. Doch dass Irans Führung im Jahr 1989 zur Ermordung des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie aufrief, läutete eine neue Phase dieses schiitischen Staatsterrorismus ein. Chomeini rief die Muslime in aller Welt zur Vollstreckung auf.
Mit der Fatwa Chomeinis gegen einen ausländischen Literaten wie Salman Rushdie beanspruchten die iranischen Schiiten-Extremisten am 14. Februar 1989 symbolisch klar und deutlich, dass sie weltweit die Führung im islamistischen Lager für sich beanspruchen – auch gegenüber der Konkurrenz arabischer und sunnitischer Terrorgruppen. Die Zeichen der Islamischen Republik Iran stehen spätestens seit der Fatwa gegen Rushdie auf Weltpolitik und Expansion.
Salman Rushdie erfuhr von der Todesdrohung Chomeinis im Februar 1989 während der Beisetzung seines verstorbenen Schriftsteller-Freundes Bruce Chatwin. Da war der kosmopolitische Schriftsteller schon lange ein berühmter Autor. 1947, im Jahr der Unabhängigkeit Indiens, in eine muslimische Familie in Bombay (heute Mumbai) geboren, wurde Rushdie im Alter von 14 Jahren zur Ausbildung nach England geschickt und studierte später in Cambridge Geschichte. Er lernte damit schon in der Jugend verschiedene Lebenswelten kennen. Und Rushdie machte, wie er später immer wieder hervorheben sollte, dabei Erfahrung auch mit dem englischen Rassismus, den Vorstellungen der weißen Vorherrschaft.
Rushdies Werk
Literarisch gründete sein Ruhm auf der Veröffentlichung seines Romans „Mitternachtskinder“ aus dem Jahr 1981. Das Werk ist in verschiedenen Erzählsträngen eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den historischen Unabhängigkeitskämpfen und postkolonialen Realitäten auf dem indischen Subkontinent – auch mit dessen weniger glänzenden Seiten wie den schwelenden religiös-nationalistischen Konflikten zwischen Hindu- und Muslimextremisten. „Mitternachtskinder“ wurde international zu einem Überraschungserfolg. Ein neuer, postkolonialer Stern war am Literaturhimmel aufgegangen. Rushdie wurde sogleich mit dem Booker-Preis ausgezeichnet, der nach dem Nobelpreis weltweit wohl zweitwichtigsten literarischen Ehrung.
Doch Chomeini und seine Kampfgefährten wurden auf Salman Rushdie nicht wegen dessen erneuerter Form eines „magischen Realismus“, dessen Fabulierlust oder hybriden Erzählstils aufmerksam. Der Schriftsteller eignete sich für die symbolträchtige Fatwa des Teheraner Mullah-Regimes, als er 1988 seinen Roman „Die Satanischen Verse“ publizierte.
Hier spielte ein international anerkannter Autor mit Humor und Finesse literarisch mit dem dogmatischen Wahrheitsanspruch islamistischer Religionsführer und wies diese mit unterhaltsamer Leichtigkeit zurück. Ein atheistischer Autor muslimischer Geburt brach gewitzt Tabus und machte sich, allegorisch getarnt, originell über Mythen bezüglich des Korans und des Propheten lustig. Rushdies „Die satanischen Verse“ vereint Fakten und Fiktion, Mittelalter und Gegenwart, Geschichten aus Großbritannien, Indien, illegitime Liebesaffären, explodierende Flugzeuge und wundersame Wiederauferstehungen.
Rushdies literarischer Spott trifft den Paternalismus religiöser Fanatiker, aber auch den europäischer Einwanderungsfeinde im damals von Maggie Thatcher regierten Großbritannien. Rushdie feiert in seiner Literatur die positiven Möglichkeiten einer sich globalisierenden Welt, kulturelle und ethnische Vermischung. Kurz nachdem das Buch im November 1988 in Großbritannien erschien, erließ Indien ein Einfuhrverbot gegen „Die Satanischen Verse“. Auch in Großbritannien selbst kam es zu gewaltsamen Protesten gegen das angeblich blasphemische Werk. Im englischen Bradford veranstalteten islamistische Fanatiker im Januar 1989 eine öffentliche Bücherverbrennung.
Ziel: Der Export der Revolution
In diesem Kontext erkannte Irans seit 1979 diktatorisch herrschender Führer Ajatollah Chomeini die Möglichkeit, durch eine Fatwa mit dem Aufruf zur Ermordung Salman Rushdies die schiitische Revolution weltweit zu exportieren. Die Mullahs setzten ein Kopfgeld von 600.000 US-Dollar für die Tötung des Intellektuellen aus. Sie wollten so die Gläubigen für sich mobilisieren, ohne selbst (wie sie dies in vielen Fällen gegen im Ausland lebende Exil-Iraner taten) einen unmittelbaren Agenten des Regimes mit einem Mordauftrag loszuschicken.
Dass sich so lange kein selbst tätig werdender Handlanger für einen Mordanschlag auf Rushdie fand, zeugt aber auch von der mangelnden Attraktivität des anachronistischen Teheraner Mullah-Regimes unter Menschen schiitischer Herkunft im Ausland. Die Systeme der Demokratie sind für die meisten Menschen wesentlich attraktiver als die dem iranischen Volk aufoktroyierte mittelalterliche Theokratie samt der Ausplünderung und Unterdrückung durch den mafiotischen Wirtschaftskomplex der iranischen Revolutionsgarden.
Als Chomeini 1989 starb, trat sein alter Kampfgefährte Ali Chamenei die Nachfolge an. Iran nahm wieder diplomatische Beziehungen zu Großbritannien auf. Doch die Fatwa gegen Rushdie blieb in Kraft. Nur Ajatollah Chomeini selbst hätte sie zurücknehmen können, hieß es. Das Kopfgeld für Rushdies Ermordung wurde fortwährend erhöht, soweit bekannt zuletzt im Jahr 2016. Laut offiziellen iranischen Quellen soll es sich heute auf vier Millionen US-Dollar belaufen.
Infolge von Chomeinis Fatwa wurde Rushdies japanischer Übersetzer Hitoshi Igarashi im Jahr 1991 erstochen. Weitere Mordanschläge gab es auf seinen italienischen Übersetzer in Rom sowie auf Rushdies norwegischen Verleger in Oslo. 45 Menschen sollen weltweit bei islamistischen Ausschreitung und Überfällen in direktem Zusammenhang mit dem Buch getötet worden sein, darunter allein zwölf in Rushdies indischer Heimatstadt Mumbai.
Rushdie musste mithilfe der britischen Behörden neun Jahre lang untertauchen. In seiner 2012 veröffentlichten Autobiografie „Joseph Anton“ spricht er von dieser Zeit. Aus dem weltweit gefeierten Autor eines „neuen magischen Realismus“ wurde ein Gejagter und Gehetzter. „Joseph Anton“ war sein Deckname während seines klandestinen Lebens in Großbritannien.
Mehr als 30 Jahre nach Chomeinis Fatwa wird der Messerangriff auf Salman Rushdie vom vergangenen Freitag in den staatlich gelenkten iranischen Medien offen bejubelt. In der Teheraner Tageszeitung Kayhan heißt es an diesem Samstag: „Tausend Bravos (…) für die mutige und pflichtbewusste Person, die den abtrünnigen und bösen Salman Rushdie in New York angegriffen hat“. Und weiter: „Die Hand des Mannes, der dem Feind Gottes den Hals umgedreht hat, muss geküsst werden.“ Die Zeitung Vatan Emrooz schlagzeilt: „Messer im Nacken von Salman Rushdie“. Und die Kollegen von Chorasan freuen sich: „Satan auf dem Weg zur Hölle“. Die Nachrichtenseite Asr Iran macht mit einem Zitat des Chomeini-Nachfolgers und Irans heutiger Nummer eins, Ali Chamenei, auf. Nach diesem werde der vom verstorbenen Ajatollah Ruhollah Chomeini abgeschossene „Pfeil“ eines Tages sein Ziel schon finden.
Teheraner Tageszeitung „Kayhan“
In seinen Romanen hinterfragte Kosmopolit Rushdie den Hindu-Nationalismus in Indien („Des Mauren letzter Seufzer“, 1995) oder den Aufschwung der extremen Rechten um Donald Trump („Golden House“, 2017). Doch Menschen, die auf Chomeinis Fatwa hören, sind für solche literarischen Werke nicht empfänglich. Und so wenig die schiitische Führung des Irans seinen expansiven Herrschaftsanspruch aufgibt, so wenig konnte sie von der Fatwa gegen den ausländischen Intellektuellen Rushdie lassen. Die Schia steht über der Nation. Als die englische Queen im Jahr 2007 Rushdie in den Ritterstand versetzte, liefen die Regierungen Pakistans und Irans dagegen Sturm.
2015 nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris lud die Frankfurter Buchmesse Sir Salman Rushdie zu einer Auftaktpressekonferenz ein. Es war ein symbolisches Zeichen dafür, dass man vor den Feinden der Menschenrechte und des freien Wortes nicht einknicken werde. Das iranische Mullah-Regime tobte, widerrief die Teilnahme seiner Verlage an der Messe. Bereits 1989 hatten sich deutsche Verlage im „Artikel 19 Verlag zusammengeschlossen, um „Die Satanischen Verse“ gemeinsam herauszugeben und die Gefahr für Einzelne zu mindern.
Als im November 2015 die furchtbare Attentatsserie des (sunnitischen) „Islamischen Staats“ (IS) in Paris auf das Bataclan und andere Einrichtungen folgte, sprach Salman Rushdie kurz darauf in Berlin. Im Haus der Berliner Festspiele sagte er bei der Vorstellung seines Romans „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“: „Ich weigere mich, den IS einen Staat zu nennen, denn er ist kein Staat. Nennen wir sie doch einfach Bastarde.“ Auch von Terrorgruppen wie al-Qaida, IS und deren Mitläufern drohte Rushdie Gefahr.
Niemals eingeschüchtert
Als großer Intellektueller ließ er sich jedoch nie einschüchtern. „Die Lebensfreude selbst“ sei „zum Feind der Terroristen geworden“, sagte er nach den Anschlägen auf das libertäre Leben in Paris. Diese dürfe man aber nie verlieren. Für ihn sei der richtungweisende Hashtag nach den Anschlägen in Paris dieser gewesen: „#JeSuisEnTerrasse“, „wir sitzen weiter in den Cafés“. Nach dem hinterhältigen Attentat auf den großen Sir Salman Rushdie müsste es nun abgewandelt heißen: #AtoutDeSuiteSurLaScene, „bis gleich auf der Bühne“.
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