Atomkraftwerk Saporischschja: Unter normalen Umständen
Trotz Kühlwassermangels ist der Weiterbetrieb des AKWs Saporischschja noch gesichert. Die russische Besatzung ist aber ein Risiko.
Was bedeutet das für die Anlage mit ihren sechs nuklearen Reaktoren? Bei seinem Besuch im Kraftwerk in der vergangenen Woche kam IAEO-Chef Rafael Grossi zu dem Schluss, dass auch nach dem Dammbruch sowohl kurz- als auch mittelfristig genügend Wasserreserven vorhanden seien. Davon geht auch Oleg Korikow von der Staatlichen Atomregulierungsbehörde aus. Jedenfalls, so zitiert ihn das Portal radiosvoboda.org, könnte der Betrieb des AKWs normal weiterlaufen, wenn man wie bisher arbeiten könnte, man ein verantwortungsbewusstes Management hätte, das AKW nicht unter Besatzung stünde und keine Waffen sowie kein Sprengstoff auf dem Werksgelände wären.
Insgesamt hält Oleg Korikow eine Katastrophe wie in Fukushima nicht für ausgeschlossen: „Wir können feststellen, dass die Risiken eines Unfalls im AKW Saporischschja zunehmen und unsere Möglichkeiten, auf diese Risiken zu reagieren, abnehmen“, meint Korikow, „und das trotz der IAEO-Präsenz seit September 2022.“
Derzeit erhalte das dem AKW angegliederte Krisenzentrum, das alle sicherheitsrelevanten Daten auswertet, keine Informationen mehr aus dem Kraftwerk. Die Besatzer hätten den Kommunikationskanal zum Krisenzentrum abgeschaltet.
Einige MitarbeiterInnen sollen gefoltert worden sein
Hinzu komme, so Korikow, dass die Besatzer weiterhin Druck auf die MitarbeiterInnen des AKWs ausübten, doch endlich mit dem russischen Betreiber einen Arbeitsvertrag zu schließen. Einige MitarbeiterInnen sollen von den Besatzern auch gefoltert worden sein.
Sorgen macht ukrainischen AtomexpertInnen insbesondere Reaktor 5 des Atomkraftwerks. Der befindet sich nach Aussagen von Olga Koscharna, ehemaliges Mitglied des Kollegiums der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde, immer noch im Zustand einer Heißabschaltung, sei im ersten Kühlkreislauf also immer noch 275 Grad heiß. Demgegenüber hätten die fünf kalt abgeschalteten Reaktoren eine Temperatur von ungefähr 70 Grad. „Das ist ein weitaus höherer Sicherheitsgrad“, so Koscharna zur taz. Obwohl die ukrainische Atomaufsichtsbehörde eine Kaltabschaltung auch dieses Reaktors angeordnet habe, weigerten sich die Besatzer, das auch zu tun.
„Nehmen wir einmal an, im AKW fällt die externe Stromversorgung aus. Nehmen wir weiter an, dass auch die 20 Notstromgeneratoren nicht anlaufen, man also plötzlich keinen Strom mehr hat, um die Pumpen zu betreiben. In so einem Fall haben wir kein Wasser. Ab da dauert es acht Tage, bis es in der aktiven Zone zum Schmelzprozess kommt – bei einer Kaltabschaltung“, so Koscharna. Bei einer Heißabschaltung habe man nur 27 Stunden Zeit, um eine Katastrophe noch zu verhindern.
Offensichtlich russisches Management gemeint
Gleichzeitig kritisiert Koscharna das Verhalten von IAEO-Chef Grossi bei seinem Besuch im Kraftwerk in der vergangenen Woche. Der sei in keiner seiner Stellungnahmen vor Ort darauf eingegangen, dass die ukrainische Atomaufsichtsbehörde die Kaltabschaltung von Reaktor 5 angeordnet hatte. Koscharna missfällt auch die Antwort von Grossi auf die Frage eines Moskauer Journalisten, wann ein Betrieb des AKWs mit voller Last wieder möglich sei. Dies sei die Entscheidung des Managements, habe Grossi geantwortet, wobei er offensichtlich das russische Management gemeint habe.
Außerdem nähere sich die IAEO immer mehr einer russischen Sprachregelung an. Habe Grossi noch vor wenigen Monaten in Beiträgen auf der IAEO-Website die Begriffe „Intensivierung der militärischen Operationen im Bereich des AKWs“ oder „Gespräche über Offensiven und Gegenoffensiven“ verwendet, ohne eine der Parteien namentlich zu nennen, sagte Grossi auf einer Pressekonferenz in Kiew am 13. Juni, er sei „sehr besorgt“, dass das Kernkraftwerk Gegenstand einer ukrainischen Gegenoffensive sein könnte, so Koscharna.
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