Kontaminiertes Wasser in Fukushima: Japan beginnt mit der Verklappung
Für die geplante Einleitung von kontaminiertem Wasser in den Pazifik hagelt es nationale wie internationale Kritik. Doch Tokio ignoriert sie.
Es geht um 1,34 Millionen Tonnen aufbereitetes Kühl- und Grundwasser, die Menge entspricht 530 Olympia-Schwimmbecken. Mit dem Wasser wurden die geschmolzenen Brennstoffe in den drei zerstörten Reaktoren gekühlt, es vermischte sich auch mit eingesickertem Grundwasser.
Tepco und die Regierung begründeten ihre Entscheidung damit, dass spätestens im nächsten Jahr in dem Kraftwerk kein Platz für neue Speichertanks mehr ist. Nun sollen täglich 500 Tonnen des gefilterten und verdünnten Wassers ins Meer fließen. Da ständig neues Kühl- und Grundwasser radioaktiv kontaminiert wird, dürfte die Verklappung bis zu 30 Jahre dauern.
Eine Anlage filtert 62 Radionuklide außer Tritium aus dem kontaminierten Wasser heraus. Auch andere AKWs würden im Regelbetrieb ständig tritiumhaltiges Wasser ins Meer leiten, argumentiert die Regierung. In Fukushima wird es noch um das 100-Fache mit Meerwasser verdünnt, um die Tritium-Konzentration auf unter 1.500 Becquerel je Liter zu drücken. Das entspricht einem Siebtel des Höchstwertes, den die Weltgesundheitsorganisation für Trinkwasser festgelegt hat.
Vorhaben stieß bis zuletzt auf Widerstand
Das Wasser fließt dann über ein Rohr auf dem Meeresgrund in den Pazifik. Die Öffnung liegt in zwölf Meter Tiefe. Bei Erdbeben und Tsunamis oder Stromausfällen stoppen Notfallventile die Einleitung. Die Fischereibehörde will einen Monat lang Meeresfrüchte in einem 10-Kilometer-Radius um die Atomruine auf Tritium testen und die Ergebnisse innerhalb von zwei Tagen veröffentlichen.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte im Juli erklärt, Japans Konzept und Maßnahmen stünden im Einklang mit den internationalen Sicherheitsstandards. Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt seien „vernachlässigbar“, schrieb die IAEA in ihrem Bericht. Dennoch stieß das Vorhaben bis zuletzt auf starken Widerstand, denn seit der Atomkatastrophe im März 2011 existiert ein großes Misstrauen gegenüber Tepco und die Atombehörden. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo meinten 82 Prozent der befragten Japaner, die offiziellen Erklärungen zur Einleitung seien „ungenügend“.
Vor dem Premierministeramt in Tokio demonstrierten am Dienstag rund 200 Anti-Atom-Aktivisten. „Die Entscheidung wurde einfach durchgedrückt, obwohl es so viel Widerstand gab“, sagte eine Teilnehmerin. Greenpeace warf Japan eine „falsche Lösung“ des Problems vor. Das Filterverfahren sei fehlerhaft, es handele sich um eine „vorsätzliche radioaktive Verschmutzung des Meeres“, erklärte die Umweltorganisation.
Die Fischer der Region lehnten die Einleitung bis zuletzt ab. Sie fürchten einen Rufschaden für ihren Fang. Bei einem persönlichen Treffen mit Kishida am Montag erklärte der Vorsitzende der Nationalen Fischerverbände, Masanobu Sakamoto: „Es gibt ein wachsendes Verständnis für die wissenschaftliche Sicherheit, aber es geht um die Existenz der Fischer.“
China ist der schärfste Kritiker der Aktion
Die vorige Regierung hatte ihnen versprochen, nur nach ihrer Zustimmung zu handeln. Nun beteuerte Kishida gegenüber Sakamoto, dass der Staat bis zum Schluss die „volle Verantwortung übernimmt“. Rund 500 Millionen Euro stehen an Wirtschafts- und Finanzhilfen für die Fischer sowie die Region Fukushima bereit.
China, der schärfste Kritiker der Aktion, verlangte von Japan, „seine falsche Entscheidung zu korrigieren“. Das Wasser müsse unter strenger internationaler Aufsicht entsorgt werden, so ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Die Parteizeitung People’s Daily spricht stets von „nuklearem Abwasser“. China und Russland hatten im Juli Japan vorgeschlagen, das Wasser zu verdampfen. Diese Methode hätte geringere Auswirkungen auf die Nachbarländer. Japan hat diesen Vorschlag aber als „inakzeptabel“ zurückgewiesen.
Kishida geht ein Risiko ein. Einer Umfrage zufolge ist über die Hälfte der befragten Japaner unzufrieden mit ihm. Jedoch wählte er den Zeitpunkt der Einleitung danach aus, die Wähler möglichst wenig zu reizen. Viele genießen ihren Sommerurlaub. Das Parlament tagt nicht, die Opposition kann kein Kapital aus dem Beschluss schlagen. Die Teilnahme an internationalen Konferenzen im September soll Kishida dann frischen Glanz verleihen, damit seine Partei bei den Regionalwahlen in Fukushima im November doch noch gut abschneidet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen