Asylrecht in der EU: Die Türkei als „sicherer“ Staat?
Die EU möchte eine gemeinsame Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ einführen. Die EU-Innenminister beraten sich auf einer Sondersitzung.
Letzten Mittwoch hat die EU-Kommission mehrere Vorschläge zum Asylrecht vorgelegt. Neben einer Quotenregelung für die Aufnahme von Flüchtlingen schlägt die von Jean-Claude Juncker geleitete EU-Kommission auch die Einführung einer Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ auf EU-Ebene vor. Bisher gibt es nur in 12 EU-Staaten (einschließlich Deutschland) nationale Listen, die sich stark unterscheiden.
Wenn es nach der Kommission geht, würde jeweils sie vorschlagen, welche Länder auf die Liste gehören. Der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament müssten jeweils mit qualifizierter Mehrheit die entsprechende Liste als Verordnung beschließen. Wenn sich in einem Land die Situation abrupt verschlechtert, könnte die Kommission den Staat selbst von der Liste streichen.
Zunächst, so schlägt die Kommission vor, sollen sieben Staaten auf der Liste stehen: die sechs Westbalkanstaaten (Bosnien, Serbien, Kosovo, Albanien, Montenegro und Mazedonien) sowie die Türkei. Rund 17 Prozent aller in der EU gestellten Asylanträge stammen von Bürgern dieser Staaten. Bei ihrem Vorschlag hatte sich die Kommission an vier Kriterien orientiert: Werden nur wenige Asylanträge aus dem Staat anerkannt? Gibt es wenig erfolgreiche Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? Steht der Staat auf einer nationalen Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“? Wird mit dem Staat über einen EU-Beitritt verhandelt?
Abschreckung und Aktionismus
Vor allem die Benennung der Türkei sorgte für Erstaunen. Bisher gilt sie nur in Bulgarien als „sicherer Herkunftsstaat“ und 23 Prozent aller Asylanträge waren EU-weit erfolgreich. Laut Medienberichten werden die EU-Regierungen die Türkei wohl nicht als „sicheren Herkunftsstaat“ einstufen, auch wegen des drohenden Bürgerkriegs in den Kurdengebieten.
Auch wenn ein Staat auf der EU-Liste der sicheren Herkunftsstaaten steht, müssen Asylanträge geprüft werden. Die Einstufung als „sicher“ ist also, wie im deutschen Recht, nur eine Vermutung, die in jedem Einzelfall widerlegt werden kann. Als Vorteil benennt die EU-Kommission, dass bei Anträgen aus sicheren Herkunftsstaaten die EU-Staaten ein beschleunigtes Verfahren anwenden können. In Deutschland hat die Einstufung bisher praktisch keine beschleunigende Wirkung, auch wenn dies oft behauptet wird. Es geht nur um Abschreckung nach außen und innenpolitischen Aktionismus.
Die EU-Liste soll nicht einmal die nationalen Listen der „sicheren Herkunftsstaaten“ ersetzen. Vielmehr will die EU-Kommission zunächst nur eine Anregung bieten, die Listen zu vereinheitlichen. Erst nach drei Jahren soll entschieden werden, ob nur noch die EU-Liste gelten soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau