Asylpolitik von Schwarz-Rot: Grundsätzliche Einzelfallentscheidung
Die Gerichtsbeschlüsse gegen Zurückweisungen an der Grenze gelten nur für die Kläger:innen. Sie haben jedoch allgemeinen Charakter.
Tatsächlich handelte es sich im Fall der drei Somalier:innen um Einzelfall-Entscheidungen. Sie haben keine Wirkung über den konkreten Fall hinaus. Die Bundespolizei hat die Entscheidungen insofern umgesetzt und die drei Kläger:innen einreisen lassen, sodass auf deutschem Boden nun das EU-rechtlich vorgesehene Dublin-Verfahren stattfinden kann. Dabei wird geprüft, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.
Die Beschlüsse haben aber durchaus grundsätzlichen Charakter. Denn die Argumente, warum die Zurückweisungen als rechtswidrig eingestuft wurden, haben nichts mit den Einzelfällen zu tun. Es spielte zum Beispiel keine Rolle, dass die 16-jährige Somalierin einen verletzten Fuß hat. Die Argumente des Gerichts kommen auch in keiner Weise überraschend. Es sind die gleichen rechtlichen Argumente, die schon seit Jahren gegen Zurückweisungen von Asylsuchenden vorgebracht werden. Die Position der Bundespolizei wurde sogar zunehmend schlechter, weil der Versuch, eine Bedrohung für die innere Sicherheit zu konstruieren, bei stark abnehmenden Asylzahlen immer absurder wurde.
Es ist also sehr damit zu rechnen, dass auch jedes andere Verwaltungsgericht Zurückweisungen als rechtswidrig einstufen wird, etwa das VG München, wenn es um Zurückweisungen an der Grenze nach Österreich geht.
Es ist allerdings fraglich, ob es noch viele Klagen gibt. Denn zurückgewiesene Flüchtlinge gehen beim nächsten Mal einfach über die schlecht bewachten grünen Grenzen. Das war der fußverletzten Somalierin nicht möglich, weshalb sie tatsächlich klagen musste.
Die Eilentscheidung des VG Berlin ist rechtskräftig, da es in gerichtlichen Asyl-Eilverfahren nur eine Instanz gibt. Der 28-seitige Beschluss, der der taz vorliegt, ist aber keineswegs oberflächlich oder skizzenhaft, sondern gründlich und umfassend. Es ist nicht ersichtlich, warum das VG in einem Hauptsacheverfahren zu einer anderen Entscheidung kommen sollte.
Allerdings: Ob es das von Dobrindt anvisierte Hauptsacheverfahren überhaupt geben wird, ist fraglich. Dobrindt jedenfalls kann es nicht einleiten. Eine Hauptsacheklage der Somalierin liegt zwar bereits vor, aber das Gericht könnte diese nach dem erfolgten Grenzübertritt für erledigt erklären.
Wenn es kein Hauptsacheverfahren gibt, kann es auch keine höchstrichterliche Klärung geben. Auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist dann nicht möglich.
Möglich wäre aber, beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Klagen könnte ein anderer EU-Staat oder die EU-Kommission, wobei letztere in Asylsachen bisher nur intervenierte, wenn es gegen Ungarn ging.
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