Asyldrama in Hamburg: Gefährliche Abschiebung bei Nacht
19-Jähriger flüchtete vor Ausländerbehörde aus Fenster im 5. Stock und fiel in die Tiefe. Der Afghane sollte nach Kroatien, nun ist er in der Klinik.
Dabei war der junge Afghane über die letzte Distanz gesprungen und verletzte sich schwer, wie ein Sprecher der Polizei am Freitag bestätigte.
Laut einem Bericht des Hamburger Abendblatts, das mit beteiligten Beamten sprach, standen diese zunächst vor der verbarrikadierten Zimmertür und hörten von innen noch Geräusche, bevor es still wurde. Schließlich wurden die geknoteten Laken entdeckt, die am Fenster hingen. Ein Wachmann soll dann von Außen gesehen haben, wie ein Mann in die Tiefe stürzt.
Die Polizisten entdeckten den Heranwachsenden dann auf einem Vordach des Gebäudes. Er sei ansprechbar gewesen, so das Blatt, habe aber über Schmerzen am ganzen Körper geklagt, woraufhin er per Rettungswagen ins Krankenhaus kam.
„Dublin“-Abschiebung nach Kroatien
Nach Auskunft von Matthias Krum, Hamburger Sprecher des Amtes für Migration, sollte der junge Mann nach den Regeln des „Dublin“-Verfahrens nach Kroatien abgeschoben werden. Er sei im April von dem Balkan-Land in die Bundesrepublik eingereist, hätte aber dort schon einen Asylantrag gestellt gehabt. Gefragt, warum die Abschiebung nachts stattfand, erklärt Krum, dies habe organisatorische Gründe. Weil die Überführung mit dem Flugzeug über Frankfurt am Main geplant war, müsse man solche Maßnahmen „frühzeitig beginnen“.
Nächtliche Abschiebungen sind sehr umstritten. Die Rot-Rot-Grüne Regierung in Berlin zum Beispiel hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart darauf zu verzichten. Dennoch wird dies auch dort noch in jedem sechsten Fall praktiziert, wie die taz jüngst berichtete.
„Nächtliche Abschiebungen sind in Hamburg die Regel“, sagt Moritz Reinbach, „Abschiebebeobachter“ der Hamburger Diakonie. Das liege daran, dass die meisten Flüge sehr früh am Morgen starten. Daneben ginge es den Behörden auch darum, Aufmerksamkeit zu vermeiden und der Betroffenen habhaft zu werden. Idealerweise, so Reinbach, sollte darauf verzichtet werden, „besonders bei Familien mit Kindern und kranken Menschen“.
Laut einer Anfrage der Linken-Politikerin Carola Ensslen wurden im dritten Quartal dieses Jahres 68 Menschen aus Hamburg abgeschoben und 29 Menschen nach der „Dublin“-Verordnung in ein anderes Land überstellt, über das sie zuerst nach Europa eingereist waren. Darunter waren acht junge Menschen im Alter von 18 bis 23 Jahren. Wären sie einen Tag unter 18, dürften nicht abgeschoben werden. „Es ist brutal, dass die Dublin-Regel für junge Volljährige voll gilt“, sagt Ensslen.
Grüne wünschen gute Besserung
Sie hält es für wahrscheinlich, dass der junge Afghane bei der Flucht über die Balkan-Route in Kroation schlechte Erfahrungen machte und große Angst vor der Rückführung hat. „Und die nächtlichen Abschiebungen sind brutal“, sagt Ensslen. „Ich bin jedes Mal erschüttert, wenn die Menschen nachts aus ihrem Bett gerissen und mitgenommen werden“. Da gebe es andere Lösungen.
„Dem jungen Mann ist zunächst mal rasche Genesung zu wünschen“, sagt Michael Gwosdz von der in Hamburg mitregierenden Grünen-Fraktion. „Für uns ist Abschiebung ‚ultima ratio‘ und nächtliche Abschiebungen wollen die Behörden in Hamburg eigentlich auch vermeiden“, so der flüchtlingspolitische Sprecher. Das Problem seien aber eben die frühen Abflugzeiten. „Es ist die Frage, ob es besser ist, wenn der Betroffene über Nacht in Abschiebehaft kommt“.
Zudem würde bei besagten „Dublin“-Fällen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheiden, so dass Hamburg keinen Spielraum habe. „Aber ich halte das ganze ‚Dublin‘-System für reformbedürftig“, sagt der Grüne Migrationsexperte. „Es ist absurd, Leute zwischen europäischen Ländern hin- und her zu schieben“, sagt Gwosdz. „Besser wäre, sie können an einem Ort eine Aufenthaltsperspektive entwickeln“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“