Asyl in Österreich: Flüchtlingszelte als Druckmittel
Die meisten Bundesländer in Österreich nehmen zu wenig Asylbewerbende auf. Nun hat der Innenminister kurzerhand Zelte errichten lassen.

Ferdinand Aigner, ÖVP-Bürgermeister der Viereinhalbtausend-Einwohner-Gemeinde Sankt Georgen im oberösterreichischen Attergau, klagte am Montag einem Redakteur des Ö1-Morgenjournals sein Leid: „Das ist einfach die dümmste Unterbringung, die was es geben kann.“
Bei strömendem Regen seien die Zelte errichtet worden und „am Samstagabend sind schon mit Bussen junge Männer hergebracht worden. Und das regt uns echt furchtbar auf“. Am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, wolle man aus Protest die nahe gelegene Westautobahn besetzen. St. Georgen beherbergt das vom Bund verwaltete Flüchtlingslager Thalham, eine ehemalige Lungenheilanstalt, deren 170 Schlafplätze bereits besetzt sind. Die Zelte stehen auf jenem Gelände. Die Gemeinde hat keine Handhabe.
In Österreich haben sich alle neun Bundesländer verpflichtet, eine bestimmte Quote an Asylwerbenden unterzubringen. Aber die meisten halten sich nicht daran. Nur Wien und das Burgenland erfüllen beziehungsweise übererfüllen ihre Verpflichtungen: Wien hat 179,4 Prozent seiner Quote aufgenommen und das Burgenland 102,3 Prozent.
Asylschnellverfahren würden entlasten
In Tirol und Vorarlberg hingegen, die weniger als 70 Prozent der Quote erfüllen, sollen wie in Oberösterreich und Kärnten ebenfalls Zeltlager entstehen.
Innenminister Karner stellt die Lösung als alternativlos dar. Seit Jahresbeginn seien über 56.000 Asylanträge gestellt worden. 90 Prozent der Geflüchteten seien über die Balkanroute ins Land gekommen. Die Quartiere der Bundesbetreuung seien überfüllt. Karner vergleicht die Situation mit dem Spätsommer 2015, als hunderttausende Schutzsuchende aus Ungarn über die Ostgrenze kamen.
Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien, weist solche Vergleiche zurück. Sie spricht von einer Managementkrise. Die Asylwerber kommen teils aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und Afghanistan und haben gute Chancen auf einen positiven Asylbescheid.
Ein zunehmender Anteil stammt aus Indien und Ländern des Maghreb. Da handle es sich in Wahrheit um „Arbeitsmigranten“, die keine legale Möglichkeit zur Einreise vorfinden und daher auf das Asylsystem ausweichen.
Kohlenberger erklärt aber, dass nicht die Migration das kurzfristige Problem für Österreich ist: „Die Asylschiene ist die teuerste Einreiseschiene, weil ein ganzes rechtsstaatliches Verfahren gestartet werden muss.“ Das könne man durch ein Abgehen von der strikten Abschottungspolitik beheben. Die Expertin rät im Radio-Interview deshalb zu Asylschnellverfahren.
Zelten sollen beheizbar sein
Die Aufnahmequoten der Länder verbessert das aber auf die Schnelle auch nicht. Innenminister Karner versichert aber zu seiner Lösung, die Zelte seien beheizbar und würden vorerst nur mit jungen Männern besiedelt. Die Tatsache, dass man sie knapp an die Grenze von Nachbargrundstücken gestellt hat, lässt aber auch vermuten, dass negative Stimmungen im Ort provoziert werden sollen.
Ob sich die erwünschte Konsequenz einstellt, dass nämlich die Länder ihre Verpflichtungen erfüllen, erscheint fraglich. Denn wie immer wieder zu hören ist, mangelt es nicht an möglichen Unterkünften. Nur werden die nicht freigegeben, weil die Bürgermeister Proteste ihrer Wählerschaft fürchten.
Profiteurin des planlosen Fuhrwerkens ist die FPÖ, die sich über dieses Wasser auf ihre ausländerfeindlichen Mühlen freut. Parteichef Herbert Kickl geißelte die Zeltlager als „Monumente des Totalversagens“ und kann zufrieden auf steigende Umfragewerte blicken.
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