Asta-Sprecher über Studieren in der Krise: „Wir brauchen warme Arbeitsplätze“
Hamburgs Hochschulen drosseln ihr Angebot, um Energiekosten und Inflation aufzufangen. Asta-Sprecher Janis Wegner fordert Unterstützung von der Stadt.
taz: Janis Wegner, können Sie verstehen, warum 20 Hamburger Studierende vor Kurzem eine Mensa geplündert haben?
Janis Wegner: Zu dem Vorgang kann ich wenig sagen, aber es ging vermutlich darum, auf die schwierige soziale Lage der Studierenden aufmerksam zu machen. Ich glaube, ein Appell an die Politik hätte es auch getan.
Leiden Studierende denn tatsächlich Hunger?
Grundsätzlich kriegen wir unser Essen in den Mensen. Die Frage ist, ob wir uns das leisten können.
Laut Speiseplan von letzter Woche gab es Seelachs-Ecken mit Kartoffeln für 3,50 Euro. Klingt noch günstig.
Na ja, dass die Mensen günstiges Essen bieten, ist ja ihre Kernaufgabe. Aber es ist schon so, dass über den Sommer und auch in den vergangenen Jahren seit 2017 auch die Mensa-Preise ordentlich gestiegen sind. Diese Steigerung ist schon passiert, auch wenn der Hamburger Senat jetzt die Finanzierung des beim Studierendenwerk aufgelaufenen Defizits übernimmt. Einige Gerichte kosten auch schon mal über fünf Euro. Und wenn man jetzt endlich in nachhaltigeres Essen und Mensen investieren will, darf das nicht auf Kosten der Studierenden passieren.
Sie sind im Asta der Hafencity-Universität und Mitglied der Landes-Asten-Konferenz in Hamburg, die gerade einen Offenen Brief geschrieben hat. Haben wirklich elf Mensa-Standorte geschlossen?
Nach meiner Kenntnis wurden in Folge der Coronakrise Standorte teilweise geschlossen. Das Angebot ist dort eingeschränkt, die Öffnungszeiten sind kürzer.
Keine Steigerung der Mensa-Preise oder Mieten in Wohnanlagen des Studierendenwerks soll es 2023 und 2024 geben. Das durch Kostensteigerungen entstandene Defizit werde ausgeglichen. Das hat der Hamburger Senat am vergangenen Freitag angekündigt.
Unterfinanziert ist Hamburgs Studierendenwerk allerdings strukturell. Der Landeszuschuss deckte 2021 nur 5,9 Prozent der Kosten. Zum Vergleich: in Bremen waren es 20,8 Prozent, in Hannover 12,8 Prozent.
Bei den gestiegenen Energiekosten sichert der Senat noch keine Hilfe zu. Bevor Hamburg hier etwas aus Landesmitteln beisteuert, soll abgewartet werden, wie sich die im Dezember auch für Hochschulen einmalig gezahlte Soforthilfe und die anschließende Preisbremse des Bundes auswirken.
Sie schreiben, viele könnten in der Krise dazu gezwungen sein, ihr Studium aus Geldnot abzubrechen.
Ja. Denn wir wissen, aus der Sozialerhebung des Studierendenwerks von 2016, dass in Hamburg schon vor den aktuellen Krisen drei von vier Studierende neben dem Studium gearbeitet haben, um überhaupt ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Viele leben bereits unter der Armutsgrenze und haben auch keine Reserven, wenn jetzt die Lebenshaltungskosten so steigen. Das heißt, Studierende müssen wählen zwischen Geldverdienen und Studium. Sie können kaum die Regelstudienzeit einhalten, erbringen schlechtere Leistungen oder brechen das Studium ab.
Kennen Sie Kommilitonen, die aus Geldnot abbrechen?
In meinem Freundeskreis zum Glück noch nicht. Aber die Zeit, die meine Kommilitonen mit Jobben verbringen müssen, hat sich während dieser neuen Krise merklich erhöht.
Sie meinen die nächste Krise nach der Coronaschließung?
Ja. Das war eine beispiellose Zeit für alle Studierenden. Es war eine psychische Belastung, dass uns die offene Hochschule als Ort des sozialen Austauschs fehlte. Deshalb beharren wir so darauf, dass den Hochschulen jetzt geholfen wird.
Hamburgs Senat hat zugesagt, Studierenden bei den Lebenshaltungskosten zu helfen. Hat sich Ihr Protest erledigt?
Nein, unsere Forderungen bestehen immer noch. Wir wollen zum Beispiel, dass die Hochschulen zur kritischen Infrastruktur erklärt werden und – so wie die Schulen – die Kosten der Energiekrise ersetzt bekommen. Das ist nämlich nicht der Fall. Die Kosten der Schulen werden über den Landeshaushalt finanziert. Die Hochschulen haben ihre eigenen sogenannten Globalhaushalte und müssen das in Teilen selber ausgleichen.
Nun sagt der Senat, dass auch die Hochschulen vom Energiepreisdeckel profitieren?
Dazu sagen wir: schön. Aber die Hochschulen müssen, wie die Privathaushalte, ja trotzdem viel mehr für Strom und Wärme zahlen. Beim Hochschulhaushalt kann dies auf Kosten anderer Bereiche, wie der Lehre, gehen. Und zudem hat der Hamburger Senat für öffentliche Gebäude ein Energiesparziel von 20 Prozent festgelegt. Das einfachste für die Hochschulen ist natürlich, dafür Standorte kürzer aufzumachen oder ganze Standorte temporär zu schließen. Und das wäre für die Arbeitsverhältnisse von uns Studierenden der K.O.-Schlag. Entscheidend ist, dass es diesen warmen Arbeitsplatz für Studierende an der Hochschule gibt, sodass es nicht angenehmer ist, zu Hause zu arbeiten und damit selber Energiekosten tragen zu müssen.
Also fordern Sie, dass etwa Bibliotheken ihre Öffnungszeiten nicht einschränken?
Genau, das ist ein Kernanliegen. Aber die Hochschulen müssen sich das halt leisten können. Dafür braucht es Hilfe vom Staat.
Die Asten fordern zudem allgemein die „Ausfinanzierung der Hochschulen“. Tut der aktuelle Senat mit einer jährlichen Zwei-Prozent-Steigerung nicht mehr als sein Vorgänger?
21, studiert Architektur an der Hafencity-Universität Hamburg. Er ist dort im Vorstand des Asta und arbeitet in der Hamburger Landesastenkonferenz mit.
Ja, aber bei zehn Prozent Inflation sind zwei Prozent natürlich nicht viel. Es gibt eine Perspektive, aber die Hochschulen brauchen für diesen und kommenden Winter einen Finanzausgleich.
Im Moment fehlt es allen an allen Ecken und Enden, von der Kinderklinik bis zur Feuerwehr. Wie wollen Sie da für Hochschulen Gehör finden?
Wir müssen uns bewusst sein, dass die Hochschulen am Ende diejenigen sind, die auf die drängenden Fragen unserer Zeit die Antworten liefern. Hier zu sparen heißt, an der Zukunft zu sparen. Jetzt die Hochschulen mit ihrem Haushalt alleine zu lassen, wird den Hochschulstandort Hamburg nachhaltig schwächen. Das darf nicht passieren.
Spricht der Senat mit Ihnen?
Wir haben den Termin mit der Wissenschafts-Staatsrätin in der nächsten Woche. Da sind wir gespannt.
Planen Sie auch Proteste?
So weit sind wir noch nicht. Wir wollen aber in jedem Fall als Studierende hochschulübergreifend unsere Stimme erheben, weil es um unsere Zukunft und unsere Lehre geht. Und weil die Unterstützung des Staates in dieser Krise nicht an uns vorbeigehen darf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich