Armin Thurnher zur Politik in Österreich: „Es gibt keinen Lerneffekt“
Die Ära von Sebastian Kurz war ein Einschnitt, sagt der Journalist Armin Thurnher. Er erklärt, warum die Linke in Österreich auf eine Ampel hofft
wochentaz: Herr Thurnher, Ihr neues Buch heißt „Anstandslos“. Offensichtlich ein Wortspiel. Auf wen bezieht es sich?
Armin Thurnher: Auf die Ära Sebastian Kurz. Da hat das österreichische Bürgertum oder die Reste davon oder der österreichische Konservativismus eine Grenze überschritten, und zwar die Grenze zum Trumpismus. Unter Kurz wurden gewisse Selbstbeschränkungen fallengelassen. In der Politik wurde immer schon gelogen. Aber es war bisher nicht so, dass man die Lüge eiskalt als Mittel einsetzt, um die Karriere und politische Werbung zu befördern.
wurde 1948 in Bregenz geboren, ist Mitbegründer, Miteigentümer und Herausgeber der Wiener Wochenzeitung Falter. Sein neues Buch „Anstandslos. Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ erschien im März 2023 im Paul Zsolnay Verlag, Wien. Thurnher analysiert darin die Ära Sebastian Kurz.
Ist zur Ära Kurz nicht schon alles gesagt?
Nein. Es ist viel zu wenig bekannt, wie sehr da bereits US-amerikanische Polittrends hereinspielen, Social Media und das Voranschreiten der politischen Unvernunft. Auch das evangelikale Moment spielte auf Österreichisch eine Rolle. In einer Religionsshow in der Stadthalle stieg Sebastian Kurz auf die Bühne, und ein evangelikaler Prediger dankte seinem Herrn für diesen Mann. Das letzte Indiz war dann das Engagement von Kurz beim rechten Investor Peter Thiel, der auch stark evangelikal geprägt ist. Diese Leute streben nicht Demokratie an, sondern The Kingdom of God. Und da passt Kurz gut hinein, ohne dass man das hierzulande als politische Willenskundgebung erkannt hätte. Er hat zwar gern an Wallfahrtsorten posiert, seine Religiosität aber nicht ausgestellt. Das Evangelikale ist einfach so passiert, quasi anstandslos.
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Kurz ist weg. Die ÖVP ist in den Umfragen bei um die 20 Prozent, also dort, wo sie vorher war. Auch die FPÖ ist wieder dort, wo sie vorher war. Also alles wieder normal? Oder war die Ära Kurz ein Einschnitt?
Sie war ein Einschnitt. Gewisse Zerstörungen sind nicht mehr gutzumachen, zum Beispiel in den Medien. Die politische Vereinnahmung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks passiert jetzt mit einer Unverschämtheit, die vorher nicht da war. Die gesamte politische Kommunikation, nicht nur der ÖVP, sondern insgesamt des Landes, wurde durch diese Jahre einigermaßen zerstört.
Würde das Wahlvolk ein weiteres Mal auf so einen Typen hereinfallen?
Jederzeit. Es gibt überhaupt keinen Lerneffekt. Es ist ja ein Fortschreiten der allgemeinen Irrationalität zu beobachten, auch aufgrund der Schwäche der Linken und der Sozialdemokratie. Diese steigende Irrationalität begünstigt natürlich polarisierende und charismatische Typen. Dieses Charisma ist ja kein echtes, sondern oft nur ein fauler Zauber. Die Trump-Anhänger wissen ja, dass Trump lügt. Faszinierend. Sie haben einfach beschlossen, ihm zu glauben. Und das ist präaufklärerisch. Inmitten einer hochtechnisierten Welt. Da ist Österreich durchaus auf der Höhe der Zeit, mit dieser Gleichzeitigkeit von atavistischem und völkischem Zeug auf der rechtsextremen Seite und modernen technischen Mitteln, mit denen das verbreitet wird.
Angesichts der Widersprüche in den Aussagen von ÖVP-Politikern wundert man sich, warum die nicht mehr Stimmen verloren haben. Da heißt es, das Geld wachse nicht auf den Bäumen, wenn es um die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Aber für Steuergeschenke an Milliardäre wie René Benko scheint es ganze Plantagen von Geldbäumen zu geben.
Das liegt wohl an den dominierenden Boulevardmedien. Der Boulevard wirtschaftet in die Taschen der Eigentümerfamilien, die sind doch lauter Millionäre und Milliardäre, um Bernie Sanders zu zitieren. Die haben kein Interesse an gerechter Besteuerung oder vernünftiger Medienförderung. Auf die Interessen dieser Leute wird sehr stark Rücksicht genommen. Im Eigeninteresse der handelnden PolitikerInnen, aber nicht im Interesse der Bevölkerung.
Vor Kurzem ist in Niederösterreich eine schwarz-blaue Regierung zustande gekommen. Warum wird das als besonderer Dammbruch gesehen? Es ist ja nicht die erste rechtskonservative Regierung in diesem Jahrhundert.
Bei der niederösterreichischen FPÖ gibt es dauernd „Ausrutscher“. Da ziehen Abgeordnete in den Landtag ein, die sich mit Hitlergruß fotografieren lassen. Der Spitzenmann Udo Landbauer gehört einer schlagenden Verbindung an, bei der ein Liederbuch mit antisemitischen und rechten Gesängen gefunden wurde. Zahllose Einzelheiten zeigen, dass die FPÖ Niederösterreich ein extrem rechter Flügel innerhalb der FPÖ ist, was schon einiges heißen will. Mit so einer Partei ohne Not zu koalieren, ist ein Tabubruch, der darauf schließen lässt, dass das eine Probe ist für die nächste Bundesregierung nach den Wahlen 2024. Unter Umständen auch mit einem Kanzler Herbert Kickl von der FPÖ.
Für die Linke ist jetzt die Ampel – SPÖ, Grüne und Neos – die einzige Perspektive, die noch Mut macht. Warum ist es in Österreich so absolut unüblich zu sagen, mit wem man nach der Wahl koalieren will?
Das ist eine üble Tradition, die ich nie verstanden habe. Wenn man sich vorher festlegt, würde man mehr politische Perspektive in die Arbeit bringen, aber perspektivisches Denken ist der österreichischen Politik fremd. Die SPÖ hat zumindest lange Zeit gesagt, mit der FPÖ würde sie nicht koalieren. Damit hat sie zwar Wahlen gewonnen, aber dann die Verhandlungen verloren. Jetzt reden Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, die beide Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin ablösen wollen, von einer Ampel als Wunschkoalition.
In den sozialen Medien werden die Grünen dafür geprügelt, was die ÖVP macht und sie nicht verhindern können. Auch in der politischen Debatte sieht es aus, als wären für die SPÖ die Grünen die eigentlichen Gegner.
Die Grünen sind in einer beschissenen Lage. Sie können aus der Koalition mit der ÖVP nicht heraus, weil sie bei Neuwahlen massiv verlieren würden. Gleichzeitig verlieren sie aber weiter, wenn sie drinbleiben. Wir können nur hoffen, dass irgendwas Unvorhergesehenes passiert, das ihnen vielleicht doch zu einem besseren Ergebnis verhilft. Zum Teil konnten sie ja erstaunliche Dinge durchsetzen, vor allem klimapolitisch. Aber das wird ihnen nicht angerechnet. In der Sozialpolitik können sie sich nicht durchsetzen, weil die ÖVP einfach die Hausherrenpartei ist. Immerhin, ohne den Druck der Grünen wäre Sebastian Kurz noch immer Bundeskanzler. Das allein ist schon ein ganz fetter Pluspunkt. Kann man natürlich schwer in einer Koalition laut vor sich hertragen. Allenfalls vielleicht im Wahlkampf. Dann ist es aber zu spät.
Was ist in der SPÖ los? Da gibt es ab nächster Woche eine Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz, ursprünglich wollten sich 69 Kandidaten und 4 Kandidatinnen stellen. Chaostage, wie der Boulevard schreibt, oder kreativer Aufbruch mit Basisdemokratie?
Es ist natürlich beides. Ich habe mich gegen die Etikettierung „Chaostage“ gewehrt, weil das ein typisches ÖVP-Framing war, das von allen Medien begeistert aufgegriffen wurde. Die Rivalität zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil ist natürlich aus dem Ruder gelaufen. Gefühlsmäßig können’s beide nicht. Und das bei einer Themenkonjunktur, die für die SPÖ ein Geschenk war: Ermittlungen gegen Spitzenpolitiker der ÖVP, ein vollkommen gescheitertes Coronamanagement, eine Koalition, die wankt, eine Umverteilung nach oben, explodierende Preise, Inflation. Ein aufgelegter Elfmeter nach dem anderen. Und die SPÖ macht nichts daraus. Die haben ja wirklich erwartet, dass die objektive Lage ihnen die Massen zutreibt. Tatsächlich lagen sie schon bei fast 30 Prozent. Aber dann kam Herbert Kickl von der FPÖ. Kickl ist ein aktiver Politiker, ein Demagoge, ein Verführer. Er hat die Situation zu seinen Gunsten gedreht, mithilfe von Corona und Migration.
Es heißt, Donald Trump wird nicht gewählt, weil er sympathisch ist, sondern weil er ohne Beißhemmung jede Schwäche des Gegners ausnutzt. Kickl hat ja auch extrem niedrige Sympathiewerte.
Bei Kickl spürt man diesen unbändigen Willen, an die Macht zu kommen, den man auch bei Kurz gespürt hat. Der steht für was. Die Leute spüren da was. Bei Frau Rendi-Wagner, die sehr sympathisch ist, spüren sie nichts.
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