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Armenien-Resolution im BundestagGedenken zur Primetime

Grüne, SPD und Union wollen in einer Resolution den Armenier-Genozid verurteilen. Schlechtes Timing für Merkel – sie reist in die Türkei.

Böhmermann, Visafreiheit, die Resolution des Bundestags: Erdoğan und Merkel haben viel zu besprechen Foto: ap

BERLIN taz | Schon wieder dieser Erdoğan: Am Sonntag fliegt Angela Merkel nach Istanbul, wo am Montag ein UN-Gipfel zu humanitärer Hilfe beginnt. Am Rande der Konferenz wird die Kanzlerin vermutlich auf den türkischen Präsidenten treffen, und der ist über die jüngsten Neuigkeiten aus Deutschland überhaupt nicht begeistert. Nach der Böhmermann-Affäre und Einwänden gegen die Visafreiheit für Türken ist es nun eine angekündigte Resolution des Bundestags, die Recep Tayyip Erdoğan verstimmt.

Nach langem Hin und Her wird das Parlament voraussichtlich am 2. Juni einem Antrag von Union, SPD und Grünen zustimmen. Nicht versteckt am späten Abend, nicht parallel zu irgendwelchen Ausschusssitzungen, sondern zur parlamentarischen Kernzeit am Donnerstagmittag. In der Resolution mit dem Titel „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten vor 101 Jahren“ wird der Bundestag die Verbrechen des Osmanischen Reiches in den Jahren 1915 und 1916 wohl erstmals als Genozid bezeichnen.

Eine Interpretation der Geschichte, die von der türkischen Regierung abgelehnt wird. Ein Sprecher Erdoğans kritisierte in dieser Woche, dass der Bundestag den Vorwurf des Völkermords verbreite, ohne dafür Beweise vorzulegen. Nach Angaben des türkischen Rundfunks warnte er, der Vorstoß des Parlaments könne auf „eine Konfrontation mit den in Deutschland lebenden drei Millionen Türken“ hinauslaufen.

Für Merkel kommt dieser neue Konflikt mit Erdoğan zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt; ihr Flüchtlingsdeal mit der Türkei wackelt ohnehin. Gleichzeitig hat sie in Sachen Armenien-Resolution keinen großen Handlungsspielraum. Selbst wenn die Regierungsfraktion wollten, könnten sie den Antrag nicht auf eigene Faust von der Tagesordnung nehmen. An dem interfraktionellen Antrag sind schließlich auch die Grünen beteiligt.

Diesmal ohne Schlupflöcher

„Die Türkei darf nicht die Tagesordnung des Bundestags bestimmen, egal welche Abkommen an anderer Stelle laufen“, sagte der Parteichef Cem Özdemir am Donnerstag der Rheinischen Post. Er besteht darauf, dass es im Bundestag dieses Mal zu einer Abstimmung kommt – anders als im Februar, als das Parlament auf seinen Antrag hin zuletzt über eine Resolution debattierte.

Zu dem Zeitpunkt hatten die Fraktionen schon seit Monaten über einen gemeinsamen Antrag verhandelt; ausgeschlossen war nur die Linkspartei, mit der CDU und CSU aus Prinzip keine gemeinsamen Sachen machen. Wegen der damals anstehenden Verhandlungen über den Flüchtlingsdeal wollten die Regierungsfraktionen den Antrag noch nicht einbringen, weshalb die Grünen alleine vorpreschten. Kurz vor der Abstimmung zogen sie die Resolution dann doch noch einmal zurück.

Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte Özdemir in der laufenden Debatte versprochen, noch einmal eine gemeinsame Initiative zu starten – ohne Schlupflöcher. „Vor der Sommerpause ist das hier erledigt“, sagte Kauder damals.

„Ich habe das jetzt gerade gehört, viele Menschen draußen auch“, erwiderte Özdemir. Und so ist die Koalition in einer schwierigen Situation: Erdoğan hin oder her, aus der Resolution kommt sie nicht mehr raus.

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5 Kommentare

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  • @A Bayer

    Man weiss überhaupt nicht wo man bei Ihnen anfangen soll!

    Historikerkommission:

    Im Jahre 2005 schlug Recep Tayyip Erdogan erstmals öffentlich die Errichtung einer bilateralen Historikerkommission vor. Diese Konferenz, die vom 25. bis 27. Mai 2005 in Istanbul stattfinden sollte, wurde jedoch durch den türkischen Justizminister Cemil Cicek selbst unterbunden und die von der türkischen Regierungsmeinung abweichenden Positionen türkischer Wissenschaftler als „Dolchstoß in den Rücken der türkischen Nation“ diffamiert. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-konferenz-ueber-mord-an-armeniern-verschoben-1231625.html

     

    Dies ist nur ein Bluff von Erdogan, er lügt bewusst sein Volk!

    Armensiche Archive sind gefälscht?

    Was ist mit den türkischen Archiven? Die wurden bereinigt.

    Hoffe Sie können Englisch https://wikileaks.org/plusd/cables/04ISTANBUL1074_a.html

    https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Chodschali

    Es war ein Massaker und kein Völkermord, bei 613 Opfer können Sie nicht von einem Völkermord sprechen! Wenn Sie sich die Mühe machen das zu lesen, haben die Azerbaischaner Ihre Landsleute bewusst geopfert.

     

    Hier können Sie nachlesen was Ihre Freunde aus Azerbaischan mit den Armeniern gemacht haben. https://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom_in_Sumgait https://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom_in_Kirowabad https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Maraga

    https://de.wikipedia.org/wiki/Pogrom_in_Baku

    • @Typen:

      In Aserbaidschan starben viel mehr, nicht nur bei dem einen Beispiel. Das ging über Jahrzehnte. Immer mal wieder: http://www.uni-potsdam.de/u/makrooekonomie/docs/aserbaidschan/31_maerz_11_06.pdf

       

      Hier hat die Uni-Potsdam eine Studie erstellt. Diese bezeichnet es als Genozid.

       

      Ich denke im Übrigen nicht, dass diese von Armenien erhoffte Verurteilung irgendetwas zur Versöhnung beiträgt. Dadurch wird nur Hass geschürt.

       

      ''Es hätte eine Diskussionsplattform werden können, auf der armenische Historiker ihren türkischen Kollegen einmal richtig hätten zeigen können, wie das armenische Volk 1915 bis 1917 von türkischer Hand vernichtet wurde. Aber die meisten zogen es vor, fernzubleiben. Vier armenische Historiker, die die Genozidthese vertreten, waren zur dreitägigen Konferenz "Neue Ansätze in den türkisch-armenischen Beziehungen" in Istanbul eingeladen worden, lehnten aber ab...Neue Forschungsergebnisse gab es vor allem von Yusuf Sarinay, der Dokumente präsentierte, wonach der osmanische Innenminister Talat Pascha ein strenges Vorgehen anordnete, um die deportierten Armenier vor Übergriffen zu schützen, und auch persönlich die Todesurteile von 1643 türkischen Offizieren, Soldaten und Funktionären unterzeichnete, die sich an Deportierten vergriffen hatten.'' http://www.welt.de/print-welt/article204923/1634-tuerkische-Offiziere-zum-Tode-verurteilt.html

       

      Und Wikipedia ist eh subjektiv, taugt zum groben Überblick. Bei dem Thema sowieso.

  • Zuerst müsste es eine Historikerkommission geben, wo türkische und armenische Dokumente und Positionen wissenschaftlich ausgewertet werden. Die Türkei, unabhängig von Erdogan, schlug das stets vor. Armenien verweigerte sich. Allein die Schätzungen differieren zwischen 200 000 bis zu 1.5 Millionen Menschen. Dass es Gewalttaten auf beiden Seiten gab, wird nie erwähnt. Von armenischer Seite sind Fälschungen von Anfang an bekannt.

     

    Politiker sollten das gar nicht entscheiden können.

    • @A Bayer:

      Bei dieser Gelegenheit könnte Armenien auch seine Vorgehensweise überdenken, mit Gewalt eigene Positionen durchzudrücken: ''Die Mordserie begann im Jahre 1973. Seither haben armenische Terrorgruppen...in westlichen Metropolen und auch in Teheran 31 türkische Diplomaten umgebracht und mehrere so schwer verletzt, daß sie den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen müssen.'' http://www.zeit.de/1984/50/terror-gegen-die-tuerken

       

      Mitunter, da es doch um Gerechtigkeit geht..., könnte Armenien die Karten auf den Tisch legen und bei der Aufklärung bzgl. dessen behilflich sein, was Armenien Aserbaidschan in der Sowjetzeit und den 90ern antat.:

      ''Die Tragödie des Völkermords'' http://www.garabagh.net/content_73_de.html

       

      Auch hier wäre eine Historikerkommission notwendig.

      Denn, liebe Grünen, es geht doch um Gerechtigkeit, oder?

  • "...der Vorstoß des Parlaments könne auf „eine Konfrontation mit den in Deutschland lebenden drei Millionen Türken“ hinauslaufen."

     

    Das ist eine massive Drohung. Aber die Mutti wird sie hinnehmen und es sich weiter hinten in Erdogan bequem machen.